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Parlamentswahl in KroatienKriegsrhetorik feiert fröhliche Urständ

Kroatiens Parteien überbieten sich vor der Wahl am Sonntag mit kraftmeierischen Sprüchen. Das linke Lager sieht sich dabei im Aufwind.

Der „starke Mann“ der HDZ: Tomislav Karamarko Foto: reuters

Sarajevo taz | Die Parlamentswahl am 11. September im jüngsten EU-Mitgliedsland Kroatien werden nach Ansicht vieler Beobachter so etwas wie eine Schicksalswahl sein. Denn nach dem unseligen nur sechs Monate dauernden Intermezzo der letzten von der konservativ-nationalistischen HDZ (Kroatische Demokratische Gemeinschaft) angeführten Regierung muss das Land einen gewaltigen Reformstau bewältigen.

Zwar hat der um 25 Prozent gestiegene Tourismus dieses Jahr die Zahlungsbilanz des Landes erheblich verbessert, auch das Wirtschaftswachstum war schon 2015 mit 1,6 Prozent erstmals wieder positiv ausgefallen, doch die Probleme mit der drückenden Auslandsverschuldung, der Arbeitslosigkeit von knapp unter 20 Prozent und den notwendigen Reformen in Verwaltungen, Gemeinden und beim Staatsaufbau insgesamt blieben in den letzten Jahren ungelöst. Die neue Regierung – so empfehlen Thinktanks – muss endlich die Weichen für die Zukunft stellen und sich aus den bisherigen Grabenkämpfen befreien.

Bisher bekämpfen sich die beiden großen Parteienblöcke mit allen Mitteln. Mehr als 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg ist die Gesellschaft immer noch emotional in das Lager der Partisanen und der Ustaschen gespalten, in die Front der Widerständler gegen den Faschismus und in die Front der Relativierer der profaschistischen Ustascha-Diktatur. Heute werfen die Konservativen den Sozialdemokraten und ihren Verbündeten vor, im Unabhängigkeitskrieg 1991–95 unsichere Kantonisten gewesen zu sein.

Das linke Lager hält dagegen der rechtsnationalen HDZ vor, unter dem Schutzschirm des „Kroatentums“ das Staatseigentum zugunsten einiger Profiteure privatisiert zu haben. Als erneuten Beweis für die Korruption der Rechten gilt der „starke Mann“ der HDZ, Tomislav Karamarko, dessentwegen die letzte Regierung stürzte.

Sozialdemokraten vorne

Es war nämlich ruchbar geworden, dass seine Frau Ana Karamarko für einen Lobbyisten der ungarischen Erdölgesellschaft MOL gearbeitet und Ehemann Tomislav den Verkauf von Anteilen der kroatischen Erdölgesellschaft INA an die MOL unterstützt hatte. Da Karamarko gleichzeitig nationalistisch-autoritäre Töne anschlug und den ungarischen Ministerpräsidenten Orbán als Vorbild für seine Politik hinstellte, unterhöhlte er die Position der Koalitionsregierung unter Führung des parteilosen Tihomir Orešković.

Dem Lager der Partisanen steht scheinbar das der Ustascha-Anhänger gegenüber

Unabhängige Intellektuelle wie der Exverleger Nenad Popović gehen deshalb davon aus, dass sich das schlechte Wahlergebnis der Linken vom 8. November 2015 diesmal nicht wiederholen wird. „Es gibt gar keinen Wahlkampf, weil ein großer Teil der 3,7 Millionen Wähler schon in den letzten Monaten ihre Entscheidung getroffen hat“, sagt Popović. Im November 2015 konnte die HDZ noch eine Koalition mit der damals überraschend erfolgreichen, von der katholischen Kirche gelenkten Protestpartei Most (Die Brücke) bilden, die 20 Prozent der Stimmen erringen konnte.

Viele nationalistische Töne

Nach allen Umfragen liegen jetzt die Sozialdemokraten unter Zoran Milanović vor der HDZ, der Anteil von Most würde demnach halbiert werden, während dem linksliberalen Lager mit der Alternativpartei Zivi Zid (Lebende Mauer) und der Istrischen Regionalpartei IDS weitere Bündnispartner zuwachsen.

Nach Presseberichten soll der Sozialdemokrat Zoran Milanović dennoch versucht haben, im rechten Wählerpotenzial zu fischen. Dieser Eindruck kam auf, nachdem er ein vertrauliches Gespräch mit den gewöhnlich stark nationalistischen Kriegsveteranen geführt hatte.

Von interessierter Seite redigierte Teile des Gesprächs erschienen später in der Tageszeitung Jutarnji list. Die als antiserbisch eingestufte Aussage von Milanović, der serbische Ministerpräsident Vučić sei während des Krieges der 90er Jahre ein extremer Nationalist gewesen, ist allerdings keine Anbiederung an die kroatischen Rechten, sondern eine Tatsache.

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