"Parsifal"-Premiere in Braunschweig: Vom Riesen gerettet
Wenn Braunschweigs Staatstheater „Parsifal“ spielt, muss es sich durchsetzen gegen die anderen Häuser. Aber es hat auch Oleksandr Pushniak.
![](https://taz.de/picture/141540/14/c_Parsifal_SB_130930_007.jpeg)
HAMBURG taz | Am Anfang war es so, dass das Braunschweiger Staatstheater eine große Chance war für Oleksandr Pushniak. Jetzt ist es so, dass Oleksandr Pushniak eine große Chance ist für das Staatstheater Braunschweig.
Man muss ein bisschen ausholen, um das zu erklären: Es liegt an Amfortas. Der hat sich verführen lassen, das ist lange her, und trägt seitdem eine faulige Wunde mit sich herum. Eine Wunde, die sich niemals schließt. Beziehungsweise: erst dann, wenn der Speer sie noch einmal berührt, der sie aufgerissen hat.
Das ist unmöglich, gelingt am Ende aber trotzdem. Ganz verstehen lässt sich das nicht. Viele, VIELE Regisseure haben dafür nach Erklärungen gesucht, nicht alle haben eine gefunden. Welchen Reim sich Yona Kim nun in Braunschweig darauf macht, in ihrer Inszenierung von Richard Wagners letztem großen Werk „Parsifal“, um das es hier geht?
Pushniak nun, dieser Riese aus der Ukraine, der, wenn er singt, fließend deutsch spricht, aber nur dann, mit dieser warmen Stimme, die gleichzeitig hart ist und unfassbar weich – dieser Oleksandr Pushniak ist jetzt der Braunschweiger Amfortas. Nicht zum ersten Mal, aber zum ersten Mal ganz.
Seit 2011 ist er Mitglied im dortigen Ensemble, es ist sein erstes festes Engagement, Braunschweig ist Braunschweig, hier wird man nicht berühmt – dafür wird man hier besser. Hier konnte Pushniak Sicherheit gewinnen, Rollen einstudieren, die ein Bass besser im Repertoire hat: Falstaff, Kurwenal, den Figaro.
Einladung nach Bayreuth
Und dann, kurz vor seinem 30. Geburtstag, gewann er. Holte den ersten Preis und den Publikumspreis beim Internationalen Gesangswettbewerb für Wagner-Stimmen 2012; da sitzen in der Jury Menschen, die einem jungen Wagner-Sänger sehr nützlich sein können. Die Jury-Vorsitzende – das sollte man dazu sagen: Festspielleiterin Eva Wagner-Pasquier – lud ihn sofort nach Bayreuth ein, im viel beachteten Jubiläums-„Ring“ im Sommer 2013 debütierte er als Donner in „Das Rheingold“.
Regisseur Frank Castorf ließ ihm Koteletten ankleben, so dick, dass man ihn nicht erkannte, aber man hörte ihn ja, kurz nur, aber: Man hörte ihn. IHN. Wer ihn vor der Premiere durch die Gänge des Festspielhauses laufen sah, der sah: einen jungen Bass, sehr verbindlich, sehr freundlich, ein bisschen ungläubig darüber, was ihm da passiert ist.
Eines der beiden Stücke, die Oleksandr Pushniak beim Wettbewerb vorsang, war die große Arie des Amfortas. Amfortas, der Gralskönig, muss den heiligen Gral enthüllen, er will nicht, weil der Anblick seine Wunde wieder aufreißen lässt. Er hat aber keine Wahl, weil sonst seine Gralsritter zugrunde gehen, in einer merkwürdigen Welt, in der Sex böse ist, Weiblichkeit überhaupt ein Grundproblem und Erlösung das höchste Ziel.
Gestandene Männer weinen
Etwas schlüssiger wird die Handlung, wenn die Musik dazukommt, im Vorspiel zum ersten Aufzug beginnt sie zu schweben, fliegt immer höher und kracht dann von ganz oben durchs Dach. Sie verursacht ein Ziehen im Magen und in der Leiste und macht, manchmal, dass gestandene Männer weinen.
Wie das alles in Braunschweig klingen wird, mit Alexander Joel am Pult, das zeigt sich an diesem Wochenende. Oleksandr Pushniak jedenfalls, dem das Staatstheater Braunschweig sehr nützlich war, ist nun dem Staatstheater Braunschweig nützlich. Er ist jetzt der Retter des Braunschweiger „Parsifal“ – der Retter aus der drohenden Beliebigkeit.
Denn wo steht der „Parsifal“ in diesem Jahr nicht noch alles auf dem Spielplan: Berlin, Chemnitz, Detmold, Essen, Freiburg, Hamburg, Köln, Leipzig, Lübeck, Mannheim, München, Stuttgart, Salzburg, Wien, Zürich. Und das sind nur die Städte im deutschsprachigen Raum. Es ist Wagner-Jahr, immer noch. Da ist ein Name, eine Hoffnung Gold wert. Einer wie Pushniak.
■ „Parsifal“, Premiere: 5. Oktober, 16 Uhr, Einführung 15.30 Uhr, Braunschweig, Staatstheater
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Erpressungs-Diplomatie
Wenn der Golf von Mexiko von der Landkarte verschwindet
80 Jahre nach der Bombardierung
Neonazidemo läuft durch Dresden
Zwei Todesopfer nach Anschlag in München
Schwer verletzte Mutter und Kind gestorben