PRO: DIE PFLEGEVERSICHERUNG MUSS FÜR ELTERN BILLIGER WERDEN: Kinder sind kein reines Privatvergnügen
Ein Kind kommt. Dies weckt die Hoffnung auf Lebenssinn und Glück. Wer denkt da an die gesellschaftliche Funktion von Heranwachsenden? Nur die Liebe zählt. Doch wenn Kinder nur als Privatvergnügen gelten, stellt sich für die Politik schnell die Frage: Warum soll die Glückssuche von Eltern staatlich gefördert werden – etwa durch geringere Sätze bei der Pflegeversicherung? Schließlich werden andere teure Hobbys wie rasante Autos, lange Fernreisen oder schicke Immobilien auch nicht begünstigt.
Doch anders als die individuelle Traumreise sind Kinder für die Gesellschaft unentbehrlich. Bei der Pflegeversicherung zeigt sich dies gleich doppelt: Ohne Kinder fehlen künftige Beitragszahler. Und ohne die freiwillige Pflege innerhalb der Familie ist der künftige Betreuungsaufwand in einer rasch alternden Gesellschaft nicht zu finanzieren. Kinderlose profitieren also von den Erziehungsleistungen von Eltern. Deshalb ist es richtig, dass Familien künftig weniger Pflegebeiträge entrichten, Kinderlose hingegen stärker belastet werden.
Es geht nicht darum, naserümpfend auf Singles zu schauen oder diese Lebensform durch immer höhere finanzielle Belastungen zu erdrücken. Ein Blick auf die Fakten zeigt: Davon kann auch gar keine Rede sein. Tatsächlich haben sich nämlich die Lebensbedingungen von Familien in den letzten Jahrzehnten dramatisch verschlechtert: War in den 60er-Jahren jedes sechzigste Kind von Armut betroffen, so lebt heute jedes siebte Kind zeitweise unter der Armutsgrenze. Nicht zufällig richten sich Werbung und Konsumindustrie längst an die lebensfrohen Singles und nicht mehr an die „Rama“-Familie der 70er-Jahre.
Diese wirtschaftliche Randstellung von Eltern und Kindern wird nicht durch eine offene Familienfeindlichkeit verursacht – sondern ist die indirekte Folge eines Sozialsystem, das nur die Erwerbsarbeit honoriert, Betreuung und Erziehung aber nicht anerkennt. Weil viele Familien von eineinhalb Einkommen leben müssen, trifft sie die Verdopplung der Sozialabgaben seit den 60er-Jahren und die Steigerung der Mehrwertsteuer von 10 auf 16 Prozent weit stärker als Kinderlose. Auch Rot-Grün hat an dieser strukturellen Familienfeindlichkeit des Sozialstaats nichts geändert: Die jüngsten Kindergelderhöhungen werden völlig durch die Ökosteuer und die Sozialversicherungspflicht bei 630-Mark-Jobs aufgefressen. Auch von der aktuellen Steuerreform profitieren Kinderlose stärker.
Das Bundesverfassungsgericht drängt nun auf ein Umsteuern – endlich. HARRY KUNZ
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