Ostdeutscher Aggro-Rapper: Hier spricht die Platte
Joe Rilla ist der neue Star des Berliner Hiphop-Labels Aggro Berlin, ein Exhooligan aus Marzahn. Er soll den Osten auf die Hiphop-Landkarte holen.
Joe Rilla ist der Ostrapper. Der Mann aus der Platte, "der Stolz des Ostens", wie sich der bullige Riese bereitwillig von seiner Plattenfirma Aggro Berlin bewerben lässt. Wieder einmal ist es dieser gelungen, einen Charakter zu prägen, der so geschickt eine Identifikationsfläche für sein Zielpublikum bildet, wie man das sonst nur von der Produktwerbung her kennt. Neben dem Maskenmann Sido, dem deutschtümelnden Fler und dem übersexualisierten afrodeutschen B-Tight hat Joe Rilla seinen Platz eingenommen. Es funktioniert: Zeilen wie "Oberarme zugescheppert, Ostberlin, Junge, Kategorie C, mein Freund", sind zu viel für MTV, der Sender weigert sich, Joe Rillas Song "Der Osten rollt" zu spielen. "Kategorie C", für alle, die es nicht wissen, ist der Polizeibegriff für gewaltsuchenden Hooligan.
Tatsächlich versteht die Slogans von Joe Rilla jeder: "Auferstanden aus Ruinen", "Das Leben satt", "Du kannst es schaffen", so lauten ein paar der Titel seiner neuen Platte. Deutschland, oder zumindest Berlin, wird darauf wieder zweigeteilt, in den Westen und in den Osten und gleichzeitig in Oben und Unten. Die Verlierer finden sich jetzt auch für Hiphopper nicht mehr nur in Neukölln oder im Märkischen Viertel, sondern weit da draußen in der ehemaligen DDR. In Marzahn etwa, Joe Rillas Kiez, wo die Leute in Jogginghosen zum Einkaufen gehen und ihre Pitbulls im Schatten von Betonsilos bellen lassen. Joe Rilla hat auf der Karte des deutschen Hiphop nach Stuttgart, München, Hamburg und Berlin also eine weitere Eintragung gemacht, grob gesagt: den Osten.
Man hat sich ja inzwischen angewöhnt, auf diesen deutschen Hiphop mit seinem Hang zur Fäkalsprache und testosterongesteuerten Gangbangfantasie nicht mehr nur entsetzt zu reagieren, sondern die Auswüchse dieser Jugendkultur eher zu belächeln. Nachdem der Berliner Rapper Massiv vor kurzem auf der Straße angeschossen wurde, kam einem das weniger wie ernsthafter Ghettokrieg vor: Das hatte mehr von einem Kindergarten, in dem sich Rapper gegenseitig die Sandburgen zertrampeln und dann manchmal einer handgreiflich wird. Als Außenstehender versteht man diese Welt des sogenannten Gangsta-Rap schlicht nicht. Eine Welt, in der sich Typen tummel, die sich Frauenarzt nennen oder Orgasmus One, neben unendlich vielen anderen seltsamen Gestalten, Muckibudenbesitzern und Kleinkriminellen, die in ihren Texten nichts anderes versuchen, als möglichst oft die Wörter "Fotze", "Schwanz" und "Ficken" unterzubringen. Hier geht es darum, die Grenzen des guten Geschmacks anzutasten und auszutesten, Territorien abzustecken und Autoritäten zu erschrecken. Für Jugendliche ist Derartiges wichtig, so gesehen ist im Grunde alles in bester Ordnung.
Joe Rilla will mit diesem ganzen Gangsta-Gewese trotzdem nichts zu tun haben, auch wenn er, mit Bomberjacke und glattrasiertem Schädel, so aussieht wie eine härtere Version seines von der Antifa unter Naziverdacht gestellten Aggro-Berlin-Kollegen Fler. Doch beim Nazithema winkt Joe Rilla schnell ab. Er ist links, sagt er, oder doch zumindest nicht rechts, jedenfalls "das Gegenteil eines Nazis". Er habe sich schon früh mit seinem Opa über die Nazizeit unterhalten, und danach sei ihm klar gewesen, dass diese Nazisache nur was für Idioten sei. Doch so eine Erkenntnis hatte in Marzahn Folgen. "Es gab eben nur zwei Wege", erklärt er, "Nazi oder kein Nazi", egal, für was man sich entschied, "die Freunde von früher wurden automatisch zu Feinden."
Als Nazi-Gegenteil landete er in Marzahn dann aber nicht in Teestuben oder bei der Friedensbewegung, sondern bei den organisierten Hooligans des für seine stark rechts orientierte Hooliganszene kurz nach der Wende berüchtigten Fußballvereins BFC Dynamo. Beim gemeinsamen Prügeln war eine unterschiedliche Gesinnung wohl nicht so das Problem. Jedes Wochenende hat er sich mit den Hooligans der Gegnermannschaften auf einer Wiese verabredet, wie ehemals Ritter auf dem Schlachtfeld, und man hat sich gegenseitig die Fresse poliert. "Ich war gefrustet, und das war mein Kick", erklärt Rilla. Wegen versuchtem Totschlag wurde er zu zwei Jahren Knast verurteilt, "ich schäme mich dafür", erklärt er, was eine erstaunliche Aussage ist in einem Business, in dem Gefängnisaufenthalte wie Trophäen präsentiert werden. Obwohl er sich heute nicht mehr prügeln würde, wie er sagt, kramt er trotzdem ein abgebrochenes Stuhlbein unter dem Beifahrersitz seines schwarzen Mercedes hervor, mit dem er einen durch sein Marzahn kutschiert für ein wenig Sightseeing. Es gibt hier Gegenden, in denen man sich auch am helllichten Tag besser nicht blicken lassen sollte, erklärt er, und wenn es doch mal brenzlig wird, sei ein Stuhlbein ein guter Ersatz für einen Baseballschläger.
Die Nazis, wegen denen Joe Rilla früher des öfteren "in den Bordstein beißen" musste, weil er schon zu DDR-Zeiten damit begonnen hatte, eben diese "Negermusik" zu hören, mit der er heute sein Geld verdient, seien nicht mehr das Problem, "aber die Russen". Die würden heute in Marzahn das Sagen haben. "Zuerst", erklärt er, "wurden nach der Wende die Vietnamesen von den Nazis hier rausgeprügelt, dann haben die Russen die Nazis rausgeprügelt." Joe Rilla ist bekannt in Marzahn, dem Hausmeister seiner alten Schule, der etwas fragend schaut, was wir hier zu suchen hätten, erklärt er: "Man kennt mich aus Funk und Fernsehen." Doch gegenüber diesen Russen scheint auch einer wie er nichts zu melden zu haben, "die kennen mich nicht".
Joe Rilla ist nicht bloß die neue Witzfigur, die das Gangstatum jetzt mal zur Abwechslung in den Osten verlegt, wie vor kurzem der Tagesspiegel behauptet hatte. Er ist auch niemand, der bloß fröhlich die Ostalgiewelle reitet. Sein Marzahn, so erklärt er, sei für ihn eher das, was Bochum für Herbert Grönemeyer ist. Zwar erzählt er bereitwillig davon, dass Kumpels von ihm gerade einen alten Wartburg für ihn tieferlegen würden, mit dem er dann durch den Kiez tuckern will, und er verkultet mit seiner Ostfixierung den Osten nicht weniger als all die Trabi-Fanclubs und Ostprodukt-Läden, die so schnell nicht aussterben werden. Doch hinter dem Image, dem Produkt Joe Rilla verbirgt sich eine echte Biografie. Und Wahrheiten wie die, dass der Osten seit Jahren schrumpft, die Perspektivlosigkeit trotz Aufschwung nicht abnimmt und Hartz IV zumindest in Marzahn zum Alltag gehört. "Die meisten meiner Kumpels von damals sind langzeitarbeitslos oder arbeiten an der Tür, haben was mit Drogen zu tun oder mit Schutzgelderpressungen."
Diesen Verlierern will Joe Rilla, der ursprünglich eine Lehre zum Stuckateur absolviert und Jahre lang auf dem Bau gearbeitet hatte, bevor die Sache mit dem Hiphop über den Umweg Grafitti an die Wände kritzeln "ungefähr 1993" so richtig losging, diesen "Ostlern" eben will er Vorbild sein, warum denn auch nicht, er sagt: "Ich will ein Stück Hoffnung geben", als einer, der seinen "Arsch auch an die Wand gekriegt" hat. Vorbilder, zumindest gute Vorbilder, möchte in den meisten seiner Rap-Kollegen ja niemand sehen, auf Joe Rilla kamen jedoch schon einige aus der Politik zu mit der Bitte, er solle doch noch stärker eine öffentliche Vorbildfunktion übernehmen, in Talkshows etwa und nicht nur mit Songtiteln wie "Junge, komm klar". Aber so sehr die Stimme des Ostens möchte Joe Rilla dann doch nicht sein.
Dennoch bringt er den Ernst zurück in den Kindergarten, gibt sich reflektierter als die meisten seiner Hiphop-Kollegen, was auch daran liegt, dass er mit Anfang 30 ein echter Oldie im Business ist, der nicht mehr jedem Deutschrap-Klischee folgen muss. Der Rapper ist ja auch nur eine Teilidentität von Joe Rilla, der eigentlich Hagen Stoll heißt. Seit vielen Jahren arbeitet er als erfolgreicher Produzent in seinem eigenen Studio, für andere Rapper, aber auch für die Werbung, die bei ihm die Musik für Spots bestellt. Joe Rilla lebt also trotz des ganzen Ossi-Dings nicht nur in einer selbst gebastelten Welt, aus der er, wie die meisten seiner Kollegen, nicht mehr herauskommt. "Ghetto" beispielsweise, einer der umstrittensten Begriffe im deutschen Hiphop, die viel zu selbstverständlich von amerikanischen auf deutsche Verhältnisse übertragen werden, will er Marzahn, dieses "Meer aus Beton" aus einem seiner Songs, nicht nennen, er spricht lieber von einem "Ort der Perspektivlosigkeit".
Er betreibt hier Milieustudien, so wie das Rapper meist auch dann noch tun, wenn sie diesen Milieus aufgrund ihres Erfolgs längst entwachsen sind. So wie 50 Cent immer wieder dahin zurückkehrt, wo ihm mehrere Kugeln durch in den Körper gejagt wurden, kreist Joe Rilla ständig um die Realitäten, mit denen er groß geworden ist. Er selbst wohnt ja gar nicht mehr in Marzahn. Er hat sich ein Häuschen in der Nähe gekauft, in Neuenhagen, in einer, sagt er selbst: "Spießergegend", wo die Leute komisch schauen, wenn er mit seinem Mercedes vorfährt, auf dessen Kühlerhaube ein Airbrush des Logos seiner Plattenfirma "Plattenbau Ost" zu sehen ist: ein vermummter Glatzkopf, den zwei Baseballschläger rahmen.
Joe Rilla ist raus aus der Platte, zusammen mit seiner Frau, seiner Tochter und seinem Sohn, aber sein Herz hat er hiergelassen. Man merkt das, wenn man mit ihm in den Aufzug des Plattenbaus steigt, in dem er früher gelebt hatte, auf dessen Tür er zeigt und meint, dass diese früher immer mit Hakenkreuzen vollgeschmiert gewesen sei. Im neunten Stock hat man einen guten Blick auf eine Betonwüste und die Kita gegenüber, in die bis vor kurzem noch seine Tochter ging. Bis er feststellte, dass niemand um ihn herum lächelte, auch die Kindergärtnerinnen seiner Tochter nicht, was für ihn ausschlaggebend war, seine Tochter woanders aufwachsen zu lassen. Obwohl er selbst von sich sagt, er habe hier eine "sehr geile Kindheit" verlebt. Ihm geht es da ein wenig wie besser situierten Bewohnern von Kreuzberg, die gerne in ihrem Multikultikiez leben, ihre Kinder dann aber irgendwann doch lieber in besseren Gegenden zur Schule schicken wollen.
Joe Rilla schwärmt trotzdem noch von diesen Plattenbauwohnungen, die für Wessi meist kaum mehr sind als ein Synonym für Kellerloch oder Gefängnis. "Die kleinen Räume, die winzige Küche, die niedrige Miete, ich würde jederzeit wieder in einen Plattenbau ziehen, wenn ich müsste", behauptet er. Aber muss er ja nicht. Er fährt jetzt wieder mit seinem schwarzen Mercedes zurück in seine Spießergegend, wo man das Stuhlbein unterm Beifahrersitz stecken lassen kann. Er muss jetzt seine Tochter aus der Kita mit den lächelnden Kindergärtnerinnen abholen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Syrien nach Assad
„Feiert mit uns!“