Packen für den guten Zweck: Kuscheltier für Haiti
Bei der Aktion "Weihnachten im Schuhkarton" packen freiwillige Helfer Geschenkpakete. Sie werden an Kinder verschickt.
Gespenstische Stille herrscht in der kalten Lagerhalle in Lankwitz. Nur das Rascheln von Geschenkpapier unterbricht gelegentlich die Ruhe. Ein Klicken ist zu hören - und aus einer Spieluhr klingt das Lied "Oh Tannenbaum". Als die Melodie verklungen ist, landet das Spielzeug in einem bunten Karton, bereit zur Reise in ein fernes Land. Das Ziel: noch unbekannt.
Während viele an Weihnachtsgeschenke noch keinen Gedanken verschwenden, wird im Lager des Vereins Geschenke der Hoffnung schon fleißig gefaltet, beklebt, verpackt. Der Verein, der mit mehreren Projekten seit 2001 Bedürftige unterstützt, hat auch in diesem Jahr zur Aktion "Weihnachten im Schuhkarton" aufgerufen. Das Prinzip: Kartons werden mit Präsenten gefüllt, in Sammelstellen abgegeben und von dort in arme Länder verschickt, um Kindern zu Weihnachten Freude zu bereiten.
Den Kinderschuhen ist das Projekt entwachsen: Was 1996 mit 1.600 Paketen begann, ist mittlerweile die wohl weltgrößte Geschenkinitiative. In ganz Deutschland kamen 2009 rund 500.000 Pakete zusammen; sie wurden in den Kosovo, nach Serbien, Georgien und viele andere Länder verschickt. 10.000 ehrenamtliche Helfer unterstützen die Aktion. In diesem Jahr gibt es eine Neuerung: Mit einer Sonderaktion soll der Weihnachtsgedanke auch zu Erdbebenopfern in Haiti gebracht werden. Bei der verheerenden Naturkatastrophe kamen Anfang des Jahres rund 300.000 Menschen ums Leben, rund 1,2 Millionen wurden obdachlos, derzeit kämpfen dort Ärzte gegen die Cholera. "Die Beben waren so stark wie 38 Hiroshima-Bomben. Für viele der Opfer werden Zeltstädte in den nächsten Jahren ihr zu Hause sein", sagt Michael Fischbeck, der die Sonderaktion betreut. "Unser Ziel ist es, etwas Frieden nach Haiti zu tragen." Insgesamt 6.000 Schuhkartons mit Spielsachen, Kleidung, Schulbedarf und Hygieneartikeln sollen ab 15. November in die Hauptstadt Port-au-Prince verschickt werden.
Im Zentrallager des Vereins herrscht seit Anfang November geschäftiges Treiben. Kartons werden mit buntem Papier beklebt und von freiwilligen Helfern mit Geschenken befüllt. "Wir haben sehr viele Sachspenden bekommen", sagt Lagerleiter René Kadereit. Erst vor wenigen Tagen seien 30.000 Kuscheltiere angekommen. Die Kartons werden nach verschiedenen Kriterien befüllt: entweder für einen Jungen oder ein Mädchen, außerdem unterscheiden sich die Inhalte nach Altersgruppe. "Jeden Tag kommen bis zu 30 Helfer vorbei, die uns unterstützen", freut sich Kadereit.
Einer der ehrenamtlichen Hilfskräfte ist Gerhard Wetzel aus Lichterfelde. "Ich habe in den vergangenen Jahren zweimal einen Schuhkarton gepackt und abgegeben", sagt der 71-Jährige, der die Kisten mit geübten Handgriffen aus dicker Pappe zusammenfaltet. "In diesem Jahr wurde ich zu einer Informationsveranstaltung zur Haiti-Aktion eingeladen." Dort wurden auch Videoaufnahmen gezeigt - von Kindern, die sich über die Geschenke im Schuhkarton freuen. "Auf der einen Seite ist das traurig, wenn man sieht, wie arm manche Kinder leben müssen", so Wetzel. "Andererseits macht es mich auch wirklich glücklich, diese Freude zu sehen." Deshalb sei er gekommen, um zu helfen.
Ein paar Meter weiter beklebt Doris Glaser aus Lankwitz fertige Kartons mit buntem Papier. "Ich habe aus der Zeitung von der Aktion erfahren", sagt sie, während sie den Deckel einer Kiste mit weiß-gelbem Geschenkpapier überzieht. "Eigentlich sind solche Fummelarbeiten nicht meine Sache, aber was sein muss, muss sein." Sie selbst investiere viel Zeit in ehrenamtliche Arbeiten. "Die Idee, die sich hinter dem Projekt verbirgt, ist sehr gut", so die 67-Jährige. Dann betrachtet sie den fertigen Karton kritisch von allen Seiten, setzt noch mal den Klebestift an, um den letzten Makel zu beseitigen. "Man möchte es schon hübsch machen. Ich denke, die Kinder werden auch mit dem Karton spielen." Das kenne sie von ihrer Enkeltochter. "Deswegen soll alles schön und stabil sein."
Welche Sachen letztendlich im Karton landen, bestimmt auch Peter Rübel (65). Er ist extra aus Spandau gekommen. Rübel ist bekennender Christ. "Wir arbeiten in unserer Gemeinde viel mit Obdachlosen. Ich habe einfach Spaß daran, anderen Menschen zu helfen", sagt er, packt eine Tube Zahnpasta und eine Zahnbürste in den Karton. Dann lässt er seinen Blick über den Tisch schweifen - und entdeckt einen Fußball. "Als Kind hatte ich auch so einen. Aber in armen Ländern kennt man so etwas kaum", sagt er nachdenklich. Und verstaut den Ball im Paket.
Weitere Helfer werden noch gesucht: "Wer uns spontan unterstützen möchte, ist herzlich eingeladen", sagt Anja Wetzel, Sprecherin des Vereins. Bis zum 13. November werden täglich Kartons gefüllt. Auch ohne Weihnachtsmusik, denn die Spieluhr ist inzwischen in einem der Päckchen verschwunden. Wo genau, weiß niemand mehr. Auch nicht, wo sie landet - und welches Kind sie mit "Oh Tannenbaum" hoffentlich verzaubern wird.
Geschenke der Hoffnung e. V., Zentrallager Haynauer Str. 48-50, 12249 Berlin. Weitere Infos: www.geschenke-der-hoffnung.org
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“