Ortstermin mit der Bahn-Elite: Wie im Sommer im ICE
Die Bahn lädt die Bahncard-100-Besitzer in ihre „Digital Base“ ein. Es gibt Wein, Häppchen und Aussichten auf eine Zukunft mit künstlicher Intelligenz.
Am Morgen zeigte die Bahn-App noch „teilweise Störungen im Buchungssystem“ an, aber irgendwie haben es dann ja doch alle geschafft und stehen hübsch gedrängt rum. Es sieht ein bisschen so aus wie in Hannover, wenn ICE 548/558 es mal wieder nur mit einem Zugteil aus Berlin herausgeschafft hat, nur die Stimmung ist viel besser. Ist nämlich gar nicht in Hannover, noch nicht mal am Bahnhof, aber trotzdem ganz nah dran an der Bahn.
Denn die hat ihre treuesten KundInnen in ihre Digital Base am Potsdamer Platz in Berlin eingeladen, und es gibt sogar schon vorher Weißwein, was in Hannover natürlich auch nie passiert. Treue BahnkundInnen erkennt man meistens an einem schwarzen Stück Plastik, das auch immer teurer wird, und wer meint, der Chaos Computer Club sei ’ne nerdige Veranstaltung, hat einfach noch keine hundertsounsoviel Bahncard-100-Besitzer auf einem Haufen erlebt.
Das Ganze hatte zwar gar nichts mit der BVG zu tun, aber „Weil wir es lieben“ wabert schwer spirituell durch den Saal, wobei „es“ natürlich die Bahn ist, und dann kommt die Dame von der Kundenbindung und freut sich ganz narrisch, dass alle so treuen KundInnen auch wirklich gekommen sind. Denn „manchmal ist es ja das Einfachste, wenn man mit dem Kunden spricht“, sagt Claudia Köhler also, und alles nickt, weil das mit dem Sprechen zu uns Bahnkunden ja so ’ne Sache ist, wenn der Zug mal wieder nicht kommt/auf freier Strecke stehen bleibt/Verspätung hat, und kein Schwein macht ’ne Ansage oder weiß was.
Und weil wir hier bei der Digital Base sind, wissen wir immerhin jetzt noch ein bisschen besser, warum das so ist: Die Bahn gibt es nämlich gar nicht. In Wirklichkeit gibt es ganz viele Bahnen bzw. Einheiten oder „Silos“ wie die DB-Techis sagen, und bis das alles ineinandergreift, dauert’s noch. Genauer gesagt: eine Generation, und zwar eine ganz menschliche.
Hilfe kommt von der künstliche Intelligenz
Auch wenn später Technik- und Digitalvorständin Sabine Jeschke sagen wird, dass schon die jetzige Generation künstlicher Intelligenz da ’ne ganze Menge helfen könnte. Zum Beispiel mit Sensoren an Gleisen und Bäumen, damit die Bahn schon etwas früher weiß, jetzt kommt ein Sturm und der Wald springt auf die Schiene. Denn das Problem ist ja, dass bei der Bahn eben absolut heißer digitaler Scheiß von morgen schon heute mit hier und da noch rund 100 Jahre alter Infrastruktur klarkommen muss. Aber Jeschke ist noch gar nicht dran, denn jetzt kommt erst mal der Dr. Lutz.
Der ist Vorstandsvorsitzender des ganzen Ladens und sieht in echt aber auch schon nicht mehr so jung aus wie auf seinem Foto auf der DB-Homepage, und man kann sich ja auch locker denken, dass Bahnchef sein ganz schön schlaucht, zumal bei den ganzen Verspätungen. Der Dr. Lutz erzählt dann, dass er manchmal freitags einfach BahnkundInnen anruft und sich von denen sagen lässt, wie es so läuft, und dass das manchmal auch ganz schön „emotionale Telefonate“ sind – „aber alle brennen für die Bahn“.
Und wir im Saal sowieso, und weil wir so brennen, wird es immer wärmer, und es ist ein bisschen wie im Sommer im ICE, kurz bevor der Wagen wegen Klima geräumt wird und es das lustige Gratiswasser aus dem Tetrapak gibt.
Im Prinzip läuft es ja bei der Bahn Bombe: Die Fahrgastzahlen gehen durch die Decke, und „im Ruhrgebiet kriegen Sie keinen einzigen ICE mehr dazwischen“, sagt Lutz und dass der Ausbau der Infrastruktur da eben nicht Schritt gehalten habe. „Mehdorn“ raunt es unter uns Bahnbrennern, obwohl man diesem Lord Voldemort des Transportwesens jetzt auch nicht alles in die Schuhe schieben kann. So Sachen wie Stuttgart 21 haben sie ja ganz prima auch ohne ihn hingekriegt.
Es wird noch laaaaange dauern
Jedenfalls dauert es ein bis zwei Jahre, bis die Bahn mehr Personal rekrutiert und aus- und umgebildet hat und drei bis fünf Jahre bei den neuen Zügen, aber bei der ganz großen Struktur werden’s locker schon mal 20–25 Jährchen, bis sich da richtig was tut. 80 Prozent Pünktlichkeit könnte er sofort liefern, hatte der Dr. Lutz ja auch gesagt, aber dafür müsse er ganz viele Züge weglassen, und das kann ja auch keiner wollen. Und dann gibt es Essen und Vorstände (für Politnerds: Nein, Poffalla war nicht da) und andere hohe Bahntiere zum Anfassen.
Bei der Rückfahrt nach Leipzig funktioniert auch die Bahn-App wieder richtig und meldet „Der Zug fällt aus. Es fährt Ersatzzug IC 2919 statt ICE 993. Kein Bordrestaurant/Bordbistro“. Aber wir sind ja auch schon satt.
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