Park: Chillen zwischen ICE und Rhabarber
Am Gleisdreieck ist ein Raum entstanden, der metropolitan ist und in dem es dennoch um Entschleunigung geht.
Von Erholung kann an der Flotwellstraße keine Rede sein. Wer den neuen Westpark auf dem Gleisdreieck hier betritt, wird vom Tak-tak-tak der Pressluftbohrer empfangen, die letzte Reste der Ursprungsbebauung schleifen. Hochpreisige Wohnungen sollen hier entstehen, sie verengen den frisch eröffneten Park an seinem nördlichen Ende zu einem schmalen Schlauch.
Auch im Inneren der Anlage, die in den vergangenen Jahren auf dem Gelände des ehemaligen Potsdamer Güterbahnhofs entstanden ist, gehört Lärm dazu. Ein dosierter Lärm freilich, dessen Takt der BVG-Fahrplan vorgibt: Auf Viadukten rauschen die Züge der U-Bahnlinien 1 und 2 über die Köpfe der Besucher hinweg. Die U2, die, von der Bülowstraße kommend, zum Gleisdreieck eine scharfe Kurve machen muss, quietscht dabei zum Steinerweichen. Dagegen rauschen die ICEs, die etwas weiter südlich in den Tiergartentunnel eintauchen, sehr dezent.
Dies hier ist eben ein Knotenpunkt, an dem sich Verkehrswege auf mehreren Ebenen kreuzen. Ein sehr urbaner Ort, obwohl hier nach dem Krieg jahrzehntelang Brache und Wildnis war, sich dann Kiesberge und Zementsilos für die Baustellen am Potsdamer Platz breitmachten und sich nun ein Park als Lichtung im Dickicht der Stadt auftut. Die These sei erlaubt: Der jetzt komplette Park am Gleisdreieck ist so ziemlich das Beste, was dem Gelände passieren konnte.
Nicht jeder sieht das so. Ein Blogger schimpft über die „Wüste aus Asphalt, Rasen und Abstellplätzen für Kinder“, und der BUND bemängelte anlässlich der Eröffnung des Westparks am 1. Juni, das Ziel einer naturnahen Parkgestaltung sei „nicht erfüllt und Chancen für eine Pflanzen, Tieren und Menschen nützliche Grünfläche“ seien „vertan“ worden. Der Senat habe mit dem Eigentümer Vivico schlecht verhandelt, der Park falle viel kleiner aus als ursprünglich geplant, die Interessen der Anwohner seien abgebügelt worden.
Diese Argumente sind nicht einfach von der Hand zu weisen. Aber – was die „Asphaltwüste“ angeht – ein Park mitten in der Großstadt kann eben nicht nur Biotop sein, auch wenn die zugewucherten Brachflächen auf dem Gleisdreieck wildromantisch waren. Jetzt gibt es viel freie Fläche, ja: auch Rasen, auch Asphalt, aber Skater und radfahrende Kinder lieben Asphalt, wenn er nicht von Autos zugestellt ist, und auf einer Wiese lässt es sich einfach besser picknicken als im Landschaftsschutzgebiet. Zusammen mit den Hochbahnen, die einen Hauch von West Side Story transportieren, der Skyline des Potsdamer Platzes und dem industriellen Design, das die Landschaftsarchitekten des Atelier Loidl dem Parkmobiliar gegeben haben, entsteht ein metropolitaner Raum, in dem es dennoch um Entschleunigung geht.
Und zum Thema Anwohnerinteressen: Am äußersten westlichen Parkrand ist das vielleicht überraschendste Projekt zu bestaunen: die „Gärten im Garten“, wie es die Parkbetreiber von der Grün Berlin GmbH nennen.
Hier steht Kristiana Elig von Freitag bis Sonntag in einem zum Open-Air-Café umgebauten Container und verkauft selbst gemachten Kuchen, Quiches und alles, was die Espressomaschine hergibt.
Die 40-jährige TV-Redakteurin arbeitet in Teilzeit und betreibt nun zusätzlich das Café Eule. Über Zulauf kann sie sich nicht beklagen: Die aus grobem Holz gezimmerten Sitze und die Strandstühle sind gut besetzt, dabei wirkt alles angenehm unprätentiös und improvisiert. Drumherum: Kleingärten, die dem Klischee so gar nicht entsprechen wollen: üppig wuchernd und bunt, die meisten mit Einblick für Parkbesucher.
Denn die Gärten der Kolonie POG (wie „Potsdamer Güterbahnhof“) sind fester Bestandteil des Parks geworden. „Das ist vor allem dem Engagement von Klaus Trappmann zu verdanken, mit dem wir jahrelang gegen unsere Vertreibung gekämpft haben“, sagt Elig, die hier auch einen Garten hat. Tatsächlich hatte Trappmann, der umtriebige Kolonie-Chef, in langen Verhandlungen mit der Stadtentwicklungsverwaltung und der Grün Berlin GmbH erreicht, dass die POG, eine echte Pflanze des alternativen Westberlin, ins Parkkonzept aufgenommen wurde – und ein bisschen von der sie umgebenden Wildnis auch.
Beim Schlendern durch die Kleingartenwege erfreut man sich dann an der Vorstellung, wie Kreuz- und Schöneberger Kids beim Blick über den Gartenzaun zum ersten Mal Tomaten oder Rhabarber wachsen sehen, um anschließend am „urbanen Strand“ neben dem ICE-Tunnelmund gepflegt zu chillen. Und denkt: Genau so geht Großstadt.
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