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Parlamentswahlen in IsraelSchwere Hypothek Gaza-Streifen

Für Israels palästinensische Staatsbürger beginnt die Selbstfindung nach dem Krieg gegen die Hamas von vorn. Am Dienstag werden vermutlich viele den Wahlurnen fernbleiben.

Zwischen den Trümmern: Spielende Kinder im Gaza-Streifen. Bild: dpa

"Das Blut, das in Gaza vergossen wurde, ist auch unser Blut", steht auf einem riesigen Plakat an der Einfahrt nach Kfar Kara, einem palästinensischen Dorf im Norden Israels. Es zeigt einen jungen Mann, der seine verletzte Tochter auf den Armen trägt. Seit Ende Dezember, als die Militäroperation im Gazastreifen begann, sind die israelischen Palästinenser noch weniger als vorher Teil des nationalen Konsens.

Keiner der drei Spitzenkandidaten für die nächste Woche anstehenden Parlamentswahlen ist für sie wählbar. Zipi Livni (Kadima) und Ehud Barak (Arbeitspartei) hatten unmittelbar über den Krieg mitentschieden, während der Dritte, Benjamin Netanjahu vom konservativen Likud zustimmend Beifall klatschte. Umfragen prophezeien die geringste Wahlbeteiligung unter den Palästinensern in Israel, irgendwo bei 45 Prozent.

Rund 700 Demonstranten waren innerhalb des gut dreiwöchigen Krieges in den arabischen Ortschaften vor allem in Galiläa verhaftet worden. Aufgrund der Erfahrung der blutigen Auseinandersetzungen im Herbst 2000, als 13 israelische Palästinenser von der Polizei erschossen wurden, gab die arabische Führung diesmal Kommando zum "kontrollierten Protest" ohne jede Gewalt, was funktionierte. Trotzdem wuchs die Spannung zwischen den beiden Völkern im Land. Die Stigmatisierung erreichte ihren Höhepunkt mit dem Versuch des parlamentarischen Wahlausschusses, zwei der arabisch-israelischen Listen zu verbieten. Eine Entscheidung, die zwar kurz darauf vom Obersten Gerichtshof annulliert wurde. Den neu entstandenen Riss konnten die Richter nicht mehr kitten.

Im Ring standen Achmad Tibi, Chef der Vereinten Arabischen Liste "Raam-Ta¥al", und sein Haupt-Gegenspieler Avigdor Liebermann von der rechts-nationalen "Israel Beteinu" ("Israel - unser Heim"). Tibi nannte die Entscheidung des Parlamentsausschusses, die von der Atmosphäre des Krieges mitbeeinflusst sei, einen "Schritt zurück ins Mittelalter" und schimpfte Liebermann einen "Faschisten". Der wiederum kündigte an, Israel werde "einige der arabischen Abgeordneten so behandeln, wie wir es mit der Hamas getan haben".

Der anti-arabische Ton verschärft sich und Lieberman ist längst nicht mehr der einzige, der gegen die Minderheit hetzt. Der Likud-Abgeordnete Jechiel Hasan verglich die Palästinener mit "Würmern" und der neue rechts-radikale Kandidat für die gleiche Liste Mosche Feiglin ruft offen zum Transfer der rund 1,3 Millionen arabischen Staatsbürger auf. Dabei hatte Netanjahu, als er die Wahlen 1996 für sich entschied, die arabischen Parteien noch in seine Koalition eingeladen, was diese jedoch dankend ablehnten.

Nicht abgelehnt hätten sie ein Zusammengehen mit Ehud Barak, der drei Jahre später die Wahlen gewann. Der Sozialdemokrat hatte den arabischen Listen eine Regierungskooperation versprochen, wenn die Parteien ihre Wähler für ihn mobilisierten. Damals lag die Wahlbeteiligung im arabischen Sektor immerhin bei 78 Prozent, von denen wiederum 99 Prozent für Barak als Premierminister stimmten. Noch in der Wahlnacht kündigte Barak dann wider sein Versprechen an, eine Koalition nur aus zionistischen Parteien zu bilden.

Am besten funktionierte die Koexistenz in den Jahren der Regierung des Sozialdemokraten Yizhak Rabin von 1992 bis 1995. Damals hatten die israelischen Palästinenser die Rückendeckung des PLO-Chefs Jassir Arafat, der sie als politisches Kapital in Israel brauchte, um Rabin zu unterstützen. "Wir waren niemals vorher und nie nachher dichter an der Regierung, als in dieser Zeit", erinnert sich Mohammad Darawshe, Direktor der "Abraham-Stiftung" zur Förderung der Koexistenz von jüdischen und arabischen Bürgern. "Der Osloer Prozess zeigte, dass wir nicht allein sind, sondern Teil der Lösung zwischen der PLO und Israel."

Mit dem politischen Rechtsruck, der sich für die Wahlen abzeichnet, werden die israelischen Palästinenser noch weiter ins Abseits geraten. Die Schlüsselfrage am Wahltag ist für sie deshalb nicht, für wen sie stimmen werden, sondern ob es überhaupt einen Sinn macht, die Stimme abzugeben. "Wir haben diese doppelte Identitätsfrage gründlich satt", meint Darawshe, der sich nur ein "Ende des Konflikts" wünscht, "zwischen unserem Volk und unserem Staat".

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7 Kommentare

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  • MS
    Michael Scheier

    Frau Knaul, Sie schreiben von den Spannungen zwischen den "beiden Völkern" in Israel. Bitte schreiben Sie doch, wen Sie mit diesen "beiden Völkern" meinen. Sollten Sie Palästinenser und Juden meinen, dann übernehmen Sie damit die Sprachregelung der Rechten; die brauchen diese Sprachregelung, damit man weiß, wen man zu "transferieren" hat. Aber in der Überschrift schreiben Sie ja, dass die Palästinenser "israelische Staatsbürger" sind. Also was denn nun, sind die Palästinenser in Israel ein eigenes Volk oder gehören sie ohne wenn und aber zum israelischen Staat. Geht die Verteidigung der Politik Israels in einem linken (?) Magazin jetzt schon so weit, dass wir auch schon die reaktonären Sprachregelungen der wahlkämpfenden Politiker übernehmen?

  • SL
    schon laenger in Israel

    "den neu entsatndenen Riss nicht mehr kitten koennen" - Frau Knaul, Sie entaeuschen mich zutiefst. Neu entstandener Riss? Die Palis in Israel lebten bis Ende der Sechziger unter Militaergesetz, und bis heute sind sie Opfer systematischer Diskriminierung in Bildung, Arbeit,Landfragen, Politik und Opfer eines latenten israelischen Rassismus. Den Riss, den gibt's schon laenger, und die humus-falafel Koexistenten der Avraham Stiftung wuerde ich nun wirklich nicht als Quelle heranziehen. Vielleicht waere es mal an der Zeit, sich etwas aus dem Kibbutzpastoralismus Ihres Wohnortes herauszubewegen? Oder sich etwas mehr mit Hintergrundliteratur beschaeftigen?

    an die taz: hat Gysi Ihnen auch eine "bloss nicht Israel kritisieren" Doktrin vorgelegt? Anders kann ich nicht verstehen, wie diese uninformierten und einseitigen Artikel Ihrer Korrespondentin zustande kommen. Sogar die ARD ist mittlerweile vielseitiger als die taz, auf jeden Fall in der Nahostberichterstattung. Tarurig, traurig.

  • T
    t.s.

    Dieser Bericht ist wieder mal eine schöne Demonstration der manipulativen Fähigkeiten von Frau Knaul.

     

    Ich möchte dazu im folgenden nur einen Satz aus dem 'Bericht' betrachten. Auf andere Manipulationen - etwa die Verwendung des Euphemismus 'Transfer' für 'Ethnische Säuberung', ein in der 'einzigen Demokratie des Nahen Ostens' ganz alltägliches Wahlkampfthema - muss man vielleicht nicht nochmals hinweisen.

     

     

    Der bewusste Satz lautet:

     

    > Aufgrund der Erfahrung der blutigen Auseinandersetzungen im Herbst 2000, als 13 israelische Palästinenser von der Polizei erschossen wurden, gab die arabische Führung diesmal Kommando zum "kontrollierten Protest" ohne jede Gewalt, was funktionierte.

     

    Die Ermordung von dreizehn Pal. mit isr. Pässen durch die israelische Polizei - die für die Täter nach meinem Wissen keine Konsequenzen hatte - wird von Knaul zunächst zu einer 'blutigen Auseinandersetzung' gemacht, gerade so als hätten die Palästinenser ebenfalls auf isr. Polizisten ge- und ein Dutzend erschossen.

    So gelingt es ihr erst einmal den Unterschied zwischen Agressor und Opfer einzuebenen.

     

    Das scheint aber noch nicht ausgereicht zu haben, weshalb sie zusätzlich den Eindruck zu erwecken versucht, dass das Problem auf der Seite der 'arabischen Führung' gelegen habe, welche die Araber nicht hinreichend 'kontrolliert' hätte, womit es ihr schliesslich gelingt den Opfern die Verantwortung für ihre Ermordung zuzuweisen!

     

    Abgeschlossen wird dieses Kabinettstückchen durch ein affirmatives "was funktionierte" - das von den Betroffenen nur als Hohn empfunden werden kann.

    Denn was hier tatsächlich funktioniert, ist allein die mörderische Einschücherung des israelischen Staates. Seine Drohung, Palästinenser - obschon nominell Bürger des isr. Staates - durch seine Organe töten zu lassen - straflos für die Täter selbstverständlich - eine Konstante im Handeln dieses Staates.

     

    ts

  • T
    Tigerin

    Die von Frau Knaul einfach so übernommene Sprachregelung "Transfer" läßt mich ein weiteres Mal vermuten, dass Frau Knaul zu wenig Distanz zu den Verantwortlichen Israels pflegt.

    Das Verhalten des 'Westens' mit der bedingungslosen Unterstützung für Israels Politik läßt in Israel sicher die Hoffnung keimen, dass die Palästinenser wirklich eines Tages hinweg'transferiert' werden könnten. Wohin? Völlig egal. Evtl. hegen manche in Israel auch die Hoffnung, dass die Palästinenser irgendwann von selber weg gehen wollen, wenn ihnen Israel nur die Lebensbedigungen immer weiter verschlechtert.

    Es gibt ja Israelis die von einem 'Groß-Israel' träumen. Gründe wird es schon geben, dass Israel sich an keinerlei Abmachungen hält - und trotz Verhandlungen und 'Roadmap' usw die Siedlungen im besetzten Palästina permanent ausweitet.

  • C
    Colleen

    Wenn die Faschisten an der Macht sind, blüht Krieg und Terror. Als nächstes wird dies wohl die iranische Bevölkerung zu spüren bekommen.

  • S
    saamida

    Wenn israelische Politiker zum Transfer aufrufen, dann meinen sie Vertreibung. Der Begriff muss in Anführungsstrichen stehen. Ansonsten wird suggeriert, dass die Autorin und die taz sich der Sprachregelung anschließen.

     

    Und noch etwas zum Thema Sprachregelungen: Sind deutschsprachige KorrespondentInnen eigentlich gezwungen, bei Frau Livni als Vornamen das verniedlichende "Zipi" zu übernehmen? Warum wird Frau Livni nicht bei ihrem vollen Namen Tsipora genannt? Benjamin Netanyahu heisst in Teilen der israelischen Presse zwar gelegentlich auch "Bibi". In der deutschen Berichterstattung wird diese Verkleinerungs- bzw. Verniedlichungsform aber nur sehr selten übernommen, und wenn, dann meist nur in Anführungszeichen. Es ist nicht ersichtlich, warum das bei Tsipora Livni anders sein soll. Zumal weder die Dame selbst noch ihre Politik in irgendeiner Weise niedlich sind.

  • PF
    Peter Freudenthal

    Auch Frau Livni hat die Palästinenser mit israelischem Pass aufgefordert, sich ihre Zukunft in einem (virtuellen?) Palästina zu suchen.