piwik no script img

Parteienforscher über CDU„Führungsvakuum schnell beenden“

Nach Thüringen und Kramp-Karrenbauers Rücktritt ist die CDU in der Krise. Der Politologe Oskar Niedermayer spricht über die Folgen für die Demokratie.

Angela Merkel zieht sich in ihr Büro zurück Foto: Kay Nietfeld/dpa
Interview von Georg Sturm

taz: Herr Niedermayer, die CDU-Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer hat angekündigt, auf die Kanzlerkandidatur sowie den Parteivorsitz zu verzichten. War diese Entscheidung folgerichtig, nachdem sie sich im Thüringer Landesverband mit ihrer Position nicht durchsetzen konnte?

Oskar Niedermayer: Sie war schon folgerichtig, kam jedoch etwas überraschend. Letztendlich führte wohl kein Weg daran vorbei. Kramp-Karrenbauer hat von Anfang an nicht sehr glücklich agiert und einige Fehler gemacht. In der Thüringen-Frage hat sie zwar durchaus eine klare Haltung vertreten, aber das Problem war eben, dass sie sowohl vor als auch nach der Wahl in Thüringen nicht die Autorität hatte, diese Haltung dem Thüringer Landesverband so zu verdeutlichen, dass er ihr gefolgt wäre.

Armin Laschet oder Friedrich Merz – wer hat die größten Chancen auf Kramp-Karrenbauers Nachfolge?

Es dreht sich ja bekanntlich um vier Leute, wobei ich den Vierten, Herrn Söder, gleich ausnehmen würde. Ich sehe nicht, dass er das Risiko eingehen würde, jetzt zu kandidieren. Bei Herrn Spahn glaube ich, dass seine Zeit noch nicht gekommen ist; also wird es auf Laschet oder Merz hinauslaufen.

Das Problem ist, dass beide ganz klare Exponenten der beiden Teile der Partei sind, die sich jetzt noch unversöhnlicher gegenüberstehen. Auf der einen Seite der eher wirtschaftspolitisch soziale und gesellschaftspolitisch liberale Teil und auf der anderen Seite der marktfreiheitliche und konservative Teil der CDU.

Diese Spaltung zeigt sich auch im Umgang mit der AfD. Einerseits schließt die Bundes-CDU eine Zusammenarbeit mit der AfD grundsätzlich aus. Andererseits werden insbesondere in den ostdeutschen Landesverbänden Stimmen lauter, die sich eine Zusammenarbeit durchaus vorstellen können. Droht sich die CDU an dieser Frage zu spalten?

Ich glaube nicht, dass eine Spaltung der CDU droht, aber es ist natürlich eine ganz schwierige inhaltliche Frage. Diese Frage wird von der Führung der Bundes-CDU ganz eindeutig beantwortet, aber in den Ländern und auch in Teilen im Bund sieht es ein bisschen anders aus.

Ich glaube, dass es ganz wesentlich für den neuen Vorsitzenden sein wird, hier klare Kante zu zeigen und nicht auf den Vorwurf reinzufallen, dass die CDU nun einen Rechtsruck mache. Man kann durchaus in vielen gesellschaftlichen Bereichen konservativere Positionen einnehmen und dennoch eine ganz klare Abgrenzung zu einer Partei vertreten, die in Teilen und in den ostdeutschen Landesverbänden mehrheitlich rechtsextrem ist.

Durch das Erstarken der AfD werden Koalitionen zwischen zwei oder drei Parteien zunehmend unwahrscheinlicher. Welche Folgen hat diese Entwicklung auf die parlamentarische Demokratie?

Zunächst einmal ist es nicht schlimm für die parlamentarische Demokratie, wenn es statt der traditionellen Zwei-Parteien-Regierung mit einer großen und einer kleinen Partei jetzt Koalitionen mit mehr Parteien gibt. Problematisch wird es dann, wenn diese Koalitionen aus Parteien bestehen, die eigentlich nicht zueinander passen und sich nur als Gegenpart zur AfD zusammenfinden. Dann wird die AfD in ihrer Opferrolle bestärkt und kann von einem „Altparteienkartell“ gegen sie sprechen.

Sind Minderheitsregierungen das Modell der Zukunft?

Neben den angesprochenen lagerübergreifenden Koalitionsoptionen gibt es auch noch eine andere Möglichkeit – und das ist eine Minderheitsregierung. Das ist in Deutschland auf der Bundesebene noch schwer durchzusetzen, aber auf der Landesebene hat es die schon gegeben. Die waren zum Teil allerdings nicht erfolgreich. Es spricht parlamentarismustheoretisch jedoch nichts gegen eine Minderheitsregierung, die sich für ihre politischen Vorhaben die Mehrheiten von Fall zu Fall suchen muss. Und das wäre die Option gewesen, die für Thüringen hätte funktionieren können.

Was bedeutet diese Entwicklung der Parteienlandschaft für zukünftige Koalitionsoptionen im Bund?

Das hängt davon ab, inwieweit sich diese Zersplitterung der Parteienlandschaft im Bund jetzt fortsetzt. Wir sehen schon jetzt, dass wir nicht mehr drei große Volksparteien haben, sondern nur noch zwei oder vielleicht sogar nur noch eine – in Gestalt der CSU. Die SPD kann diese Eigenschaft zumindest im letzten Jahr mit 13, 14 Prozent nicht mehr für sich in Anspruch nehmen.

Die CDU gerät in die Gefahr, auch deutlich zu verlieren. Insbesondere wenn sie dieses Führungsvakuum nicht möglichst schnell und in einer sinnvollen Weise beendet. In einem stark fragmentierten Parteiensystem wird die Regierungsbildung immer schwieriger und es leidet vor allem auch die Regierungsstabilität, wie es in anderen Ländern der Fall ist.

Im Interview: Oskar Niedermayer

ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft und ehemaliger Leiter des Otto-Stammer-Zentrums für Empirische Politische Soziologie an der FU Berlin. Zu seinen Schwerpunkten gehören Parteien- und Wahlforschung sowie das politische System Deutschlands.

Die CDU steht unter Druck, da sie zunehmend Wähler*innen an die Grünen auf der einen und an die AfD auf der anderen Seite verliert. Wie muss sich die CDU positionieren, damit sie diese Entwicklung umkehrt?

Die entscheidende Frage ist, inwieweit die CDU es schaffen kann, keinen Rechtsruck zu vollführen, aber trotzdem ihr Wertefundament wieder in eine sinnvolle Balance zubringen. Die drei Säulen der CDU sind der wirtschaftspolitische Liberalismus, der gesellschaftspolitische Konservatismus und das christliche Menschenbild. Unter Frau Merkel hat sich die CDU wirtschafts- und auch gesellschaftspolitisch – in Anführungszeichen – nach links bewegt. Das hat sehr lange sehr gut funktioniert und neue Wählerschichten erschlossen, aber es ist eben an eine Grenze gekommen.

Jetzt ist die Frage: Kann man die konservative gesellschaftspolitische Seite wieder so weit stärken, dass die CDU die Chance hat, diejenigen Wähler zurückzugewinnen, die die AfD aus Protest wählen und nicht weil sie ideologische Hardliner sind, ohne dass man gleichzeitig die klare Kante gegen Rechtsextremismus aufgibt? Das ist die wesentliche Aufgabe, die der neue Vorsitzende der CDU hat.

Wird dies gelingen, wenn es vonseiten der Werteunion oder von Landesverbänden wie Sachsen-Anhalt Bestrebungen gibt, mit der AfD zusammenzuarbeiten?

Das ist genau das Problem. Man hat ja in einer Bundespartei keine Durchgriffsmöglichkeit, da wir hier in Deutschland keine zentralistisch gesteuerten Parteien haben, in denen der Parteivorsitzende Befehle erteilen kann und die regionalen Gliederungen sich danach zu richten haben. Man muss eine persönliche Autorität haben, um die Leute inhaltlich zu überzeugen. Diese Autorität hatte Kramp-Karrenbauer nicht. Ob der nächste Vorsitzende sie haben wird, steht offen. Wenn man die harte Linie durchziehen will, darf man in letzter Konsequenz auch nicht vor Parteiausschlussverfahren zurückschrecken, wenn bestimmte Mitglieder diese Linie offensichtlich überschreiten.

Was bedeutet der Rückzug von AKK für die Große Koalition?

Ich glaube nicht, dass das jetzt noch als Grund genommen werden kann, um die Koalition zu beenden. Es ist jedoch eine weitere Schwierigkeit, weil das Vertrauen der Parteien weiter darunter leidet. Es wird auch nicht einfacher werden in der Regierung, wenn sich die CDU jetzt fast ein Jahr lang mit sich selbst beschäftigt und in einen innerparteilichen Wahlkampf kommt. Deswegen würde ich nicht dazu raten, bis zum nächsten ordentlichen Parteitag im Dezember zu warten. Das muss alles viel früher geregelt werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Vor der letzten Bundestagswahl stand die SPD am Abgrund - heute ist sie einen Schritt weiter. Und die CDU wird ihr nun folgen.



    Oder anders gesagt:



    Die beiden ehemaligen selbsternanten "Volksparteien" haben abgewirtschaftet.



    Das aber wenigstens so total, daß keinerlei Raum mehr für Zweifel an dieser Tatsache besteht.