Parteitag der Berliner SPD: Wowereit wird zum Wahlkämpfer
Der Regierende Bürgermeister schießt lustvoll gegen die Grünen und Renate Künast. Sogar seinen Uraltslogan "Arm aber sexy" kann er noch steigern. Die Delegierte stimmen für eine umfassende Rekommunalisierung.
Vielleicht ist es mit Klaus Wowereit und seiner SPD so wie mit der launischen Dame Hertha: Je besser der Gegner, desto überzeugender das eigene Spiel. Nachdem Renate Künast am Freitag vor einer Woche ihre Spitzenkandidatur als Grüne erklärt hat, zeigte Wowereit beim SPD-Landesparteitag am Samstag: Die Sozialdemokraten und ihr Regierender Bürgermeister sind wieder da. Und sie wollen, wie es Fraktions- und Landeschef Michael Müller ankündigte, bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus am 18. September 2011 wieder stärkste Kraft werden.
Nicht der lustlose, zuletzt amtsmüde Wowereit präsentierte sich im Seminaris Campus Hotel in Dahlem den 230 Delegierten, sondern ein kämpferischer Regierungschef, der sich seine Bilanz nicht von den Grünen schlecht reden lassen will. "Wir versprechen keine Arbeitsplätze, wir schaffen Arbeitsplätze", sagte Wowereit. In ihrer Berlinrede hatte Künast 100.000 neue Jobs versprochen, in mehreren Interviews aber nur vage auf das Engagement der Wirtschaft verwiesen.
Es sollen die "Stadtwerke Berlin" gegründet werden, um wieder einen Energieversorger in kommunaler Hand zu haben, der Strom, Gas und Fernwärme anbietet. Auch die Energienetze sollen in öffentliche Hand kommen, wenn die Konzessionsverträge für Gas 2013 und Strom 2014 auslaufen.
Die Wasserversorgung Berlins soll wieder vollständig in öffentliche Hand. Dazu wird der Rückkauf der 1999 zu 49,9 Prozent verkauften Anteile an RWE und Veolia angestrebt. Der Senat soll ein "langfristig kostenneutrales Finanzierungsmodell" vorlegen.
Die SPD lehnt die Auschreibung von einzelnen S-Bahn-Strecken nach Auslaufen des Verkehrsvertrages nach 2017 ab. Der Senat soll drei Optionen prüfen: 1. Kauf der S-Bahn und Übertragung an die landeseigene BVG. 2. Den S-Bahn-Verkehr in Direktvergabe an die BVG zu übertragen. 3. Den Mutterkonzern Bahn in einem neuen Vertrag zu einem besseren S-Bahn-Verkehr zu verpflichten. (dpa)
Überhaupt, die Grünen. "Manche sagen nun, es passiert zu wenig", sagte Wowereit in Anspielung auf seine Herausforderin Renate Künast. "Aber ist das auch das Gefühl der Berlinerinnen und Berliner?" Wowereit verwies auf 90 Prozent der Bewohner, die jüngst in einer Umfrage erklärt hätten, gerne in Berlin zu leben. "Mal nicht zu meckern, das ist doch das größte Lob, das es in dieser Stadt gibt."
Der Regierende Wahlkämpfer Wowereit bekannte sich auch ausdrücklich zum Bau des Flughafens Berlin-Brandenburg International. Den Protest gegen den Fluglärm könne er verstehen, sagte Wowereit. "Aber es war die Diepgen-CDU, die den Flughafen in Schönefeld haben wollte. Die SPD war immer für Sperenberg." Und wo waren die Grünen?, setzte Wowereit nach. "Die haben sich in Sperenberg für die Lurche eingesetzt."
Vor Wowereits anderthalbstündiger Wahlkampfrede, die die Delegierten mit Standing Ovations quittierten, hatte bereits Michael Müller den Wahlkampf mit den Grünen aufgenommen. "Es ist noch zu früh für Inszenierungen", stichelte der Landes- und Fraktionschef. Aber wenn die Grünen den Berlinern vorhielten, sie müssten sich mehr anstrengen, so sei dies herzlich wenig. "Diese Frau, die so was sagt, war offenbar sehr lange, sehr weit weg. Die Berliner haben sich angestrengt. Die Berliner haben es nicht nötig, Nachhilfeunterricht in Sachen Engagement zu bekommen." Die Gastrede beim Parteitag hielt die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD).
Unter das Motto "Berlin Miteinander" hatte die SPD ihren Landesparteitag in Dahlem gestellt. Zu diesem neuen Wir-Gefühl gehörte auch die Absage an jegliche neue Privatisierung. Stattdessen wollen die Sozialdemokraten den kommunalen Einfluss auf die Versorgung mit Energie, Gas und Fernwärme wieder zu erhöhen. Dazu soll das Land die Netze eigenständig übernehmen oder an strategisch kommunal orientierten Partner" übergeben, hieß es in einem bei wenigen Enthaltungen verabschiedeten Antrag. Zur Umsetzung dieses Ziels soll ein Stadtwerk gegründet werden. Bei der S-Bahn soll der Senat prüfen, ob das Land oder die BVG den Betrieb übernehmen kann - eine klare Absage an Verkehrssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD), die eine Ausschreibung von Teilstrecken der S-Bahn ab 2017 angekündigt hatte. Auch die Grünen verlangen die Ausschreibung der S-Bahn.
Klar auf Distanz ging der Parteitag auch zu Thilo Sarrazin und dem Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (beide SPD). Bei der Debatte um das Thema Integration, sagte Wowereit in seiner Rede, habe er einen Aufstand der Anständigen vermisst. "Wenn selbst Intellektuelle nicht auf Sarrazin reagieren, sondern ihn sogar unterstützen, dann ist etwas falsch gelaufen." Er selbst habe erlebt, wie die NPD mit Sarrazin-Plakaten werbe. "Ich lasse es mir deshalb nicht bieten, dass einige sagen: Integration ist gescheitert", wetterte Wowereit in Richtung Buschkowsky. "Das ist ein Schlag ins Gesicht derer, die sich für die Integration eingesetzt haben." Buschkowsky verfolgte den Parteitag aus sicherer Entfernung von der Pressetribüne
Den größten Beifall bekam Wowereit von den Delegierten für die leidenschaftliche Verteidigung eines Zitats - Berlin sei arm, aber sexy. Menschen in aller Welt hätten verstanden, was er damit habe sagen wollen, betonte der 57-Jährige. Berlin könne beim Geld nicht mit Städten wie Paris oder London mithalten. "Aber diese Stadt hat etwas, was man mit Geld nie kaufen kann: Eine Ausstrahlung, eine Anziehung, eine Wildheit und eine Schönheit, wie es sie in dieser Kombination nicht nochmal auf dieser Welt gibt. Und das bedeutet, arm aber sexy sein."
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