piwik no script img

Ortstermin im WM-Land SüdafrikaUnbekannte Flugobjekte

So viele Hoffnungen waren mit der WM verbunden, doch die sind dahin. In Südafrika gilt: Alles für die WM. Es wird aufgeräumt in den Townships von Durban und Kapstadt.

Soccer City Stadion im Township Soweto, Johannesburg. Hier wird die WM angepfiffen. Bild: dpa

Über den Hügel pfeift der Wind. Er verbreitet einen widerlichen Gestank über ganz Umlazi. Oben auf der Anhöhe stehen zehn Chemieklos. Wenn der Wind zum Sturm wird, werden die Häuschen vom Hügel hinabgeblasen.

Dorthin, wo erst vor kurzem windige Wellblechhütten in den Hang gestellt wurden, kleine Häuschen ohne Fundament, ohne Boden. Übergangsheime für 400 Menschen, deren Häuser planiert wurden. Die Bezirksverwaltung von Durban hat es direkt am Müllberg im Township im Süden von Durban errichtet.

Ursprünglich wohnten die Leute in der Nähe des King Zwelithini Stadiums. Das wird derzeit aufgehübscht für die Fußball-WM. Die wilde Siedlung am Stadion, in der es vielen gelungen ist, ihre elenden Hütten durch steinerne Bauten zu ersetzen, war nicht schön genug für eine Fußball-WM – so hat man es in der Stadtverwaltung gesehen. Jetzt werden Zierbäume in Stadionnähe gepflanzt. Das könnte nett werden. Den Umgesiedelten wirds egal sein.

Eine Frau wäscht zwischen den Hütten mitten auf dem Schotterweg ihre Wäsche. Dahin wurde ein Schlauch verlegt: die Wasserversorgung des neuen Viertels. Wenn Fremde auftauchen, packt sie eilig die noch dreckige Wäsche und verschwindet, alle Erwachsenen verschwinden in ihren Hütten. Nur die Kinder genieren sich nicht und balgen sich weiter. Niedliches Elend.

Das King Zwelithini Stadium ist eines der kleinen Stadien in Durban. Mit der WM hat es nicht unmittelbar etwas zu tun. Das nagelneue Stadion steht woanders - näher am Stadtzentrum. Dann gibt es noch zwei Stadien, die von den Mannschaften während des Turniers als Trainingsplatz genutzt werden können. Die stehen auch woanders.

Auch das King Zwelithini Stadium sollte ein Trainingsstadion werden. Doch die Hotels, die der Internationale Fußballverband für die Mannschaften in Durban ausgewählt hat, sind weit weg von Umlazi, in besseren Gegenden. Doch das Geld für den Umbau war bereits genehmigt. Und so wurde planiert. Es gibt Pläne, im Stadion auf einer Großleinwand die WM-Spiele zu zeigen. Ein bisschen Weltmeisterschaft könnte nach Umlazi kommen.

"Würden sie es in Ihrer Heimat dulden, wenn überall Schwarzbauten stünden?" Julie-May Ellingson hat kein Mitleid mit den Umgesiedelten. Sie steht in einem beinahe fertiggestellten Funktionsraum des Moses Mabhida Stadiums, der neuen Sportkathedrale Durbans. Sie ist in der Stadtverwaltung für die Umsetzung aller Projekte zuständig, die mit der WM zusammenhängen. Die Stadtplanerin hat viel Geld für ihre Pläne bekommen.

Zum Thema Umlazi sagt sie: "Das Gelände um das Stadion dort muss entwickelt werden. Ich finde es außerdem nicht gut, dass die Menschen dort bis jetzt nur Fußball spielen können. Es gibt keine Hockey- oder Tennisplätze." Das will Julie-May Ellingson ändern.

Besonders stolz ist Ellingson auf das WM-Stadion, das für sie die neue Hauptattraktion der Stadt ist. 70.000 Zuschauer werden zu einem WM-Spiel zugelassen, und die werden sicher nicht schlecht staunen über den riesigen Bogen, der das Stadion überspannt. 104 Meter ist der hoch. Später soll man mal mit einer Seilbahn über den Bogen fahren können. "Das haben sich die Architekten so gedacht, wegen Regenbogennation und so." Alf Oschatz sagt das. Der Deutsche ist Projektmanager für den Stadionbau.

Er bezeichnet sich als Freelancer in der Baubranche, den man für große Vorhaben anheuern könne. 250 Millionen Euro kostet das weiß strahlende Riesengebilde mit den bunten Sitzen, das keine 200 Meter von den Stränden entfernt liegt, an denen die Wellen des Indischen Ozeans auslaufen. Auch die Strände werden gerade aufgemöbelt. 2,5 Millionen Euro sind dafür vorgesehen. Ein weiteres Projekt der Stadtentwicklerin Ellingson liegt indes derweil auf Eis. Der Warwick Market könnte den von der WM angefeuerten Stadtumbau überleben.

Wo jetzt noch riesige Markthallen für Obst-, Gemüse-, Lebendvieh- und Gewürzverkäufer stehen, ist eine Shopping Mall geplant. Mit den WM-Geldern der Regierung machte sich die Stadtverwaltung an das Schleifen der Stände.

"Hier geht es um kulturelles Erbe", sagt Richard Dobson. Er ist Architekt und koordiniert die Aktionen der Händler und Marktarbeiter gegen die Pläne, das bunte Handelszentrum abzuschaffen. Die waren zuletzt mit fünf einstweiligen Verfügungen gegen die Räumung des Marktes erfolgreich.

So darf Ramlok Bachoo weiter seine Hühner verkaufen. Der 69-Jährige hat seinen Stand am Eingang des Early Morning Market. Zwei Angestellte helfen ihm bei der Betreuung der Kunden und der lebenden Vögel. Er hat das Geschäft von seinem Vater geerbt und auch sein Großvater hat hier schon Vögel verkauft. Er ist ein lebendes Beispiel für das, was Dobson kulturelles Erbe nennt.

Zu denen gehören für ihn auch die Lastenträger. Motuti Ndebe ist einer von ihnen. Ein bulliger Typ, der nur noch ein paar Zähne im Mund hat. Jeden Tag fährt der 56-Jährige aus seinem Township zum Markt. 50 Euro verdient er im Monat. Das meiste davon muss er für Fahrten im Minibus vom Township zum Markt ausgeben. Vom Rest ernährt er acht Menschen. "Es wird außen an der Shopping Mall kleine Läden geben. Die können von den Händlern gemietet werden", sagt Julie-May Ellingson, die Stadtplanerin. Ndebe lacht, als er auf das Thema WM angesprochen wird. Eine Karte für ein Spiel kann er sich nicht leisten.

Stadion statt Flohmarkt

Ein anderer Markt hat die WM-Planung nicht überlebt. Das Greenpoint Stadium in Kapstadt steht auf dem Gelände eines ehemaligen Flohmarkts. Die Kleinhändler, die davon gelebt haben, den Flohmarktbesuchern Getränke, Würstchen oder Gebäck zu verkaufen, müssen ihre Geschäfte längst woanders machen. Ob dies allen gelungen ist, kann niemand sagen.

Der strahlend weiße Neubau wirkt wie ein Riesenufo, das auf einem der letzten freien Plätze im engen Kapstadt gelandet ist. Es war der Wunsch von Fifa-Boss Sepp Blatter höchstpersönlich, das Stadion an dieser Stelle eingepasst zwischen Küste und Tafelberg zu errichten. Der ursprünglich geplante Ort inmitten eines Townships war ihm nicht hübsch genug. Außerdem hätte es zu wenig Platz für VIP-Parkplätze gegeben.

Von 2.500 Bauarbeitern ist das Stadion nun im Stadtteil Greenpoint in die Höhe gezogen worden. Die Bauarbeiter tragen rote Hosen, auf die ein Fußball aufgedruckt ist, und gelbe Jacken mit der Rückennummer 10. "Sie sind stolz, dass sie hier arbeiten dürfen", sagt Nick Whitely, der bei der Stadtverwaltung für die Stadion-PR verantwortlich ist. Alle Bauarbeiter bekommen ein Freiticket für eines der Spiele. Einen Job werden viele von ihnen dann nicht mehr haben. Das WM-Projekt braucht sie nicht mehr, wenn das Stadion fertiggestellt ist.

Die Bauarbeiter von Greenpoint haben es des Öfteren in die Weltpresse geschafft. Immer wenn sie die Arbeit niedergelegt haben, um Lohnforderungen durchzusetzen, wurde weltweit die große Sorge formuliert, die Stadien könnten nicht rechtzeitig zur WM fertig werden. Doch auch wenn sie gut organisiert waren, mächtig waren die Arbeiter nie. "Es gab keine Streikkasse. Wer die Arbeit niedergelegt hat, hat einfach kein Geld bekommen", erklärt Martin Janson, ein Gewerkschafter, der für die Arbeiter ein landesweites Radioprogramm gestaltet.

Jansen sitzt in seinem Büro unter den Köpfen von Marx und Engels. Am Eingang zu den Gewerkschaftsbüros prangt ein buntes Gemälde, das glückliche Arbeiter und befreite Bauern zeigt. Sozialistischer Realismuskitsch. Jansen beherrscht die Klassenkampfrhetorik, spricht im Zusammenhang mit der WM von einem Milliardenbetrug an der Bevölkerung.

So viele Hoffnungen waren mit der WM verbunden. Die Bewerbungsunterlagen seien voller Versprechungen gewesen. Doch die seien verschwunden. Einige wenige hätten sich bereichert und das Land habe sich an die Fifa verkauft, ohne an die eigene Bevölkerung zu denken. Ob es ein Fehler gewesen sei, die WM nach Südafrika zu vergeben? Jansen schweigt.

Die Kinder von Lavender Hill, einem Vorort von Kapstadt, freuen sich auf das Turnier. Sie haben einen Traum. Sie wollen, dass ein WM-Star zu ihnen kommt. Sie würden so gerne Cristiano Ronaldo sehen, den portugiesischen Angreifer. Jede Woche trainieren sie zusammen. Ein soziales Projekt hat die Ausrüstung besorgt. Die wird nach jeden Training wieder eingesammelt und weggesperrt. Zu groß ist die Gefahr, dass den Kindern auf dem Heimweg Trikots oder Schuhe geraubt werden.

Die Fußballtore, die auf dem Trainingsplatz aufgestellt wurden, standen nicht lange. Bald waren sie abgeflext, gestohlen. Zwischen den zweistöckigen Häusern lungern Jungs und junge Männer im billigen Gangstaschick herum. Es könnten die Dealerbanden sein, die in derartigen Siedlungen seit Jahren das Sagen haben. Waffen gehören da zur Folklore.

In Lavender Hill ist es immerhin gelungen, die Bevölkerung ein wenig zu befrieden. Die Zeiten, in denen regelmäßig quer und scheinbar unmotiviert über die Straße geschossen wurde, sind vorbei. Die Schulen sehen immer noch aus wie Gefängnisse. Das Fußballprojekt spendet vielen Kindern Hoffnung. Zwei Mädchen aus der Gruppe dürfen mit dem benachbarten Jugendteam trainieren. Eine ist schon den Trainern der Jugendnationalmannschaft aufgefallen. Würde sie ihr Lehrer nicht chauffieren, sie müsste zu Hause bleiben in der gewohnten Trostlosigkeit.

70 Prozent betrage die Arbeitslosigkeit in Lavender Hill, Drogendealer bestimmen die Geschäftswelt und häusliche Gewalt sei an der Tagesordnung, es werde gesoffen. Der das sagt, ist Llewellyn Jordaan. Er ist Sozialarbeiter in Lavender Hill. Sein Bruder ist der Mister WM von Südafrika, Danny Jordaan, Chef des Organisationskomitees. "Ich spreche oft mit meinem Bruder darüber", sagt Llewellyn.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
  • J
    jakobunddasw

    Schon interessant, was wir für ein "Fußball-Fest" so alles in Kauf nehmen. Der Fußball ist ja toll, klar, sonst würde ich nicht jede Woche mitfiebern, aber er ist auf keinen Fall mehr wert als die Lebensform irgendeines Menschen. Er darf auf keinen Fall Menschen von ihren Heimen verdrängen. Und wieso passiert sowas? Natürlich, es ist der Kommerz, der viel zu sehr in den Sport eingreift, und der sogar noch von den Fifa-Granden in immer neuer und schlimmerer Form in den Sport eingelassen wird.