Partei-Kritik gegen die Bundeskanzlerin: Anschwellendes Murren in der CDU
Die „Euphorie“ für Merkels Flüchtlingspolitik ist im Kanzleramt groß. An der Basis sieht das ganz anders aus, sagt der Abgeordnete Klaus-Peter Willsch.
Seit Merkels historischem „Wir schaffen das“-Satz, der Deutschland im Ausland viel Sympathie eingetragen hat, wird das Murren in der eigenen Partei immer lauter und offener. Kein Wunder, an der CDU-Basis ist so viel von oben verordnete Weltoffenheit ungewohnt.
Die CDU, deren Promipolitiker einst „Kinder statt Inder“ forderten und Landtagswahlkampf mit Unterschriften gegen „kriminelle Ausländer“ bestritten, scheint überfordert mit Merkels Klarstellung, das Grundrecht auf Asyl kenne keine Obergrenze. Die Abgeordneten bekommen das in ihren Wahlkreisen um die Ohren gehauen. Diesen Frust geben sie nun weiter.
Nicht einmal mehr der beim Bund-Länder-Gipfel vergangene Woche beschlossene Härtenkatalog für Flüchtlinge kann Merkels Kritiker beruhigen. Der Innenexperte Wolfgang Bosbach erklärt gegenüber der Passauer Neuen Presse, aus einer großen Herausforderung für das Land könne schnell eine Überforderung werden. Und der CDU-Abgeordnete Klaus-Peter Willsch sagt, an der Basis sei die „Euphorie längst nicht so groß wie an der Parteispitze und im Kanzleramt“.
Taubers Versuch, Merkels Ruf zu retten
Selbst Merkels stellvertretende Parteivorsitzende schlägt via Bild-Zeitung neue Töne an. Julia Klöckner spricht sich für eine „Integrationsvereinbarung“ mit Flüchtlingen aus. „Wer unser Asylrecht in Anspruch nimmt, der muss sich zu unseren rechtsstaatlichen Spielregeln, zu den Grundsätzen unserer Verfassungskultur bekennen“. Regelverstöße müssten bestraft werden.
Bestärkt fühlen dürfen sich die Merkel-Kritiker durch den Bundespräsidenten. Der hatte am Wochenende – ausgerechnet anlässlich der Eröffnung der interkulturellen Woche der christlichen Kirchen – gesagt: „Unser Herz ist weit, doch unsere Möglichkeiten sind endlich.“ Mit Bezug auf Gauck hat Unionsfraktionsvize Hans-Peter Friedrich (CSU) am Montag erklärt, die „allermeisten“ Bürger wüssten, dass jede Integrationskraft „an eine Grenze kommt“. Auf Europa bewegten sich „die Massen“ zu.
Und was macht Peter Tauber? Tapfer versucht der CDU-Generalsekretär Angela Merkels Ruf zu retten. Am Montag erklärte er gegenüber der Nachrichtenagentur AFP, seine Parteivorsitzende habe stets gesagt, dass nicht alle nach Deutschland kommenden Flüchtlinge bleiben könnten. „Die Aussage ist weiter gültig und richtig und steht nicht im Widerspruch zur kurzfristigen Grenzöffnung für Flüchtlinge in Ungarn.“ Das zu tun, sei ein Gebot der Menschlichkeit gewesen, um eine humanitäre Katastrophe abzuwenden. Tauber: „Es ist aber auch ein Gebot der Verantwortung, konsequent nicht bleibeberechtigte Flüchtlinge abzuschieben, um auch weiter Hilfe für tatsächlich Schutzbedürftige leisten zu können.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau