piwik no script img

Ostseefischer verlieren Öko-SiegelDer Dorsch, das unbekannte Wesen

Wissenschaftler konnten nicht genug Fakten über den Ostseedorsch liefern. Der Fischerei wird das Siegel für nachhaltigen Fang aberkannt.

Fingen - anders als die Wissenschaftler - genug Dorsch: Ostseefischer. Foto: dpa

HAMBURG taz | Sein Vertrauen in die Wissenschaft sei zwar nicht erschüttert worden, „hat aber einen kleinen Knacks bekommen“, sagt Claus Ubl, Sprecher des Deutschen Fischerei-Verbands in Hamburg. „Die haben ihre Hausaufgaben nicht gemacht – zu Lasten der Fischer.“ Denn obwohl die Ostsee „eines der am besten untersuchten Gewässer der Erde ist“, konnten die meereswissenschaftlichen Institute der Anrainerstaaten für 2015 keine klaren Fakten über die Dorschbestände liefern.

Mit der Konsequenz, dass den Fischern das blaue Umweltsiegel des Marine Stewardship Council (MSC) für nachhaltige Fischerei zum neuen Jahr aberkannt wurde.

Der MSC hatte kurz vor Weihnachten mitgeteilt, dass die Bestände nicht mehr den Anforderungen entsprechen und das Siegel eingezogen. „Die Fangbetriebe müssen nachweisen, dass ihre Aktivitäten nicht zum Rückgang der Bestände führen“, erklärt Minna Epps, MSC-Programmdirektorin für Skandinavien und den Ostseeraum. „Leider kamen unabhängige Gutachter zu dem Schluss, dass diese Nachweise aktuell nicht erbracht werden können.“

Das MSC-Siegel soll eine nachhaltige Fischerei und stabile Bestände garantieren und hat sich als Verkaufskriterium etabliert. Die meisten Handelsketten verkaufen fast ausschließlich MSC-zertifizierten Tiefkühlfisch.

„Kalt erwischt“

„Die Aberkennung hat uns kalt erwischt“, sagt Kai-Arne Schmidt, Geschäftsführer der Erzeugergemeinschaft der Nord- und Ostseefischer. Den verantwortlichen Wissenschaftlern wirft er vor, durch falsche Berechnungen dafür gesorgt zu haben, dass dem MSC keine sicheren Datenreihen vorlagen. Verschärft habe sich die Situation im Oktober, als die EU die Dorschquote für 2016 lediglich um 20 Prozent gesenkt habe und nicht um 50 Prozent, wie von den Wissenschaftlern vorgeschlagen. Bei 50 Prozent wäre eine Aberkennung des Siegels vielleicht nicht erfolgt, vermutet Schmidt.

Das MSC-Siegel

Der Marine Stewardship Council (MSC) ist eine unabhängige und gemeinnützige Organisation, die weltweit tätig ist. Sie wurde 1997 von der Umweltstiftung WWF und von dem Lebensmittelkonzern Unilever gegründet. Greenpeace hält den MSC deshalb auch für zu industrienah.

Definiert wurden die MSC-Kriterien von über 200 Wissenschaftlern, Umweltschützern und anderen Interessengruppen während eines zweijährigen Prozesses und stellen einen breiten wissenschaftlichen Konsens dar.

Das MSC-Siegel steht für umweltverträgliche Fangmethoden und für eine verantwortungsvolle Nutzung von Beständen. Alle ausgezeichneten Fischereien müssen Aktionspläne einhalten, die weitere Verbesserungen von ihnen fordern.

Der MSC führt regelmäßig Stichproben und DNA-Tests durch. Das Siegel kann auch wieder entzogen werden – das ist jetzt erstmals in Deutschland geschehen.

Das Thünen-Institut für Ostseefischerei in Rostock bestätigt, dass der Bestand der Dorsche in der östlichen Ostsee seit 2010 zurückgegangen ist. Zugleich räumt Institutsdirektor Christopher Zimmermann Probleme bei der Altersbestimmung der Dorsche ein, eine sichere Bestandsberechnung sei nicht möglich gewesen. Im Dezember 2014 waren 358 Kubikkilometer salz- und sauerstoffreiches Nordseewasser aus dem Kattegat in die Ostsee geströmt, ein zweiter großer Schub folgte im November 2015. „Die positive Wirkung dieser Salzwassereinströme aus der Nordsee wird erst in einigen Jahren für stabilere Populationen sorgen“, sagt Zimmermann.

Im Herbst 2011 wurde das MSC-Siegel für nachhaltige Dorschfischerei in der östlichen Ostsee vergeben. Dort hatten sich die Bestände binnen sechs Jahren versechsfacht. „Dies ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie schnell sich selbst tot gesagte Bestände erholen können, wenn man sie nur lässt“, sagte Zimmermann damals. Die Erholung war zu großen Teilen auf die Eindämmung der polnischen Piratenfischerei zurückzuführen. Seit der EU-Managementplan 2008 eingeführt wurde, dessen Einhaltung streng kontrolliert wird, gibt es dort kaum noch illegale Fänge. Zuvor hatten polnische Kutter ihre Fangquoten jahrelang um bis zu 45 Prozent überfischt.

In der westlichen Ostsee hingegen haben sich die Bestände, die 2005 kurz vor dem Zusammenbruch standen, hingegen noch nicht so weit erholt, dass sie MSC-zertifiziert wurden.

Kabeljau oder Dorsch

Kabeljau, der nur in der Ostsee Dorsch heißt, ist eine der meistgenutzten Fischarten im Nordatlantik und seinen Randmeeren. In der Beliebtheitsskala der deutschen Verbraucher rangiert er seit Jahrzehnten konstant auf einem vorderen Platz. 2014 belegte er mit einem Anteil von 4,4 Prozent am gesamten Fischverzehr den sechsten Platz.

Um ein neues MSC-Siegel zu erhalten, muss die Fischerei laut Zimmermann nachweisen, dass die Dorschbestände nachhaltig befischt werden. Vernünftige Daten seien aber erst ab 2017/2018 zu erwarten. Ubl hofft, dass es schneller gehen könnte.

2011 hatte die Erzeugergemeinschaft die Kosten des Zertifizierungsprozesses in Höhe von 60.000 Euro getragen – in der Hoffnung auf bessere Verkäufe. Die Gründe für die jetzige Aberkennung aber „liegen nicht in der Verantwortung der Fischer“, sagt Jonathan Broch Jacobsen vom dänischen Fischereiverband.

Ob die Fischer sich die Zertifizierung ein zweites Mal leisten wollen, ist vollkommen unklar. Einige Fischer haben laut Schmidt bereits signalisiert, die Kosten für eine Neuzertifizierung nicht mehr mittragen zu wollen. Auch die Folgen für die Verbraucher seien noch nicht absehbar. Kai-Arne Schmidt befürchtet außerdem einen Vertrauensverlust sowie Rückgänge beim Absatz und beim Preis: „Politik und Forschung bauen Scheiße und die Fischerei muss es ausbaden.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Ich lese da nur, dass die Wissenschaftlicher wohl nicht die "gewünschten" Zahlen liefern konnten. Es handelt sich also nicht um ein wissenschaftliches Problem, sondern um ein politisches wenn man so will, denn man ist im Grunde mit dem gelieferten Ergebnis nicht zufrieden.

  • Also können sich die Dorschbestände jetzt noch ein, zwei Jahre länger erholen. Das freut die Fische und die Fischer werden sich dann ebenfalls über größere Fänge freuen können. Ist doch alles gut.

    Oder muss man aus irgendeinem Grund alle natürlichen Ressourcen immer bis zum Anschlag ausbeuten?

    • @Ruhig Blut:

      ok, habe übersehen, dass die weiterfischen und zukünftig wohl einfach auf die MSC-Zertifizierung pfeifen. Das ist natürlich nicht gut. Ich denke, dass die MSC-Kriterien ohnehin für die gesamte Fischerei rechtsverbindlich werden sollten, ganz ohne Siegel.

      • @Ruhig Blut:

        mich würd schon interessieren, wie eine verlässliche Volkszählung von Dorschen gemacht wird..

        • @Georg Lydda:

          Weiß ich auch nicht. Vielleicht durch systematische flächendeckende Stichproben, die dann hochgerechnet werden? Normalerweise scheint die Bestimmung der Größe von Fischpopulationen ja zu funktionieren. Keine Ahnung warum beim Ostseedorsch nicht.