: Papst auf Promotiontour
Der Brasilienbesuch galt vor allem der Zurückdrängung der Sekten/ Abtreibung und Kondome gegeißelt/ Indios sollen Mission anerkennen ■ Von Astrid Prange
Rio de Janeiro (taz) — Neun Tage herrschte in Brasilien Frieden. Während des zweiten Papstbesuches vom 12. bis zum 21.Oktober begruben Politiker ihre Streitereien, verschoben Unternehmer geplante Massenentlassungen und Gouverneur Leonel Brizola sagte sogar seine Demonstration gegen die Privatisierung der Stahlfabrik Usiminas ab. Die brasilianische Presse begleitete den „heiligen Vater“ auf Schritt und Tritt und schilderte ausführlich die Glücksgefühle tausender Gläubiger, denen der Papst in zehn brasilianischen Städten den Segen erteilte. Doch die allgemeine Rührung kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die katholische Kirche in Brasilien in einem Dilemma steckt: Orientiert sie sich an der Befreiungstheologie, wird sie wegen ihrer politischen Ausrichtung kritisiert. Kehrt sie den weltlichen Problemen den Rücken, verliert sie gegenüber den Sekten.
Die Angst davor, daß ihm seine Schafe davonlaufen, war einer der Hauptgründe für die zweite Brasilienreise von Johannes Paul II. Gleich am Tag seiner Ankunft befahl er den versammelten Bischöfen, den von den Sekten eroberten Raum zurückzuerobern.
Die Sekten und Pfingstgemeinden verzeichnen seit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise in den achtziger Jahren in ganz Lateinamerika großen Zulauf. Dennoch ist Brasilien nach wie vor das größte katholische Land der Welt: 85 Prozent der Bevölkerung sind katholisch. Die Anhänger der Sekten bringen es mit zwölf Millionen Gläubigen auf acht Prozent.
Doch während in den Tempeln der Sekten die Gläubigen in hypnotischen Kulten ihre Sorgen herausschreien, schlingert die katholische Kirche auf einem realitätsfernen Zickzackkurs. Die Basisgemeinden kämpfen gegen das wuchernde Elend einen aussichtslosen Kampf für einen solidarischen Umgang. Auch der konservative Papst bewies während seines Aufenthaltes erneut seine Realitätsferne: So predigte er gegen Abtreibung, wohlwissend, daß Brasilien mit rund fünf Millionen Schwangerschaftsunterbrechungen pro Jahr das Land mit der höchsten Abtreibungsrate der Welt ist. Er verbot den Gläubigen den Gebrauch von „unnatürlichen Mitteln der Empfängsnisverhütung“, einschließlich des Kondoms, und das, obwohl Brasilien mit über 15.000 Aidskranken den vierten Platz weltweit in der Ausbreitung der Immunschwäche einnimmt.
Der Papst fand zwar kritische Worte über die „perverse“ Besitzverteilung in Brasilien und forderte eine Agrarreform. Aber er nahm seinen eignen Worten sogleich den Stachel, indem er Landbesetzungen für „unannehmbar“ erklärte, weil dabei Gewalt im Spiel sei. An den Indianerhäuptlingen redete er vollkommen vorbei: Gemäß dem Willen Jesu Christi hätten unzählige Missionare für die Verbreitung des Evangeliums ihr Leben gelassen. Den erstaunten Indios erklärte er dann, die Kirche sei stets auf ihrer Seite.
Die 2.500 Kinder in Salvador da Bahia, die am vergangenen Sonntag die Hände nach ihm ausstreckten, rührten den Papst offenbar mehr an. Tränen liefen über sein Gesicht, als er die Kinder küßte und umarmte. Zum Abschied spendete er den „Hoffnungsträgern Brasiliens“ 400.000 Dollar. Zum Vergleich: Die Verschönerung der zehn Städte, die der Papst in elf Tagen besuchte, kostete den brasilianischen Steuerzahler und einigen Sponsoren zusammen rund zehn Millionen Dollar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen