Parteitag der Grünen: Miniaufstand zum Ende
Die Grünen inszenieren sich in Freiburg als Partei, der der Zuspruch nicht zu Kopf steigt. Da blieb wenig Zeit für Programmatisches. Eine Überraschung gab es in der Gesundheitspolitik.
![](https://taz.de/picture/289801/14/gruene1.20101121-18.jpg)
Am Anfang gab es kurz Tumult. Vor dem Podium der Parteitagsleitung lärmte ein Grüppchen, klatschte und rief eine Parole. Es dauerte eine Weile, dann verstanden die Delegierten: Hier geht es nicht um Protest der Basis gegen ihre Führung. Die rund 20 Leute skandierten "Oben bleiben" - den Schlachtruf der Gegner von Stuttgart 21. Claudia Roth klopfte dazu lächelnd auf eine Wasserflasche. Die heile Welt der Grünen in Freiburg blieb gewahrt - bis kurz vor dem Ende.
"Oben bleiben", so sollte nach dem Willen einiger Grüner auch die 32. Bundesdelegiertenkonferenz betitelt sein. Das klang der Parteiführung zu sehr nach Schielen auf die eigenen Rekordergebnisse in Wahlumfragen. Dabei hätte die Parole durchaus gepasst.
Denn am vergangenen Wochenende ging es in der Messehalle 3 mindestens so sehr um öffentliche Stimmungen wie um die Neuwahl der Führung und inhaltliche Debatten. Fast alle Redner wiesen empört den Vorwurf der Union zurück, die Grünen seien eine "Wohlfühl-" oder "Protestpartei". Immer wieder musste das Wort des baden-württembergischen Grünen-Chefs Winfried Kretschmann herhalten, wonach die Grünen auf dem Teppich blieben, auch wenn der fliege. Die größte Sorge der Grünen war es, ihren mühsam erworbenen Ruf als pragmatische Problemlöser mit moralischem Mehrwert zu beschädigen.
Deshalb hatte die Parteitagsregie unter Murren einiger Delegierter fast alles abgeräumt, was zu Konflikten auf offener Bühne hätte führen können. Doch in den buchstäblich letzten Minuten stimmte eine Mehrheit für die Einführung einer "Grünen Bürgerversicherung". Die Delegierten votierten dafür, die Beitragsbemessungsgrenze von 3.750 auf 5.500 Euro anzuheben. Und nicht auf bloß 4.162 Euro, wie die Fraktion gefordert hatte. Damit setzt sich die Basis gegen eine Parteiführung durch, die Grünen-Sympathisanten nicht mit der Aussicht auf massive finanzielle Belastungen verschrecken wollte.
Überhaupt ging es beim ersten Grünen-Parteitag seit Beginn des Umfragehochs vor allem um eines: das öffentliche Bild der Partei. Die Kofraktionschefin Renate Künast urteilte: "Alle anderen Parteien haben anscheinend nichts Besseres zu tun, als sich über uns zu unterhalten." Das Schmähwort der Konkurrenz von der "Wohlfühlpartei" soll nicht verfangen. Deshalb Künasts Aufforderung, den "grünen Faden" weiter zu verfolgen.
Viel am Programm gewerkelt wurde jedoch nicht: Die Delegierten bekräftigten das Ja zu einer Zweistaatenlösung im Nahen Osten. Ein Antrag, die Rente mit 67 abzuschaffen, wurde kurzfristig vertagt. Die Finanzen der Kommunen wollen die Kommunen verbessern, damit sie mehr soziale Leistungen anbieten können. Doch blieb unklar, wo die Milliardensummen für diese und weitere Ziele herkommen sollen.
Dass dies im Widerspruch zum Selbstbild der Grünen steht, bemerkte auch die Parteiführung. Bis zur Bundestagswahl 2013, versprach Koparteichef Cem Özdemir, werde die Partei ausgefeilte Konzepte für mehr soziale Gerechtigkeit und bessere Bildung vorlegen: "Wer uns wählt, weiß: Er bekommt auch Zumutungen." Der 44-jährige Parteivorsitzende erhielt bei seiner ersten Wiederwahl nach zwei Jahren im Amt blendende 88,5 Prozent der abgegebenen Stimmen. Koparteichefin Claudia Roth schnitt mit 79,3 Prozent etwas schlechter ab als 2008. Damals erhielt sie sehr gute 82,7 Prozent. Den leichten Knick interpretierten die Grünen als Abstrafung von Roths Engagements für die Bewerbung Münchens um die Olympischen Winterspiele 2018.
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