Parlamentswahl in der Türkei: Geheimdienstchef will an die Macht
Hakan Fidan ist ein Weggefährte von Präsident Erdogan. Nun wird über seine Zukunft spekuliert. Die Oppositon befürchtet einen Polizeistaat.
ISTANBUL taz | Noch sind es vier Monate bis zur Parlamentswahl in der Türkei, und doch ist die wichtigste Personalie schon entschieden. Der Chef des mächtigen Geheimdienstes MIT, Hakan Fidan, hat am Dienstag sein Amt niedergelegt, um für einen Sitz im Parlament zu kandidieren.
Da kein Zweifel besteht, dass Fidan für die regierende AKP ein Mandat bekommen wird, und da nicht davon auszugehen ist, dass der einstige Geheimdienstboss dann einfacher Abgeordneter bleibt, wird bereits jetzt heftig spekuliert, für welchen Posten sich Hakan Fidan vorbereitet.
Während einige Kommentatoren davon ausgehen, dass Fidan demnächst ein neu zu schaffendes, über allen anderen Ministerien stehendes Sicherheitsministerium leiten wird, vermuten andere, dass mit Fidan jemand in Stellung gebracht wird, der Ministerpräsident Ahmet Davutoglu ersetzen und zusätzlich den Vorsitz der AKP übernehmen könnte.
Für die erste Variante spricht, dass derzeit im Parlament heftig über ein neues Paket von Sicherheitsgesetzen diskutiert wird. Nach Meinung der Opposition würde die Türkei damit in einen Polizeistaat verwandelt, als dessen oberster Lenker Hakan Fidan geradezu prädestiniert wäre.
Werden die Geheimdienste zum bewaffneten Arm der AKP?
Er ist ein intimer Kenner des Sicherheitsapparates und würde wohl die Gewähr dafür bieten, dass Polizei und Geheimdienste quasi als bewaffneter Arm der AKP eingesetzt werden könnten. Selbst der stellvertretende Ministerpräsident Bülent Arinc sprach kürzlich davon, dass der Hass jener Hälfte der Bevölkerung, die nicht die AKP wählt, auf die Regierung immer größer wird. Damit könne das Land unregierbar werden, und man gehe wohl davon aus, eine solche Parteiarmee nötig zu haben.
Hakan Fidan war schon als Geheimdienstchef der mächtigste Bürokrat der Türkei. Viele sehen ihn und nicht Ministerpräsident Ahmet Davutoglu schon jetzt als den eigentlichen zweiten Mann hinter Präsident Recep Tayyip Erdogan. Der misstrauische Erdogan, der überall Verschwörungen wittert, vertraut ihm und nannte ihn den Mann, „der meine Geheimnisse bewahrt“.
Taktische Manöver des türkischen Präsidenten
Umso erstaunter war die türkische Öffentlichkeit, als Erdogan vor wenigen Tagen am Rande einer Lateinamerikareise verkündete, er habe eigentlich gewollt, dass Hakan Fidan Geheimdienstchef bleibt. Doch Fidan und Davutoglu hätten nicht auf ihn gehört. Wie das? Sollte etwa die rechte Hand Erdogans und seine Marionette als Ministerpräsident plötzlich nicht darauf hören, was ihr Chef will? Gibt es einen Aufstand Davutoglus mit Fidan als neuem Verbündeten?
Doch letztendlich setzte sich die Auffassung durch, dass es sich dabei nur um ein taktisches Spiel Erdogans handelt, um Fidan die Gelegenheit zu geben, sich als vermeintlich unabhängiger Politiker zu profilieren. Alles andere ist im System Erdogan bei einer solchen Personalie auch undenkbar.
Fidan führt die Verhandlungen mit der PKK
Denn auch jetzt bleibt Hakan Fidan Erdogans wichtigster Mann. Als Chef des MIT hat Fidan die Verhandlungen mit der kurdischen PKK über einen Waffenstillstand und eine politische Lösung des Kurdenproblems geführt. Es ist Hakan Fidan, der mit dem inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali über die Grundzüge einer kurdischen Autonomie diskutiert.
Gerade jetzt gehen diese Gespräche in ihre entscheidende Runde. Erdogan und Fidan wollen Öcalan dazu bewegen, zum kurdischen Neujahrsfest Nevroz am 21. März einen endgültigen Gewaltverzicht der PKK zu verkünden. Da wird Hakan Fidan dringend gebraucht. Ein Zerwürfnis zwischen dem Präsidenten und seinem besten Mann scheint so ausgeschlossen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
80 Jahre nach der Bombardierung
Neonazidemo läuft durch Dresden
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen