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PUCCINI MEETS SPRINGSTEEN

■ meets Arthur Miller meets Norman Mailer meets Zagrebacko Kazaliste Lutaka in der UFA-Fabrik

Ob der Psalm, den der Filmprojektor auf die Leinwand wirft, wirklich der 51.Psalm ist, der vierte Bußpsalm vorzusingen, als der Prophet Nathan zu David kam - können nur die überprüfen, die des Jugoslawischen mächtig sind, genau wie nur sie wissen, was wirklich auf der Bühne geschieht, denn eineinhalb Stunden lang wird das staatliche Puppentheater Zagreb nur in dieser Sprache sprechen. Nach zehn Minuten der Gewöhnung stellt sich ohne den Text eine ganz andere Theaterwahrnehmung ein, auf die das Ensemble wohl schon spekuliert hat.

Auf der Bühne stehen nur ein Tisch und zwei Stühle. Links davor, dicht beim Publikum, sitzt ein sonnenbrillenverspiegelter GI und liest kettenrauchend etwas vor. In den pyramidenförmigen Bühnenaufbau senkt sich eine Leinwand und Kohlaugen schmachten herunter, Legers „Ballet mechanique“. Uhren, Flaschen und Beine, marsch! Die Leinwand hoch, eine Seitenklappe auf: Ein schöner Westernmacho schlendert durch ein sonnendurchflutetes Schulzimmer. Klappe zu, Leinwand wieder runter und Rosselinis Bub stürzt sich aus einem ausgebombten Haus und ist tot, als ob er das schon immer so gemacht hätte. Leinwand rauf, Klappe auf, und Riefenstahls blonde Jugend rauft im märkischen Sand. Im Hintergrund werden Vogelschaumodelle amerikanischer Städte hin- und hergeschoben.

Die vier Schauspieler kommen durch schräge Türen herein, gehen wieder heraus. Willy Loman, Millerscher Handlungsreisender, schleppt einen Koffer aus Zement hinein, Frau Linda trägt schwer an einem leuchtenden Haus auf ihrem Rücken, in das Willy ein paar mühsam verdiente Cents hineinwirft. Die Söhne Biff und Happy spielen zunächst noch artig mit einem Rugbyball. Später werden sie sich den Whisky flaschenweise hinter ihre Schlipse kippen. Sie sprechen leise miteinander, lachen, wimmern, beschimpfen sich, flehen sich an und brechen zusammen. Der Tonfall ist international, und es ist klar, daß Vater das nicht mehr lange aushält, die Mutter, die immer zu kurz kommt, sowieso nicht, und während Happy noch daran glaubt, daß Daddy einmal Dollars verdienen wird, will Biff schon lange nichts mehr damit zu tun haben.

Das alles ist perfekt aufeinander abgestimmt, und die erschlagende Fülle von Montageteilen bleibt spartanisch wie ein Glas Wasser. Nichts ist dem Zufall überlassen, selbst Biffs Nasereiben ist ein Rädchen in dem Uhrwerk Legers. Die Arien aus Puccinis Oper „Das Mädchen im goldenen Westen“ können gar nicht selbstverständlicher klingen als an diesem Platz. Es gab einmal eine Aufführung der „Madame Butterfly“ in Westdeutschland, da erstickte die holde Japanerin schon unter seidenen Sofakissen und süßrosa Kirschblüten, bevor sie sich ins Messer stürzte. Und „Tosca“ verkam in Sachsen zwischen den Burg- und Kirchenpfeilern aus Pappmache und den plüschbezogenen Wänden des Herrscherhauses zu einer Schmierseifenoper. Im Spielwerk der Jugoslawen kann Puccinis süßes Pathos seltsamerweise immer noch Eindringlichkeit gewinnen und verträgt sich selbst mit der lonelymanonthehighway-Inbrunst eines Bruce Springsteens. Springsteens Balladen von den guys, die nach Vietnam zogen und nicht mehr zurückfanden, von der sprachlosen Öde irgendwo zwischen highway und down to the river wirken auf einmal so echt. Ja, so ist es! möchte man emphatisch dazwischenrufen.

Die Katastrophe, die sich auf der Bühne anbahnt, läßt es nicht dazu kommen. Das Uhrwerk ist überdreht. Die Schauspieler sind nur noch Ebenbild der Helden von der Leinwand und ihrer Puppen. Spielen die Puppen ihr eigenes Stück oder sind sie das alter ego, das auszuführen wagt, was in den Köpfen der vier vor sich geht? Willy vergnügt sich mit einer überdimensionalen Frauenpuppe, während Linda neben ihm liegt und leidet. Biff und Happy erleben ungeahnte Lüste mit den dolls. Und die kleinen, graugekleideten Handpuppen mit den wächsernen Gesichtern kämpfen bis aufs Blut, werden mit dem Kopf voran zu Boden geschmettert. Willy Loman stirbt fast zweimal, der GI knallt sich selber nieder, daß das Blut bis in die zweite Reihe spritzt.

Und dann fallen Sägespäne aus aufklappbaren Papphäusern und endlos klingen Oden zu Blicken an die Theaterdecke aus. Was erzählen sie da? Egal, sie haben hundertprozentig recht.

Claudia Wahjudi

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