Palästina-Kongress in Berlin: Politisches Betätigungsverbot war illegal
Dass der Chirurg Ghassan Abu-Sittah nicht aus Gaza berichten durfte, war rechtswidrig. Das hat das Berliner Verwaltungsgericht entschieden.
Abu-Sittah war im April 2024 am Flughafen BER die Einreise verwehrt worden. Zudem verhängte das Berliner Landesamt für Einwanderung (LEA) gegen ihn ein grundsätzliches Veröffentlichungs- und Interviewverbot. Die Behörde befürchtete, der Arzt könnte Unterstützung für palästinensische Terrororganisationen bekunden.
Dies wies das Gericht nun zurück. Das Gericht habe keine Äußerungen von Abu-Sittah seit dem 7. Oktober 2023 finden können, die eine Unterstützung für Terrorgruppen wie die Hamas nahelegen, so die Sprecherin. Demnach erkannte das Gericht zwar an, dass Abu-Sittah in der Vergangenheit Sympathien für militante Organisationen wie die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) oder die Hamas bekundet habe – allerdings vor dem 7. Oktober. Als relevant erachtete das Gericht nur den Zeitraum nach dem Terrorangriff der Hamas.
Damit gebe es keine Grundlage für ein Betätigungsverbot nach Paragraf 47 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes, das ein solches Verbot verpflichtend vorsieht, wenn etwa für Terrorgruppen geworben wird. Auch ein Betätigungsverbot nach Absatz 1 des Gesetzes, der weniger strenge Vorgaben beinhaltet, sei unverhältnismäßig. Besonders betonte das Gericht dabei, dass Abu-Sittah auf dem Palästina-Kongress als Zeitzeuge auftreten sollte.
Der Chirurg und Rektor der staatlichen University of Glasgow war im Oktober 2023 mit der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen nach Gaza gereist und hatte in Krankenhäusern medizinische Hilfe geleistet. Auf dem Palästina-Kongress wollte er unter anderem von den Auswirkungen der israelischen Luftangriffe berichten.
Umstrittener Polizeieinsatz
Die Gerichtsentscheidung ist eine weitere Schlappe für die Behörden in der Causa Palästina-Kongress. Im Mai 2024 hatte das Verwaltungsgericht Potsdam bereits das von der Bundespolizei verhängte Einreiseverbot gegen Abu-Sittah gekippt. Schon damals bemängelte das Gericht fehlende Beweise für die Behauptung, Abu-Sittah könne Strafbares sagen oder tun. Insgesamt hatte die Polizei vier politische Betätigungsverbote und mehrere Einreiseverbote im Kontext des Kongresses verhängt, darunter auch gegen den ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis.
Die Polizei hatte den Kongress damals aufgelöst, ohne dass eine:r der Redner:innen überhaupt eine Straftat begangen hatte. Als sich der Historiker Salman Abu Sitta per Video zuschaltete, kappten die Beamt:innen die Stromversorgung. Gegen ihn war ebenfalls ein Betätigungsverbot erlassen worden.
Anders als der Arzt Ghassan Abu-Sittah hatte der Historiker allerdings tatsächlich in einem Blogeintrag geschrieben, wäre er noch jung, hätte er wohl am Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober teilgenommen. Von dem Betätigungsverbot hatten die Organisator:innen erst während der Veranstaltung erfahren.
Karim Bohnhoff von der Rechtshilfeorganisation European Legal Support Center, die Ghassan Abu-Sittah vertreten hatte, sagte am Dienstag zur taz, das Urteil sei zu erwarten gewesen: „Das Vorgehen der Berliner Ausländerbehörde war offensichtlich rechtswidrig.“
Alarmierend sei an dem Fall allerdings, dass die Behörden offenbar „bewusst rechtswidrig handelten, um auf politischen Druck hin den Kongress um jeden Preis zu verhindern“. Der Fall verdeutliche, dass sich deutsche Behörden nicht mehr an den gesetzlichen Rahmen halten würden, um Palästinasolidarität zu unterdrücken.
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