Pädophiliedebatte in den 1980ern: Es geht immer um die Macht
Schon 1980 beklagte Günter Amendt diese „Art von Sexualdarwinismus“ – die Durchsetzung des Rechts der Stärkeren, der Erwachsenen.
B ERLIN taz Die taz fragt mich, wie anno 1980 mein gemeinsames Vorgehen gegen die Legalisierung der Pädophilie mit Günter Amendt zustande kam. Ganz einfach: Wir kannten und wir schätzten uns. Wir hatten beide heiß diskutierte Bücher über Sexualität veröffentlicht – er „Sexfront“, ich den „Kleinen Unterschied und seine großen Folgen“ – und beide gleichzeitig die Frage nach Macht und Verantwortung gestellt. Mir war klar: Amendt konnte nicht für die Streichung des § 176 sein, der Sexualität von Erwachsenen mit Kindern unter 14 Jahren unter Strafe stellte.
Und da mir ebenso klar war, dass ich es allein nicht schaffen würde, die in diesem Wahljahr nicht nur von den Grünen, sondern auch von Teilen der FDP sowie alternativen und liberalen Organisationen so unwidersprochen geforderte Legalisierung der Pädophilie zu stoppen, suchte ich den Schulterschluss mit einer Autorität aus dem Milieu: der 68er, Sexualforscher und Polit-Homosexuellen.
Genau das war Amendt. Ich rief ihn an. Er kam nach Köln. Wir sprachen bis in den späten Abend. Er übernachtete bei mir. Wir diskutierten beim Frühstück weiter. Und dann erschien in Emma im April 1980 unser gemeinsames Gespräch.
In diesem Gespräch wird deutlich, dass Amendt und mich noch viel mehr verband, als wir vermutet hatten. Klar war für uns beide, dass es sich zwischen Erwachsenen und Kindern um ein Machtverhältnis handelt, also von „gegenseitig“ und „einvernehmlich“ oder „freiwillig“ schon darum nicht die Rede sein konnte. Es blieb Amendt vorbehalten, die Parallele zu den Männern und Frauen zu ziehen. „Ich halte das [die Pädophilie] auch für eine Reaktion auf das Nicht-mehr-so-zur-Verfügung-Stehen der Frauen“, sagte er. „Und schon ist man beim Kind gelandet.“
Und genau das war – und ist! – das Problem in diesem ach so progressiven Milieu: Die gesellschaftlichen Machtverhältnisse werden angeprangert – die privaten Machtverhältnisse jedoch geleugnet. Das gilt für Erwachsene und Kinder wie für Männer und Frauen. Letzteres bis heute.
Speerspitze im Kampf um Liberalisierung
71, wurde mit ihrem Buch „Der kleine Unterschied und seine großen Folgen“ im Jahr 1975 mit einem Schlag berühmt. Die Journalistin gründete 1977 die feministische Zeitschrift Emma. In den 80er Jahren kämpfte sie gegen falsche Toleranz und die Legalisierung der Pädophilie. Schwarzer bloggt zum Thema auf ihrer Homepage.
Es herrscht „das Recht des Stärkeren über den Schwächeren“, beklagte Amendt diese „Art von Sexualdarwinismus“. Und er sagte noch einen goldenen Satz: „Keiner fragt mehr: Wie kommt das in mich rein? Was richte ich damit an? Da wird nur noch gefragt: Was tue ich mir an, wenn ich meinen Bedürfnissen nicht nachkomme?“
Die Grünen verstehen sich als die Erben der 68er. Aber ob zum Beispiel der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, 52, überhaupt ahnt, was Amendt damit gemeint haben könnte? Beck kann sich nicht auf die Gnade der späten Geburt zurückziehen. Er war Mitte der 80er Jahre in der SchwuP aktiv (Bundesarbeitsgemeinschaft Schwule, Päderasten und Transsexuelle) beziehungsweise ist „ein-, zweimal da gewesen“, wie er heute sagt. Die SchwuP war die Speerspitze im Kampf um die Liberalisierung der Pädophilie. Beck forderte noch 1988 in einem Text die Entkriminalisierung der Pädosexualität.
Und heute? Heute sagt derselbe Beck über Prostitution, für ihn „ein Beruf wie jeder andere“, wörtlich: „Wenn Leute etwas anbieten, andere es kaufen wollen und es keine ökologischen oder sozialen Nebenwirkungen gibt, die man dringend unterbinden muss, dann nehme ich das zur Kenntnis und störe mich nicht weiter dran.“
Sexualität als Ware. Der schlimmste Albtraum aufrichtiger AufklärerInnen ist wahr geworden. Und die Parallelen im Diskurs um die Pädophilie und dem über die Prostitution drängen sich regelrecht auf: Auch die heute über 90 Prozent Armuts- und Zwangsprostituierten in Deutschland werden geleugnet, und es ist von „Einvernehmlichkeit“ und „Freiwilligkeit“ die Rede. Und auch bei diesem Kampf – gegen die Verharmlosung und Akzeptanz der Prostitution und für den Schutz der betroffenen Frauen – bin ich mit Emma mal wieder verdammt allein. Und kein Günter Amendt ist in Sicht. Da kann ich nur hoffen, dass es nicht noch einmal 30 Jahre dauert, bis die so dauercoole Szene begreift, was für ein ungeheurer Skandal das ist! Auf Kosten der Schwächeren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Biden hebt 37 Todesurteile auf
In Haftstrafen umgewandelt
Anschlag von Magdeburg
Aus günstigem Anlass