Paramilitärs in der Ukraine: Wer steckt unter der Sturmhaube?
Die Meldungen über die Angreifer im Osten der Ukraine und ihre Ziele sind unklar und oft widersprüchlich: 6 Fragen und 6 Antworten zur Lage.
Woher stammen die Besetzer?
Die Menschen, die täglich weitere Milizstationen und Verwaltungsgebäude im Donbass im äußersten Osten der Ukraine besetzen, treten in Gruppen von mehreren Dutzend bis maximal 200 Personen auf. Wie die Uniformierten auf der Krim, die ab Ende Februar plötzlich in den Städten der Halbinsel patrouillierten und keine Hoheitszeichen trugen (sog. „grüne Männchen“), sind auch diese gut ausgerüstet. Viele tragen neue Kampfuniformen, Sturmmasken, schusssichere Westen und sind mit dem russischen Kalaschnikow-Sturmgewehr AK-100 ausgerüstet, das bisher nicht in der Ukraine verfügbar sein soll. Das könnte auf russische Hintermänner hindeuten.
Die Ukrainska Prawda meldete am Montag zudem, dass der Sturm auf die Milizverwaltung von Gorlowka, einer 250.000-Einwohner-Stadt nördlich von Donezk, von einem Oberstleutnant der russischen Armee aus Simferopol angeführt wurde. Als solcher stellte sich der Mann den Milizionären vor, die zu den Separatisten übergelaufen waren. Beim Sturm auf die Milizverwaltung von Kramatorsk am Samstag haben sich die Angreifer als Afghanistanveteranen, Mitglieder von Landungstruppen und Grenztruppen bezeichnet. Viele Besetzer nennen sich selbst „Hiesige“, fallen aber den Einheimischen durch Ortsunkenntnis auf.
Russlands Außenminister Sergei Lawrow beharrte am Montag darauf, dass sich unter den Besetzern keine russischen Geheimdienstagenten befinden.
Woher stammen Waffen und Ausrüstung?
Große Teile der Ausrüstung könnten aus den Waffenkammern der Gebietszentrale des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes SBU in Lugansk stammen, die in der vergangenen Woche besetzt und ausgeräumt worden sein sollen.
Was wollen die Besetzer?
Die Forderungen gehen auseinander. Ein Referendum ist meist dabei. Die einen fordern nur Selbstverwaltung für den Osten der Ukraine („Föderalisierung“), andere eine vollständige Autonomie, wieder andere wollen einen schnellen Anschluss an Russland. Verlangt wird auch die Freilassung von festgenommenen Separatisten. Insgesamt scheinen die Forderungen der Besetzer aufeinander oft nicht abgestimmt zu sein.
Bei der zeitweiligen Besetzung der SBU-Gebietszentrale in Lugansk forderten die Besetzer eine Amnestie für die Berkut-Spezialeinheiten der Polizei und eine Stärkung des Status der russischen Sprache. Wieder andere Forderungen stellen die Sympathisanten, die sich vor den besetzten Gebäuden versammeln. Viele wollen von Kiew nur „gehört werden“ und fordern mehr „Respekt“.
Welchen Status hat die russische Sprache in der Ukraine?
Seit der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 ist Ukrainisch alleinige Amtssprache. Sie wird von 32 Millionen Menschen als Muttersprache gesprochen. 2009 hatte Wiktor Janukowitsch im damaligen Präsidentschaftswahlkampf seinen überwiegend aus der Ost- und Südukraine stammenden Wählern versprochen, Russisch als zweite Amtssprache einzuführen. Ein Gesetz von 2012 erhob Russisch überall dort, wo mindestens zehn Prozent der Bevölkerung Russisch als Muttersprache sprechen, in den Rang einer regionalen Amtssprache. Russisch durfte in Gerichten, Behörden und anderen staatlichen Institutionen benutzt werden. Die Kiewer Übergangsregierung schaffte das Gesetz im Februar ab, machte diesen Schritt jedoch wieder rückgängig.
Warum werden die Besetzungen nicht wirkungsvoller verhindert?
Juri Luzenko, der frühere ukrainische Innenminister, führt das darauf zurück, dass der Janukowitsch-Clan nach wie vor die gesamte Milizführung im Osten der Ukraine kontrolliert. Die Spitze der Miliz erhalte bis heute Geld vom Janukowitsch-Clan, dessen Geschäfte derzeit ein Janukowitsch-Sohn führe.
Hinzu kommt, dass große Teile der Miliz demoralisiert sind. Der Journalist Dmitri Tymtschuk ist davon überzeugt, dass viele Milizionäre mit dem Versprechen gekauft werden, dass sie im Falle eines Anschlusses an Russland auf ihren Posten verbleiben dürfen und sich ihr Gehalt vervierfachen wird.
Was hat es mit der „Armee des Südostens“ auf sich?
Die „Vereinigte Armee des Südostens“ hat sich erstmals bei der Besetzung der SBU-Gebietszentrale in Lugansk am 8. April zu Wort gemeldet. Der Koordinationsrat ruft darin zur Verteidigung der Familien der Region und zum Kampf gegen die „Junta in Kiew“ auf. Ihre Stärke ist unbekannt, sie ist dem Kreis der Besetzer zuzurechnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist