PRESS-SCHLAG Dominanzfußball versus Konterfußball: Die Ballbesitzfetischisten verlieren an Terrain: Schlacht der Gegensätze
Da der Fußball, wie Sportsoziologen sagen, ein inhaltsleeres Drama ist, kann viel in ihn hineingelesen werden. Der Fußball kann progressiv sein oder konservativ. In den vergangenen zwei Dekaden wurde der bestimmende Mannschaftssport dieser Tage gern mit einer Dichotomie vermessen. Er war Heldenfußball oder Konzeptfußball. Die Trainer stützen sich also entweder auf Stars (Helden), deren individuelle Klasse den Vorteil brachte, oder sie vertrautem einem innovativen taktischen Konzept, bei dem die Spieler keine berühmten Namen tragen mussten. Davon ist seit Längerem keine Rede mehr, weil der Heldenfußball mit dem Konzeptfußball mehr und mehr fusionierte, jedenfalls auf der Ebene der Champions League – und da werden schließlich die wichtige Tore und Thesen gemacht.
Nach dem Verlauf dieser Saison könnte man nun ein weiteres komplementäres Begriffspaar aus dem Spind der Fußballbetrachtung holen, eins, das nicht neu, aber nützlich ist: Dominanzfußball versus Konterfußball. Teams, die auf Dominanzfußball setzen, kommen in einer Partie manchmal auf 600 Pässe und eine Ballbesitzquote von 80 Prozent. Sie schnüren den Gegner ein, getreu dem Motto: Wer den Ball nicht hat, kann auch keine Tore machen. So bleiben den Gegnern von Dominanzfußballteams manchmal in einem Spiel nur 10 bis 15 Minuten eigener Ballbesitz (in der effektiven Spielzeit), den sie dazu nutzen können, gefährlich vors Tor zu kommen. Das ist wenig, aber heuer haben Konterfußballmannschaften, die zudem auch noch mehr Laufarbeit leisten müssen als die Dominanten, erstaunliche Erfolge gefeiert.
Leicester City ist englischer Meister geworden, weil es in der Premier League offensichtlich kein gut spielendes Dominanzfußballteam gegeben hat. Atlético Madrid hat das Dominanzfußballteam schlechthin, den FC Bayern München, im Halbfinale der Champions League eliminiert, und auch die Ballbesitzfetischisten aus Barcelona sind in der Königsklasse früh gescheitert. Das ist ein interessanter Trend, der nicht lange anhalten dürfte. Denn Konterfußballmannschaften sind darauf angewiesen, dass, wenn’s darauf ankommt, ein Rädchen ins andere greift. Die Abwehr muss wie ein Block stehen, das Forechecking über 90 Minuten aggressiv sein. Die Stürmer müssen ständig „nach hinten“ arbeiten, sollten dann aber noch genug Puste haben, um im entscheidenden Moment zuzuschlagen wie die Kobra bei ihrer Beute: blitzschnell, präzise, effektiv.
Teams wie Leicester oder Atlético Madrid sind Meister der Effizienz. Sie kommen nicht wie die Bayern oder Barcelona auf 30 Torschütze in einem Spiel, sie müssen aus vielleicht vier oder fünf Kapital schlagen. Deswegen ist auch nicht zu erwarten, dass nun, dem Ansatz der Foxes oder Atléticos folgend, der Konterfußball zum heißen Scheiß mutiert. Dominanzfußball ist und bleibt die sichere Nummer. Das System der Dominanzfußballer wird bald wieder zurückschlagen, und sei es mit einem Sieg von Real Madrid im Finale der Champions League. Sie bleiben wohl die Hegemonen, aber umso schöner ist es, wenn an der Dominanz der Dominanten manchmal gekratzt wird – von Teams wie dem FC Chelsea (CL-Finale 2012) oder Leicester City. Markus Völker
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