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Pamuk taucht weg

aus Istanbul Dilek Zaptcioglu

Vor dem Hintergrund massiver Drohungen hat der türkische Nobelpreisträger Orhan Pamuk seine für Februar geplante Lesereise in Deutschland abgesagt. Der Schriftsteller („Schnee“, „Istanbul“) sollte am nächsten Freitag an der Freien Universität Berlin die Ehrendoktorwürde erhalten, außerdem in Köln, Hamburg, Stuttgart und München auftreten. Weil er von extrem rechter Seite immer massiver bedroht wird, steht Pamuk seit knapp einer Woche in seinem Wohnort Istanbul unter Personenschutz. Während einer kurzen Reise zur Buchmesse in Kairo in der vorigen Woche häuften sich in der Türkei die Drohungen gegen ihn: Nach dem Mord an dem armenischen Publizisten Hrant Dink wurde er zuletzt von dem Drahtzieher des Attentats in aller Öffentlichkeit bedroht: „Und auch dieser Orhan Pamuk soll sich in Acht nehmen!“, rief der 26-jährige Yasin H., als er von Polizisten zu einer Vernehmung geführt wurde, den versammelten Journalisten zu. „Dieses Attentat hat mir das Leben zur Hölle gemacht“, sagte Pamuk nach einem Besuch bei der armenischen Zeitung Agos, dessen Herausgeber Dink war: Das klang nicht nur nach Trauer und Wut, sondern auch nach Angst.

Konkrete Drohungen erhält Pamuk bereits seit zwei Jahren. Er hatte im Februar 2005 in einem Interview mit dem Schweizer Tagesanzeiger erklärt: „In der Türkei wurden 1 Million Armenier und 30.000 Kurden umgebracht. Und niemand traut sich, das zu erwähnen.“ Seitdem hat er keine Ruhe mehr. Wegen „Verleumdung des Türkentums“ sollte ihm sogar der Prozess gemacht werden, das Verfahren wurde im Januar 2006 eingestellt.

Pamuk tauchte währenddessen zuerst ein paar Monate lang in den USA unter, dann kehrte er zurück und versuchte mit wohlwollenden Interviews die Wogen zu glätten. Als dann im Herbst 2006 der Literaturnobelpreis kam, hieß es aber in der Türkei: „Ohne seine Worte zum armenischen Völkermord hätte er diesen Preis nie bekommen.“

Der Mord an seinem Freund Hrant Dink zeigte, wie konkret und nahe die Gefahr ist. Wie das Massenblatt Hürriyet gestern meldete, kursieren auf dem Filmportal YouTube brandneue Drohvideos, wo der „wahre Charakter des Armeniers“ Dink zur Schau gestellt wird und die Bilder seiner Leiche auf dem Straßenpflaster mit Pamuk-Porträts montiert sind. Als jemand, der es „mit Vaterlandsverrat zum Millionär“ gebracht hat, ist Pamuk im Moment das Hassobjekt vieler junger Türken in den Istanbuler Vororten, die selbst ohne Bildung und Arbeit sind. Bei Pamuks Rückkehr aus Kairo vergangenen Freitag fiel auf, dass er vom Istanbuler Flughafen ab begleitet wurde. Das scheint dafür zu sprechen, dass die türkischen Sicherheitsbehörden die Drohungen gegen ihn ernst nehmen.

Gestern wurde auch bekannt, dass ein Polizeispitzel, der selbst in das Dink-Attentat verwickelt ist, die Polizei insgesamt 17-mal auf die Mordplanungen hinwies – nichts geschah. Das bringt die Frage auf, ob nicht innerhalb des Polizeiapparates massive Fehler gemacht wurden. Die Medien fordern den Rücktritt hoher Polizeibeamter, unter anderem des Istanbuler Polizeipräsidenten. Regierungschef Tayyip Erdogan selbst rief die Türken in einer Fernsehansprache zur Besonnenheit auf und sagte, dass „niemand, sich hinter Nationalismus und Patriotismus versteckend, Gewaltakte verüben“ dürfe.

Orhan Pamuk hat 2006 einen halbjährlichen Lehrauftrag an der Columbia-Universität in New York angenommen. Das Rektorat wies ihm ein kleines Appartement auf dem Campus zu. Man geht davon aus, dass der Schriftsteller Istanbul für unbestimmte Zeit verlassen und in den USA oder woanders untertauchen wird. Ob er im Herbst 2007 zur Vorstellung seines neuen Romans „Das Museum der Unschuld“ nach Istanbul zurückkommt, weiß niemand.

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