■ Pakistan nach dem Militärputsch: Nur der Armee traut die Bevölkerung noch zu, das Land wieder zu einer Demokratie zurückzuführen: Alltag im Ausnahmezustand
Zwei Tage nach der Absetzung der Regierung und der Verhaftung von Premier Nawaz Sharif und dessen Minister erklärte sich der Chef der Streitkräfte, General Pervez Musharraf, in einer Proklamation mitten in der Nacht auf Freitag zum „Exekutivchef der Islamischen Republik von Pakistan“.
Die Verfassung wurde außer Kraft gesetzt, die Volkskammern im Zentrum und in den Provinzen suspendiert, die gewählten Regierungen und Provinzgouverneure abgesetzt. Damit ist das Land nach elf Jahren wieder unter Kontrolle des Militärs – und niemand protestierte.
Bereits am Vortag hatten Armee-Einheiten das Parlament besetzt, das Verwaltungspersonal nach Hause geschickt und die Zugänge versperrt, weil der Parlamentspräsident eine Plenarsitzung einberufen wollte. Dieser Eingriff war bereits der Vorbote dafür, dass es wohl nicht nahtlos zu einer Übergangsregierung mit einem weiter bestehenden Parlament kommen würde. Bis zuletzt hatten viele Politiker darauf gehofft.
Doch die Armee entschied sich für einen Ausnahmezustand, der vom Kriegsrecht nicht mehr weit entfernt ist. Offenbar erinnerten sich die Generäle an die Ereignisse im Jahr 1993. Sie hatten damals Nawaz Sharif – mithilfe des Staatspräsidenten und damit legal – zum Rücktritt gezwungen, doch dieser rekurrierte beim Obersten Gericht und wurde so wieder im Amt eingesetzt.
Bereits gestern waren die Soldaten aber wieder aus dem Umkreis des Parlamentsgebäudes abgezogen und hatten die Bewachung den paramilitärischen „Rangers“ überlassen. Auf den Straßen waren keine Truppentransporte sichtbar, und die Hauptstadt sah so leer und langweilig wie jede andere Retortenhauptstadt aus.
Große Teile der Bevölkerung, für die der Freitag ihr wöchentlicher Feiertag ist, gingen trotz der Ereignisse und der Unsicherheit zur Faisal-Moschee und wandten sich zum Gebet nach Mekka hin. Unter den vielen gebeugten Rücken war zwischen dem vorherrschenden Weiß immer wieder auch das Khaki von Militäruniformen zu sehen.
Selbst auf dem Bazar nahm kaum jemand von den patrouillierenden Soldaten Notiz – gerade so, als handle es sich nicht um neue Machthaber, sondern um Soldaten auf Diensturlaub. „Alle mögen die Armee, weil sie nicht korrupt ist“, sagt der Lastwagenfahrer Sharif. Die Zeitungen vermeldeten nur vereinzelte Proteste, die jedoch in der Flut von Stellungnahmen zugunsten des Militärputsches untergingen.
Selbst Politiker der regierenden „Pakistan Muslim Liga“, wie deren Vize-Präsident Ejaz al-Haq, sprachen von der „Doktrin der Notwendigkeit“, mit der schon die Gerichte unter General Zia al-Haq die Militärdiktatur gerechtfertigt hatten.
Die Notwendigkeit des Eingreifens wird quer durch die Parteien und die sozialen Schichten offenbar akzeptiert. Der Erosionsprozess der Demokratie unter Nawaz Sharif in den letzten zwei Jahren scheint den Ausnahmezustand geradezu zur Wohltat zu machen.
„Vergessen Sie nicht“, meint zudem der Anwalt Anees Jilani, „dass das Land bereits seit dem 28. Mai 1998, nach den Nukleartests, im Ausnahmezustand war und die Militärs ihn,wie sie auch selber feststellten, nun nur ausweiteten“.
Dennoch sind sich die Militärs bewusst, dass die Mehrheit der Bevölkerung die Generäle nicht auf Dauer an der Macht sehen will, sondern ihnen als einzigen zutraut, das Land zur Demokratie zurückzuführen. Vor allem aber wissen die Militärs, dass die internationale Gemeinschaft auf Putschisten allergisch reagiert und das Land es sich mit seiner bankrotten Staatskasse nicht leisten kann, die Gebernationen zu verprellen.
Und genau aus diesem Grund wurde der Ausnahmezustand, und nicht das Kriegsrecht ausgerufen. Und der gleichzeitig veröffentlichte „Tagesbefehl Nr. 1“ stellt zudem klar, dass die bestehenden Institutionen des Staates – die Gerichte, die Verwaltung, die Presse – nicht angetastet werden. Zwar agieren sie nun im Schatten der Armee, doch sie wurden nicht durch Militärgerichte und eine Sonderverwaltung oder der Zensur unterworfen. Auch der Präsident bleibt im Amt. Rafiq Tarar wurde von Sharif auserkoren, weil er ein Familienfreund und ein Ja-Sager war. Dies rächt sich nun für Sharif. Tarar ist nicht zurückgetreten und gibt den Militärs damit die Möglichkeit, eine Fassade der Rechtstaatlichkeit zu wahren.
Lange wird der Schein allerdings nicht gewahrt werden können. Verschärfte Kritik aus dem Ausland und eine wachsende Unruhe im Innern werden dafür sorgen, dass sich die Offiziere unter dem Schutz der Gewehrläufe nicht werden ausruhen können. Bernard Imhasly, Islamabad
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