Outing als nicht-binäre Person: Gesellschaftliche Grenzen gesprengt
Sam Smith ist nicht-binär, und manche Menschen haben damit ein Problem. Für Smith aber war das Outing eine Freude – wie schön!
D a online inzwischen vieles algorithmusbasiert funktioniert, sehe ich nur die Tiktoks und Tweets, die Sam Smith verteidigen. Dass es so viele Menschen gibt, die Smith verteidigen, zeigt aber, wie viele dey angreifen. Dey ist der Vorschlag eines nicht-binären Pronomens. In meinen Augen ist der Grund eigentlich banal, hat sich in den vergangenen zwei, drei Jahren aber leider zum zentralen Thema des Kulturkrampfs entwickelt: Smith ist nicht-binär und wagt es im aktuellen Musikvideo zu „I’m Not Here To Make Friends“ und in Livegigs in exaltierten Klamotten und, wenn man so will, „provokativ“ aufzutreten.
Hier kann ich den Punkt aufgreifen, über den ich in meiner zweiten Kolumne bereits geschrieben hatte: Wenn Harry Styles in flamboyanten, queeren, „femininen“ Klamotten auftritt, farbenfroh, schillernd, mit Rock, dann wird er dafür gefeiert, weil er als cool und wegweisend gilt und gesellschaftlich festgelegte Grenzen sprengt, dabei aber als Cishet wahrgenommen wird. Bei Sam Smith als nicht-binärer Person, die Männer datet, ist das ein Problem (ähnlich übrigens bei Lil Nas X als Schwarzer und schwuler Mann). Und wenn man obendrein aus dem konventionellen Schönheitsraster fällt, indem man, wie eben Smith, nicht dem gesellschaftlichen Normgewicht und Aussehen entspricht, sondern zugenommen hat, ist das gleich doppelt skandalös. Womit ich zu meiner damaligen Aussage zurückkomme: Sich als queer outen ist eine politische Handlung.
In einem Interview sprach Sam Smith kürzlich über das Thema. Darin sagt Smith, dass dey sich seit dem Outing 2019 als nicht-binär „joy in abundance“ fühle, also „Freude in Hülle und Fülle“ und dass auch deren Privatleben dadurch besser denn je wäre. Öffentlich sei das aber eine ganz andere Geschichte, gerade in Großbritannien: Smith werde regelmäßig verbal auf der Straße angegriffen. „Wenn mir das passiert – und ich bin berühmt, ich bin ein Popstar –, kannst du dir vorstellen, wie sich andere queere Kids fühlen? Es ist einfach so traurig, dass das im Jahr 2023 immer noch passiert. Es ist ermüdend“, fügte dey hinzu. Solange queere Menschen, die sich nicht nur queer stylen (wie eben Harry Styles), sondern auch öffentlich zu ihrer Queerness stehen, dermaßen ins Schussfeuer geraten, sei es auf der Straße oder im Internet, ist ein Outing politisch und leider notwendig als Vorbild für diejenigen, die keine Stimme haben.
Es ist mit Verlaub zum Kotzen, dass Menschen wie Sam Smith nicht einfach in Ruhe gelassen werden, dass trans beziehungsweise nicht-binär Sein so zum Politikum geworden ist. Warum bockt das cis Menschen so sehr? Ich verstehe es wirklich nicht. Aber ich freue mich sehr für Sam Smith, dass dey mit sich selbst jetzt so viel glücklicher ist. Und wenn das anderen nicht gefällt, kann Smith ihnen mit dem Titel des Songs kontern: „I’m Not Here To Make Friends.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag