Papst in Deutschland: Wenn das Fieber steigt
Der Papst geht auf Tournee durch die Republik. Was löst das aus? Abneigung. Zuneigung. Eine Expedition in die Seelenwelt von Anbetern und Hassern.
BERLIN taz | Papstfieber. „38 Grad“ bei Nathalie Mutter – Ministrantin ist sie. Noch höher ist es bei Schwester Hanna-Lucia. Sie zog wallfahrend durch Südbaden, um Benedikt XVI. den Weg zu bereiten.
Auch in der katholischen Schule in Erfurt ist die Temperatur erhöht. Aber auf eine werktätige Weise. Und in Berlin erst. Da wird das Fieber als Reinigung verstanden. Wer es durchsteht, steht hinterher mit besserer Abwehrkraft da. Wo stehen? Was abwehren?
Berlin, Erfurt, Freiburg sind die drei Städte, die der Papst auf seiner Deutschlandreise besucht. Empfangen wird er wie eine Königin in langen Kleidern, roten Schuhen. Manche hoffen, dass er etwas sagt, was als Botschaft direkt von Gott kommt.
Andere hoffen, dass ihm etwas einfällt zu den Skandalen und Versäumnissen der Kirche. Zu Missbrauch, zu Gleichberechtigung, zu Bigotterie. Zur Ökumene auch. Und wieder andere hoffen, dass er den Mund hält. Der Papst ist Projektionsfläche für vieles. Für viele.
Erfurt. Ein Bischof mit dem erdverbundenen Gang
Zum Beispiel in Erfurt. Im Osten. In Thüringen. Die Annäherung an die Stadt ist sperrig. Dabei ist sie schön. „Aber wer kennt schon Erfurt?“, fragt der Erfurter Bischof Joachim Wanke auf der Pressekonferenz. Bekannt sei die Stadt nur durch den Amoklauf vor bald zehn Jahren. Wanke ist ein ruhiger, weißhaariger Mann. Sein Gang erdverbunden, aber auf weiche Art, als streichle er den Boden mit jedem Schritt. Er sieht den Papst als Repräsentanten des christlichen Glaubens. Glaube und Kirche verkörpern Freiheit für ihn.
Für diese Freiheit sei ihm kein Aufwand zu schade. Elf Millionen kostet das Spektakel sein Bistum. Nicht mitgerechnet die Kosten für Sicherheit, die das Land Thüringen trägt. Einwände wischt der Bischof mit Hauptsätzen beiseite: „Ein wichtiger Gast ehrt auch die Gastgeber.“ – „Viele Menschen können den Papst sehen.“ – „Das ist mir die Sache wert.“
Andere in Erfurt hoffen ebenso, dass der Papst die Stadt bekannt macht. Weimar kennen alle. Erfurt, nur 25 Kilometer von Weimar entfernt, kenne keiner. „Gut, Paganini war einmal hier“, sagt eine Frau, die eilig den Domplatz überquert. Auch der Chauffeur der Hochzeitskarosse, schwarze Hose, weißes Hemd, grauer Pferdeschwanz, der vor dem Dom mit den hochgereckten Türmen wartet, bis die Trauung in der Kirche vorbei ist, glaubt, dass Erfurt bedeutender wird durch den Papst.
Er findet die ganze Aufregung um Kosten und Absperrungen verlogen. „Die Hoteliers am Domplatz, die sollen ihre Goschen halten“, es hört sich wie „Guschen“ an, wenn er es sagt, „weil sie zwei Tage zumachen müssen. Das holen sie wieder rein.“ Der Chauffeur des blumengeschmückten Autos glaubt, dass Hunderttausende nun da hinpilgern werden, wo der Papst den Fuß gesetzt hat. Magie der Fußstapfen – ob Ratzinger das Format hat? „Auf jeden Fall.“
Mit seiner Verteidigung irritiert der Chauffeur ein paar Leute, die auf einer Bank vor dem Dom sitzen, und auf den Pomp, der wegen des Papstes betrieben wird, schimpfen. „Den Mülleimer darf man nicht rausstellen“, sagt der Dicke in der Mitte. Und nur Papstbier ausschenken. „Papstbier!“ Er schüttelt sich, seine ganze Körperfülle, die wegzufließen droht, zittert. Da fährt der Hochzeitskarossenfahrer dazwischen: „Die Erfurter sollen sich nicht so aufregen. Potemkinsche Dörfer, das sind sie doch von früher gewohnt.“
Früher. Früher ist wichtig. Früher ist DDR. Damals bot die Kirche Halt in der Verneinung. Wer mit Papstfans in Erfurt spricht, stößt ständig auf diese Erinnerung: „Kirche war Freiheit“, sagt der Leiter des Koordinierungsbüros für den Papstbesuch. Er steht in der Aula der katholischen Schule. Über hundert Freiwillige sind gekommen, um hunderttausend Briefe mit Eintrittskarten und Prospekten zu packen.
Er zeigt auf die Leute – Männer, Frauen, Junge, Alte – die, jeder für einen Handgriff eingeteilt, zusammen zu einer Humanmaschine werden. „Hier sind Menschen, die zu DDR-Zeiten auf der Straße, in der Schule, auf der Arbeit gegängelt und überwacht wurden“, sagt der Leiter. „Und dann sind sie in die Kirche, und da war Freiheit.“ Für diese Freiheit stehe der Papst. An die Person sei das nicht gebunden. Wojtyla. Ratzinger. Egal. Dass der Papst auch als Politiker auftritt – im Bundestag – und als Demagoge? „Ich seh das nicht“, sagt er.
Weil Christen in der DDR staatliche Repression erlebten, egal welcher Konfession, hat sich die Trennung zwischen Protestanten und Katholiken in der DDR verwischt. Das lassen sich der katholische Pfarrer Wigbert Scholle und die protestantische Laienpriesterin Annemarie Keller auch heute nicht nehmen. Keller und Scholle vertreten zwei Pfarrgemeinden in der Erfurter Innenstadt. Sie arbeiten zusammen, tauschen mitunter ihre Kirchen und auch schon mal die Seelsorger. Das Papstfest mit Fernsehübertragung wird in der evangelischen Kirche gefeiert. Es gilt: praktische Umsetzung der Ökumene bis in die Sprache hinein. „Kirche ist eine Erzählgemeinschaft. Wir erzählen vom gleichen Gott.“ Nur ein Drittel der Thüringer will die Erzählung allerdings hören.
An der Ökumene kommt der Papst in Erfurt nicht vorbei. Zumal vom christlichen Bevölkerungsdrittel drei Viertel evangelisch sind. Deshalb wohl hält Benedikt XVI. einen Gottesdienst in der Kirche des Augustinerklosters, in dem Martin Luther von 1505 bis 1511 lebte. „Das muss man sich vorstellen: Rechts und links des Grabsteines, auf dem Luther seine Gelübde ablegte, werden sich der Papst und die protestantischen Würdenträger und -trägerinnen gegenübersitzen“, sagt der Kurator des Klosters, das heute eine Begegnungsstätte ist.
Ein ökumenisches Daseinswunder sei das, meint er. Zumal da noch Ratzingers Wort, dass die evangelische Kirche gar keine Kirche sei, sondern nur eine religiöse Gemeinschaft, wie eine Eiterbeule im Hintergrund schwärt. Eigentlich wirkt der groß gewachsene Kurator, der bald in Rente geht, ruhig. Aber das lasse ihn doch fiebern. Er hofft neben dem Daseinswunder sogar auf ein Wortwunder. Welches? „Wenn Benedikt XVI. den päpstlichen Bann, der bis heute auf Luther liegt, zurücknehmen würde. Hoffen darf man ja.“
Abends unweit des Domplatzes in der „Frommen Helene“ – einer verstaubten Wohnzimmerkneipe, in dem nostalgische Wilhelm-Busch-Fans und melancholische Biertrinker verkehren, bricht sich der Stammtischglaube Bahn. Der ist antikirchlich. Dicht gedrängt im kleinen Innenhof hocken die Gäste. Papstfieber? Kaum. Einer sagt etwas: „Bringt nur Stress.“ Die anderen improvisieren darauf, als säßen sie mit Luftgitarre auf einer Bühne: „Siebzig Kilometer Autobahn gesperrt. Und beleuchtet. Mehr Tamtam, als wenn Obama käme.“
Der Nächste: „Der Papst verbietet Kondome, und in Afrika sterben die Leut.“ Ein anderer: „Die Zeugen Jehovas sind schlimmer.“ Der Erste wieder: „Mir machen die Jugendlichen Angst. Wenn die so auf den Papst abfahren, fahren sie auch auf was anderes ab. Ich seh schon Chancen für nen neuen Hitler.“
Anders als Erfurt sollte Freiburg ein Heimspiel sein für den Papst. In der südbadischen Diözese sind 42 Prozent der Menschen katholisch. Aber so einfach ist es nicht. Denn die Leute durchschauen, dass das Heimspiel ein Schauspiel ist.
Wie die rotblonde Frau, die in der Vorhalle des Freiburger Münsters sitzt. Sie sagt, ihr Papstfieber sei ein innerliches Vibrieren. Wie fühlt sich das an? Wie Schmetterlinge? Wie Verliebtsein? „Ja auch, nein, ganz anders.“ Wie denn? „Ich lächle innerlich. Alles in mir lächelt. Magen, Nieren, Leber, Lungen, das Herz lächeln.“ Die junge Frau stutzt. „Irgendwie ist es komisch, wenn ich beim Aufzählen was vergesse. Die Milz zum Beispiel. Wer denkt schon an die Milz.“
Warum ist es komisch? „Ich komme mir dann amputiert vor.“ In der Vorhalle ist es unruhig, immer neue Touristengruppen kommen, lassen sich die eingravierten Brotmaße auf dem Sandsteinsockel des Münsters erklären: dass 1320 ein gutes Erntejahr war und 1317 ein schlechtes. „Ich habe es gern, wenn was ans Herz geht“, sagt die junge Frau noch. Eigentlich will sie Schauspielerin werden. Gerade allerdings verdingt sie sich als Fremdenführerin. „Ich habe mich reingesteigert für Sie.“
Die alte Frau, die sich auf einer Bank mitten im Markttreiben rund um das Münster ausruht, einem Markt, der überquillt von Früchten, Blumen, Wurst, Speck, Gemüse und Brot, lavaroten Tomaten, Trauben, süß wie Sirup, die fiebert auch nicht. „Ich bin nicht katholisch.“ Aber auf den Flugplatz, wo der Papst seine Abschlussmesse halten wird, da will sie hin. „Ich find das gut.“ Warum? „Wir haben alle nur einen Herrgott.“ Um mit dem zu sprechen, brauchen Sie den Papst? „Nein. Aber ich bin ja bald neunzig und mir gefällt's, wo viele Menschen sind.“
Immerhin Schwester Hanna-Lucia lässt sich auf spirituelle Weise von Benedikt XVI. anstecken. Sie gehört zu den Schönstatter Marienschwestern. „Wenn ich den Papst liebe, liebe ich durch ihn Gott“, sagt die 34-jährige Erzieherin, die gerne lacht und für alle betet. Sie hat für den Papst eine Wallfahrt organisiert von Oberkirch bei Offenburg, wo sie lebt, nach Freiburg. Am Ende waren es 53 Leute, die mit Pilgerstab, Fahne und Madonnenbild durch die Ortschaften zogen.
„Alle Anstrengungen, der Schweiß, der Durst, die schmerzenden Füße, das gebe ich dafür, dass die Reise des Papstes fruchtbar wird“, sagt sie. Singend sind die Pilger und Pilgerinnen im Freiburger Münster eingezogen. Manche hätten geweint. „Für mich persönlich ist der Papst keine politische Person. Er ist ein Vater.“ Sie brennt für ihn. Wie es sich anfühlt? „Wie eine Sehnsucht.“
In den siebziger Jahren war „Jesus Christ Superstar“. Heute ist es der Papst. Vom Original zur Kopie. Egal. Das gilt auch für junge Leute, wenngleich sie distanzierter an die Sache rangehen. Nathalie Mutter, eine achtzehnjährige Gymnasiastin, die bei der Abschlussmesse des Papstes auf dem Freiburger Flughafen ministrieren wird, und der 22-jährige Jazztrompeter, der das Papstlied komponierte. Sie machen mit, obwohl sie Kritik an der Kirche haben. Gleichberechtigung von Frauen in der Kirche, „das wäre nur gerecht“, sagt die Ministrantin. Und das Zölibat, findet sie, solle abgeschafft werden. Trotzdem engagiert sich die blonde junge Frau gern.
Die Kirche böte einen Rahmen, in dem man aufgefangen werde. Das Religiöse sei mittlerweile geschickt verpackt. „Nicht mehr altmodisch.“ Und der Jazztrompeter, der auf dem Freiburger Bahnhof schnell zu sprechen ist, bezeichnet sich als Christ, „aber ich nehme die Bibel nicht wörtlich“. Mit Missionierung, Alleinvertretungsanspruch, Kondomverbot ist er nicht einverstanden. Das untergrabe die Autorität. „Aber wir jungen Leute leben in einer Zeit, in der so vieles beliebig wird.“ Die Kirche mit ihren klaren Vorgaben sei da ein Gegenmodell. „Da weiß ich, woran ich bin. Das ist nicht irgendwie.“
Eine Begegnung, die den Text sprengt
Beim letzten Versuch, Antworten aufs Papstfieber in Freiburg zu finden, geschieht etwas, das diesen Text sprengt. Peng. Wäre das hier Theater, fiele der Vorhang mitten im Stück. Hebt er sich wieder, sitzt die Autorin mit auf der Bühne. Denn als ich Thomas Dietrich sehe, Leiter des Sozialpastoral im Erzbischöflichen Seelsorgeamt in Freiburg, der seit Monaten mit Papsttexten bestückte Gottesdiensthilfen entwickelt, damit die Landpfarrer ihre Gemeinden auf den Papst vorbereiten können, wird klar: Wir sitzen uns als Wissende gegenüber. Maskierung zwecklos. Er weiß: Ich bin aus der Kirche ausgetreten. Und ich weiß, dass er, will er glaubwürdig sein, den Papst kritisch sehen muss.
Dietrich zog in den neunziger Jahren ins Pfarrhaus in dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, als der alte Pfarrer, der dort ab den fünfziger Jahren für vier Jahrzehnte seine Verderbtheitsbotschaften und Höllenszenarien in die Köpfe der Gemeinde hämmerte und Generationen von Kindern, vor allem Mädchen, im Beichtstuhl in seine sexuellen Fantasien verwickelte, endlich tot war. Das sechste Gebot war der Eingang in seine Unterwelt. Unkeuschheit das Unwort.
Acht-, neun-, zehnjährige Kinder fragte der Pfarrer ab. Auch mich: „Hast du mit deinen Brüdern zusammen gebadet? Habt ihr die Unterhosen angehabt?“ (In den sechziger Jahren saßen wir nicht nackt in der Wanne. Nicht im Dorf.) „Was hast du gesehen, als ihr die Unterhosen ausgezogen habt? Hast du absichtlich hingeschaut? Habt ihr euch angefasst? Habt ihr euch zwischen den Beinen angefasst? Hast du dich allein angefasst? Wo? Wie? Wann?“
Das Unkeusche war das Unbekannte – und trotzdem Sünde. Versuchten Kinder, es ihren Eltern zu erzählen, stießen sie auf Abwehr. In den katholischen Dörfern verkörperte ein Pfarrer Autorität. Mitunter die einzige. Gingen die Kinder nicht beichten, mahnte es der Pfarrer an. Kontrolle, Gängelung, Machtmissbrauch – alles da. Wer konnte, ging. Ich. In den Achtzigern wandte sich jemand, der blieb, an die Bild-Zeitung und machte die Übergriffe öffentlich. Zu früh – ein Gesellschaftsthema war Missbrauch in der Kirche damals nicht. Im Dorf aber waren viele sauer auf die, die es gewagt hatten, den Pfarrer so zu brüskieren.
Und dann kam dieser Dietrich, klein, wohlgenährt, modern und dem Leben zugewandt, in den neunziger Jahren ins Dorf. Auf Familienfesten lernte ich ihn kennen. Ein Pfarrer, für den die veraltete Sexualmoral, die Geschlechterdefinition, die starren Familienbilder „der Kaugummi an der Schuhsohle der Kirche sind“. So sagt er es in dem kleinen schmucklosen Besprechungszimmer des Freiburger Seelsorgeamtes. „Euer Dorf“, sagt Dietrich, „hat einem die Luft abgestellt.“ Wusste die Kirchenleitung, was sich der alte Pfarrer erlaubte? „Ja“, antwortet er.
Obwohl sich Dietrich seit Monaten durch Ratzinger-Texte arbeitet und Zitate herauspickt, um den Gläubigen die Größe des Papstes nahe zu bringen, komme bei ihm keine Euphorie auf. Der Papst stehe fassungslos vor der modernen Gesellschaft mit ihrem Weltanschauungspluralismus, sagt er. „Eigentlich wäre er eine der wenigen globalen Größen, der die Dinge sagen könnte, die die westliche Welt gesagt bekommen muss, obwohl sie sie nicht gerne hört.“ Nur sei er im Grunde politisch desinteressiert. „Wer politisch desinteressiert ist, fördert die beharrenden Kräfte.“ Vor der Rede Benedikts XVI. im Bundestag zittere er. Und beim Abschied auf dem Flur: „Wenn er zu Missbrauch nichts sagt …“ Er beendet den Satz nicht.
In Berlin ist Missbrauch in der katholischen Kirche ein Thema. Und Ratzingers Homophobie. Auch die Diskriminierung der Frau, die sich die Kirche erlaubt. Die Demokratiefeindlichkeit des katholischen Monarchen dazu. Denn nicht nur die Papstfans sind im Fieber. Auch seine GegnerInnen.
Tische und Stühle sind zur Seite geräumt im Salon des Verbandes der Lesben und Schwulen, damit ein Dutzend Frauen und ein Mann üben können. Singend und tanzend wollen sie ihren Protest unter die Leute bringen. Aus „Ein Jäger aus Kurpfalz“ wird: „Der Papst kommt nach Berlin. Dort spricht er vor dem Bundestag, ne Messe gibts danach, da protestieren wir.“ Dreistimmig wird das Lied einstudiert. A cappella gesungen. Es klingt gut.
Nebeneinander stehen die Aktivistinnen. Eine hat ihre Hand lässig auf dem Tresen einer kleinen Bar in der Ecke gestützt. Die daneben steht klassisch auf Standbein und Spielbein. Neben ihr sitzt eine auf dem Barhocker, die Beine gekreuzt, dann eine im Rock auf dem Stuhl, eine weitere mit rot lackierten Nägeln im Sessel. Der einzige Mann im Raum stellt den Papst dar. Der soll sich ekeln, wenn er die zweite Strophe hört: „Für Benedikt ne Qual: schwul oder lesbisch, ganz egal, transgender lieber nicht, so Benedikt es spricht.“ In der dritten wird angeprangert, dass der Papst mit dem Kondomverbot den Tod von Leuten, die an Aids sterben, in Kauf nimmt. In der vierten, dass die katholische Kirche frauenfeindlich ist.
Professionell geht das zu. Nur Trischa D. hält sich zwischendurch das Notenblatt vors Gesicht. Es kostet sie Überwindung, sich singend zu zeigen. Trischa D. ist eine intersexuelle Frau und hat ihr Geschlecht angleichen lassen müssen, um mit sich im Einklang zu sein. Blond, groß, weich, bedächtig, umsichtig, perfekt geschminkt, perfekt manikürt, schön ist sie. Dass sie sich beim Protest gegen den Papstbesuch engagiert, überrascht sie selbst. „Es ist wie eine Emanzipation“, sagt sie. „Homophob denkende Leute können sich auf den Papst beziehen.“ Deshalb sei sie aus der Anonymität rausgegangen, um einem von Benedikts Ausgrenzungsgedanken betroffenen Menschen ein Gesicht zu geben.
Im Januar hat der Lesben- und Schwulenverband ein Plenum zum Papstbesuch einberufen. „Der Papst wurde vom Bundespräsidenten als Staatsgast eingeladen und darf im Bundestag sprechen, das hat unseren Widerspruch herausgefordert“, sagt Jörg Steinert, der Geschäftsführer. Womit er nicht rechnete: dass mittlerweile mehr als sechzig Organisationen zur Demonstration gegen die menschenfeindliche Geschlechter- und Sexualpolitik des Papstes aufrufen. Darunter sind Frauen- und Menschenrechtsorganisationen, kritische Christen, suspendierte Geistliche, Exmuslime und Humanisten, Gewerkschaften und Parteien. Zum ersten Mal seit langem gibt es in der Frauen-, Homosexuellen-, Gender- und Queerszene ein breites Bündnis über all die Grenzen hinweg, die die Gruppen in den letzten Jahren atomisierten. So gesehen stiftet der Papst Frieden – zumindest unter seinen Gegnern.
Weil viele gar nicht wissen, welche undemokratische, menschenrechtsverletzende Politik der Papst als Oberhaupt des Vatikans und der katholischen Kirche zu verantworten hat, haben die Gegner zuallererst Aufklärungsveranstaltungen organisiert, etwa zur katholischen Kirche und zum Arbeitsrecht. Die Kirche unterläuft das Diskriminierungsverbot bei ihren Angestellten – in Deutschland immerhin 1,3 Millionen Leute. Der Staat billigt der Kirche gesetzlich zu, dass sie sich nicht an das Gleichstellungsgesetz halten muss.
Bei einer anderen Veranstaltung wurde der Vatikan als Staatsgebilde erklärt. Die Staatsgründung, die den Papst zu einem Staatschef macht, geht auf ein Abkommen mit dem Faschisten Mussolini von 1929 zurück. Ein Abkommen mit den Nationalsozialisten von 1933 wiederum ist die Grundlage dafür, dass es in Deutschland die Trennung von Staat und Kirche nicht gibt und der Staat bis heute die Kirchensteuer eintreibt. In einem Vortrag wurde von „der Rattenlinie“ berichtet, dem Fluchtweg von Nazi-Kriegsverbrechern nach Südamerika mit Hilfe des Vatikans. In einem anderen ging es um den Vatikan als Unternehmen und seine Verquickung mit mafiosen Strukturen.
Trennung von Kirche und Staat gibt es nicht
Menschenrechte standen ebenfalls auf der Agenda. So hat der Vatikan etwa die Menschenrechtscharta der UNO nicht unterschrieben und eine 2008 von der EU eingebrachte UN-Resolution zur Entkriminalisierung Homosexueller zusammen mit den Ländern, in denen Homosexualität unter Todesstrafe steht, abgelehnt. Auch das vormoderne Frauenbild der katholischen Kirche ist Thema. Niemand soll sagen können, die Gegner seien nur Geiferer, die gegen die Eiferer protestieren.
In der Katholischen Akademie in Berlin wird der Besuch ebenfalls zum Anlass genommen, um auf hohem Niveau und nicht nur mit Devotionalien und Gebeten auf den Papst vorzubereiten. Die kulturkritischen Motive Benedikts XVI. sollten vorgestellt werden. Kultur habe einen Bezug zum Göttlichen, zur Gemeinschaft und zur Geschichte. Man könne die Welt nicht verstehen, ohne sich auf Göttliches zu beziehen, stellt der Referent die Ideen des Papstes vor. Die, die nicht konform gehen mit dieser Sicht, mahnt Benedikt XVI. mit dem Satz: „Humanismus ohne Gott ist inhuman.“ Es gelang nicht, das Publikum zu überzeugen, denn deutlich wird: Der Kulturbegriff des Papstes wird nur im Singular gedacht. Und zwar als Leitkultur. Das war vielen Zuhörern und Zuhörerinnen zu eng.
Vor der Hedwigs-Kathedrale, der Bischofskirche in Berlin, stehen zwei grauhaarige Frauen. Dass der Papst kommt, das wissen sie. Vom Papstfieber wissen sie nichts. Besser sei es, den Messdiener zu fragen, raten sie. „Aber sagen Sie, ist er denn ernsthaft krank?“
sonntaz-Reporterin, hat nach dieser Recherche beschlossen, dass sie auf die Gegendemonstration in Berlin geht
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen