Oscar-Verleihung und Vorbilder: Ein Schlag ins Gesicht
Das Video von der Ohrfeige bei der Oscar-Verleihung macht immer noch die Runde, als Unterhaltungseinlage in Endlosschleife. Das ist sehr bedenklich.
I n der U 5 kracht es. Mitten im Waggon hebt jemand blitzartig die Hand und erteilt eine Backpfeife. Sein Gegenüber taumelt und torkelt wie ein angeknockter Boxer. Es wird schallend gelacht.
Diesmal handelt es sich weder um BVG-Geldeintreiber*innen, die auf eigene Faust unterwegs sind, noch um andere Berufshooligans. Die Attacke findet zudem auf einem 6-Zoll-Display statt. Zwei Schwarze Männer im Smoking sind aneinandergeraten. Vier Schüler, höchstens 15 Jahre alt, hocken vor dem Handy und ergötzen sich, während Superstar Will Smith dem Hollywood-Kollegen Chris Rock in die Fresse haut.
Nach dem Eklat bei den Oscars wurde Will Smith für zehn Jahre aus der Academy ausgeschlossen. Das Video macht allerdings immer noch die Runde, und zwar als Unterhaltungseinlage in Endlosschleife. Sehr bedenklich.
Denn die von dem 53-jährigen Schauspieler begangene Handgreiflichkeit beinhaltet eine Straftat. Von Notwehr kann hier keine Rede sein, und mit Beate Klarsfeld ist Will Smith nicht gleichzusetzen. Der Comedian Chris Rock ist auch nicht Kurt Georg Kiesinger. Rock teilt eher das Schicksal seines Komikerkollegen Oliver Pocher, der einen Tag zuvor in Dortmund wortwörtlich übers Ohr gehauen wurde. Seither muss Pocher um irreparable Hörschaden fürchten. Der Angriff auf Rock war nicht so brutal. Aber hat Rock den Schlag überhaupt verdient?
Grenzwertiger Witz
Der Witz, den Rock über Smiths Gattin Jada erzählt hat, mag grenzwertig sein. Geschmack ist halt Geschmackssache. Zweifelsohne ist die Krankheit Alopezie, an der Jada leidet, ein gleichsam haariges Thema.
In „Afro zu tragen ist ein Akt des Widerstandes“, einer 2020 erschienenen Dokumentation der Filmemacherinnen Poliana Baumgarten und Elif Küçük, beschreibe ich die hohe Bedeutung der Frisur als Ausdrucksmittel des Stolzes in der Schwarzen Community. Mitgefühl für Jada ist also nachvollziehbar. Sie ist aber keine Geschädigte. Denn kein Verbrechen wurde an ihr, sondern an Chris Rock verübt.
Interessanterweise hat ihr Gemahl Will sogar über den Witz gelacht, wie zahlreiche andere Scheinheilige im Dolby Theatre. Bis der Leinwandheld sich in seiner Maskulinität gekränkt fühlte und seine patriarchalischen Ansprüche „bühnenreif“ geltend machte. Er ließ die Sicherheitsleute abblitzen, ergatterte seinen Oscar und erhielt Standing Ovations.
Bei aller Liebe, aber toxische Männlichkeit als Tugend zu feiern rettet keine Frau. Es ist vielmehr jugendgefährdend. Deshalb enttäuscht es mich, dass auch einige Schwarze den Angriff gutheißen. Dazu zählt leider eine Berliner Autorin, die zumindest von Weißen als Rassismuskritikerin abgöttisch gefeiert wird. Auf Instagram leitete sie Posts, die den Angriff verharmlosten oder verherrlichten, zustimmend weiter.
Kampf um Aufmerksamkeit
Ich bin, wie jene Person, aktuell mit einem neuen Buch über Rassismus unterwegs, und im Kampf um die Aufmerksamkeit ist die Versuchung, tagesaktuelle Zwischenfälle zu kommentieren, manchmal groß. Diesmal tappte sie jedoch in eine Falle, in der sich keine erfahrene Rassismuskritikerin erwischen lassen sollte. Mit ihrem Fangirl-Moment erweckt sie den Eindruck, Black-on-Black-Crime sei zu rechtfertigen. Es ginge um den Schutz der Frau.
Na ja, das klingt wie Ritterromane und Rosamunde Pilcher. Fakt ist, BIPoC-Jungs, die sich Machos wie Will Smith zum Vorbild nehmen, bekommen keinen Oscar, sondern Handschellen, Schusswunden und Särge. Das gilt im Bergmannkiez, das gilt in der Bronx. Eine Ohrfeige wird mit Waffengewalt erwidert, der Konflikt eskaliert exponentiell. Dann gibt es nur noch Blaulicht und Bestatter sowie das Kopfnicken der Rassist*innen, die sich über Ehrenmorde in ethnischen Subkulturen auslassen. In der Community brauchen wir eine Rosa Parks und keine Rosamunde Pilcher im Blackface. Schläge zur Streitschlichtung zu empfehlen, ist in jeglichem Alter entsetzlich. Wer für die Gerechtigkeit kämpft, setzt nicht auf Fäuste gegen die Meinungsfreiheit, sondern auf Meinungsbildung mit Wortgewalt und Weltgewandtheit.
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