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Pampuchs TagebuchDie Besserwisser von Altavista

Einer meiner hübschen Nebenjobs besteht darin, gelegentlich Reisende auf Atahualpas oder Pizarros, Che Guevaras oder Darwins Spuren lehrreich durch Lateinamerika zu geleiten. Solch ein Job hat seine Höhen und Tiefen, schon allein geografisch, da sich insbesondere Südamerika als mitunter ziemlich hochkant gestellt erweisen kann. Von der ecuadorianischen Hauptstadt Quito hinunter zur dampfenden Hafenstadt Guayaquil überwindet man gute 2.800 Höhenmeter, nicht zu reden von dem majestätischen Chimborasso unterwegs, der noch mal über 3.000 Meter höher aufragt. Doch auch sonst sind die Anforderungen an einen Reiseleiter durchaus unterschiedlicher Natur und reichen von erlesenen Informationen über die Struktur des Inkareiches und die naturgemäßen Unterschiede der Brunfttänze von Blau- oder Rotfüßtölpeln bis zum Organisieren eines Meerschweinchenessens.

Reiseleiter hatten bis in das späte 20. Jahrhundert hinein das Privileg, über die bereisten Gegenden besser als ihre Schutzbefohlenen informiert zu sein. Das gab ihnen Autorität und garantierte ihnen die Dankbarkeit der Kundschaft. Gewiss, es gab immer wieder einmal jene berüchtigten Studienräte, den Polyglott oder gar den Dumont bei jeder Führung gewissermaßen aus der Gesäßtasche heraus im Anschlag hielten. Mit ihrem angelesenen Spezialwissen konnten sie die Informationshoheit des Tourguides schon mal ins Wanken bringen. Doch wer die einschlägige Literatur halbwegs kannte, der hatte auch diese Störenfriede gut im Griff.

Wird das nun alles anders? Mit einem Wort: Allerdings. Durch das Internet schmilzt der klassische Informationsvorsprung des Reiseleiters dahin wie der Schnee am Fuße des Chimborasso in der Mittagssonne. Was hilft es ihm, dass er schon öfter an den angesteuerte Orten war? Mithilfe von Altavista, Yahoo und ein paar Booleschen Fragen kann heute jeder – Studienrat oder nicht – eine Reise nach Ecuador und Galapagos bis auf kleinste Detailfragen vorbereiten. Und das gilt für rein touristische Fragen ebenso wie für Hintergründiges. Das ehemals ferne Südamerika ist uns durch das Netz und eine Unmenge fleißiger Webgestalter sehr nahe gerückt. Tourismusunternehmen, wissenschaftliche Institute, Regierungen, Publikationsorgane, NGOs und Spezialisten jeder Couleur wetteifern darum, uns auf zehntausenden von Sites jede nur mögliche und auch nicht für möglich gehaltene Frage zu beantworten.

Auf meiner baldigen Tour durch das schöne Land am Äquator habe ich mich also auf ein unter Umständen völlig neues, upgedatetes Kundenprofil einzustellen. Meine eigenen vorbereitenden Surfreisen in Ecuador haben mich jedoch etwas beruhigt. Um sich bei all den Adressen halbwegs zurechtzufinden, bedarf es mindestens zweier Reiseleiter. Ich habe aber zwei schöne anarchistische Sites entdeckt, die zum Beispiel kompetent über „Revolution in Ecuador“ berichten, bei der es kürzlich ein von der Indianerbewegung getragener Protest geschafft hat, den unfähigen Präsidenten zu stürzen. Mit Informationen wie denen der „Freedom Press“ (freedom.tao.ca - „your guide to anarchy in the web“) und von www.infoshop.org/news.html, („your online anarchist community“) können wir Tour-Guides des 21. Jahrhunderts bei wesentlichen Fragen weiterhin die Nase vorn haben. Da werden die Studienräte staunen! Und noch ein Trost bleibt uns: Auf den Schiffen in Galapagos gibt es – bis jetzt – noch keinen Internet-Anschluss. Vielleicht nennt man Galapagos ja auch deshalb eines der letzten Paradiese.Thomas Pampuch

thopampuch@aol.com

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