Paralympics in Rio: Eine alles überstrahlende Rekordserie
Bei den Paralympics demonstriert China seine Vormachtstellung. Seit über zehn Jahren werden die Sportler aufwändig gefördert.
2000 in Sydney lagen die Chinesen noch auf Rang sechs des Medaillenspiegels, seither immer auf Platz eins. 2012 in London sammelten sie fast doppelt so viele Medaillen wie Gastgeber Großbritannien. „Daran werden wir uns gewöhnen müssen“, sagt Karl Quade, Chef de Mission des deutschen Teams. Von irgendwoher weht in Rio immer die chinesische Hymne herüber. Bis Dienstag waren es 147 Medaillen, 63 in Gold.
Begonnen hat die Offensive Anfang des Jahrtausends, mit Blick auf die Paralympics 2008 in Peking. Im ganzen Land wurden Stützpunkte aufgebaut und zehntausende Menschen gesichtet. In China leben offiziell 83 Millionen Menschen mit einer Behinderung, so groß ist die Bevölkerung Deutschlands. Von den chinesischen Topathleten konnte 2008 nur jeder Zehnte für die Spiele nominiert werden.
„Das ist ein Darwinismus“, sagt Karl Quade, „den andere Länder sich nicht leisten können oder nicht leisten wollen.“ Die Paralympics in Peking wurden ein Erfolg: durch ausverkaufte Wettkämpfstätten, fast 50.000 freiwillige Helfer, eine breite Berichterstattung und etliche Querverbindungen zwischen Sport, Kultur und Wirtschaft.
Hohes Niveau der Sportwissenschaft
Die Regierung erkannte, dass sie so nach außen leicht einen gütigen Sozialstaat präsentieren konnte. Mehr als fünfzig Jahre hatte sich das Zentralkomitee nicht wirklich mit Behindertenpolitik beschäftigt. Es war Deng Pufang, der das ändern wollte. Der Sohn des Reformpolitikers Deng Xiaoping ist selbst auf einen Rollstuhl angewiesen. Maos Rotgardisten hatten ihn während der Kulturrevolution zu einem Fenstersprung genötigt. Deng Pufang gründete 1988 den Chinesischen Behindertenverband. Gesetze in Bildung und Sozialhilfe wurden auf den Weg gebracht, es entstanden Rollstuhlrampen, Blindenwege, U-Bahn-Fahrstühle.
Auf diesem Fundament wächst nun das Netz des Leistungssports. Das Herz ist das Nationale Behindertensportzentrum am Stadtrand von Peking, mit einer Größe von 30 Hektar, mit einer modernen Architektur aus Stahl und Glas, mit Halle, Schwimmhalle, Radbahn und einem weitläufigen Park. 800 Athleten können dort untergebracht sein. Überdies entstehen gerade 100.000 Sporthallen im Land.
„Die Sportwissenschaft ist in China auf hohen Niveau“, sagt Karl Quade, der mehrfach in Peking zu Besuch war. Regelmäßig kommen chinesische Funktionäre für Exkursionen nach Europa und Nordamerika. „Vieles wird dann einfach kopiert und angepasst“, sagt Quade. „Aber wenn wir nach Peking reisen und Fragen stellen, werden wir eher abgeblockt.“
China strebt im IPC keine Machtpositionen an
Die Chinesen sind unauffällig in ihrer Dominanz, sie streben im Internationalen Paralympischen Komitee (IPC) keine Machtpositionen an. Sie verpflichten ausländische Trainer und Prothesen-Experten. In Rio sind sie nun mit 310 Athleten in allen 22 Sportarten vertreten, kein Team ist größer. Lediglich 20 Prozent der chinesischen Athleten sind älter als dreißig, auch das ist ungewöhnlich. Weit weniger erfährt man dagegen über das Antidopingsystem. Unabhängige Kontrolleure haben sich mehrfach über Einschränkungen auf ihren Reisen durch China beschwert.
Es gibt offene Fragen, auch in der Gesellschaft. Unabhängig von den Fortschritten: In China leben drei Viertel der behinderten Menschen auf dem Land. Eine Million Kinder kommt jährlich mit einer Behinderung auf die Welt, und diese Zahl dürfte weiter wachsen, wegen Umweltschäden und früherer Abtreibungen der Mütter durch die Ein-Kind-Politik. Hunderte Babys und Kinder werden täglich von überforderten Eltern ausgesetzt.
Diese Fakten aber spielen in Rio keine Rolle, die chinesische Rekordserie überstrahlt alles. 2022 finden dann die Winterspiele in Peking statt. Karl Quade: „Auch dafür wird längst alles in Bewegung gesetzt.“
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