piwik no script img

OrtsterminKleiner Gysi, große Aula

Gregor Gysi spricht an der Freien Universität – obwohl die ihn dort nicht wollte.

Fünf Punkte will Gysi im Bundestag mit SPD und Grünen beschließen, drei davon fallen ihm sogar ein (Archivbild) Bild: Thomas Peter/Reuters

Im Foyer der FU-Mensa in Dahlem ist es voll, mehr als 300 Studenten sitzen auf dem Boden, die Luft ist stickig. Viele, die auf dem Weg in die Mensa oder das nächste Seminar sind, bleiben stehen. Sie wollen einen Blick erhaschen auf den kleinen, berühmten Mann, der gleich an einem Tisch Platz nehmen und seine Rede beginnen wird, Gregor Gysi.

Den ungewöhnlichen Ort der Veranstaltung verdanken die Studenten ihrer Universitätsleitung. Der Sozialistisch-Demokratische Studierendenbund (SDS) hatte einen Raum für die Veranstaltung mit Gysi (Die Linke) angefragt. Doch die Unileitung lehnte ab: „Einzelnen Parteien oder ihren Vertretern bietet die Universität keine Plattform“, sagte Präsidiumssprecher Goran Krstin. Ole Guinand vom SDS findet die Entscheidung willkürlich: „SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück und Bundesfinanzminister Schäuble durften im großen Hörsaal sprechen – Gysi nicht.“ Der SDS entschied sich, trotz Verbot ein Teach-in zu organisieren. Mit Erfolg: In einen normalen Hörsaal wären wohl kaum so viele Interessierte gekommen.

Gysi selbst scheint als neuer Oppositionsführer nicht unglücklich zu sein über seinen ungewöhnlichen Auftritt: „Wenn ich Herrn Schäuble im Bundestag sage, dass die ihn an der Universität für neutral halten, ist er bestimmt nicht glücklich.“ Lacher im Publikum.

Gysi ist gewohnt unterhaltsam. Er wettert gegen die Macht der Banken und erzählt, die einzige Aktie, die er in seinem Leben gekauft habe, sei eine Stadionaktie vom Fußballklub Union Berlin: „Und da wusste ich, dass ich mein Geld nicht wiedersehe!“

Teach-in, eine unangemeldete Veranstaltung: das klingt nach 1968 und zivilem Ungehorsam. Gysis Auftritt an der FU ist aber vor allem ein Event. „Deutschland und Europa in der Krise“ sollte das Thema der Veranstaltung sein, aber die zweite Rednerin, Catarina Príncipe aus Portugal, geht neben Gysi unter.

Der kommt stattdessen vom Mindestlohn auf Rot-Rot-Grün, das Betreuungsgeld und den Welthunger. Er spult mechanisch seine Rede ab, sie ist ein buntes Gemisch aus Zitaten eines langen Wahlkampfs. Mehrmals unterbricht er sich selbst, weil er den Faden verloren hat: „Fünf Punkte können SPD und Grüne zusammen mit uns sofort im Bundestag beschließen“, aber die letzten zwei fallen ihm nicht ein. Beifall bekommt er trotzdem.

Als Gysi am Ende der Veranstaltung an die Studenten appelliert, sie sollten endlich rebellischer werden, nicken diese brav. Altväterlich wünscht er sich von der Jugend, dass sie Fremdsprachen lernt und zu einer europäischen Generation zusammenwächst. Dann springt er auf, wartet das Ende des langen Applauses nicht ab, stürmt aus dem Gebäude und braust mit einer Limousine davon.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

7 Kommentare

 / 
  • J
    Johnny

    Das ist der Unterschied: Fällt Perry in den republikanischen Kandidatendebatten nicht die drei Agencys ein, die er schließen will, lacht die Welt. Fallen Gysi nur 3 von 5 Beschlüssen ein, klatscht die Linke. Aber vielleicht ist das auch noch Gewohnheit: wenn der große Vorsitzende spricht, klatscht Du, sonst winkt das Gulag.

  • wirklich drteist, an der FU als "freier universitöt" mit eine doch recht ansehnlichen und traditionsreichen expliziten politikwissenschaft fachbereich (OSI) echte zensur in obrigkeitstaatlicher manier auszuüben. die wissen ganau was sie da verbrechen!!! gregr gesuitr und buxschastenbe der freien forschung und lehre - grundgestzlich garantiert.

  • G
    gast

    war der dummschwätzer nicht schon mal in einer regierungsverantwortung und hat dann hingeschmissen weil er nix geregelt bekommen hat?

     

    und wegen so einem erwiesenen heißluftgebläse so ein aufstand?

     

    lasst den doch seine schwallerei absondern, das ist doch nichts anderes als ein olli pocher mit ohne haare

  • H
    Hans

    Wenn, dann sollte die Uni konsequent sein und keinen PolitikerInnen ein Forum bieten. Einzelne auszuschließen ist undemokratisch und nicht akzeptabel.

  • F
    finsternis

    neuland=altland=angstland? jede/m ihrem/seinen führer/in, kappt doch. brav geklatscht. von mir aus kann gysi weiter die anderen zu rebellion aufrufen, die masse der deutschen hat doch ihre schlaftablette gewählt, cryptohandy. bei beiden wird die verlogenheit klar sichtbar, wenn nicht grad geschlafen wird. so sind sie eben die fdj-sekretäre. blockflöten gleichen sich aus. hui, schnell davongebraust, in die graue, angstversteckende nacht. gysi würde sich doch sofort einscheißen, wenn es wirklich mal ernst würde.

  • G
    gast

    er konnte seine rede halten, seine meinung äussern und keiner hat ihn niedergebrüllt?

     

    dachte, das gehört zur demokratischen meinungsbildungsform des SDS untrennbar dazu?

     

    oder habe ich da was nicht richtig verstanden?

    • J
      Johnny
      @gast:

      Grundsätzlich dachten sie richtig, aber der SDS wird kaum den eigenen Chef niederbrüllen. Wenn's um Parteiloyalität geht, war's das plötzlich mit dem Antiautoritätsideal, dann werden aus den wilden Anarchisten brave Parteisklaven, die jeden Scheiß schlucken, wenn er nur aus den Körperöffnungen eines hohen Mitglieds der Partei stammt.