piwik no script img

Eine Wanderausstellung über „geschlossene venerologische Stationen“ in der DDR ist in Berlin angekommen. Betroffen waren Zehntausende Mädchen und Frauen

Hat als Betroffene für Aufklärung gesorgt: Martina Blankenfeld Foto: Maria Sturm

Das Museum Pankow an der Prenzlauer Allee ist ein lebendiger Ort: Yoga- oder Zeichenkurse der Volkshochschule finden hier statt, Kinder stöbern in den Beständen der Stadtbibliothek, die Gedenktafelkommission tagt dreimal im Jahr und es gibt Ausstellungen zur Geschichte des Bezirks. Auch der Stadtteil Buch gehört dazu, und so ist vergangene Woche die Ausstellung „Einweisungsgrund: Herumtreiberei“ eröffnet worden, die sich mit der Disziplinierung in venerologischen Stationen und Spezialheimen der DDR beschäftigt.

Elf solche geschlossenen venerologischen Stationen gab es vermutlich in der ganzen DDR, die Forschung ist da noch am Anfang. Eine davon befand sich im Ostberliner Klinikum Buch. Die Venerologie behandelt Geschlechtskrankheiten und ist eine Unterabteilung der Dermatologie.

Die Station 114c im Klinikum Buch war eine Spezialabteilung, in die man nicht freiwillig kam, um gesund oder geheilt zu werden. Es war ein Ort der Disziplinierung und Bestrafung. Volkspolizei oder Jugendämter sorgten dafür, dass Noch­minderjährige, aber auch erwachsene Frauen wegen vermeintlich „asozialen“ oder vorgeblich sexuell umtriebigen Verhaltens in die Hautklinik eingewiesen wurden. Dort mussten sie oft brutale gynäkologische Untersuchungen über sich ergehen lassen, wurden mehrere Wochen festgehalten und von dort teilweise in Jugendwerkhöfe oder Jugendheime überführt.

Man wusste um die Existenz solcher „Tripperburgen“, wie die geschlossenen venerologischen Stationen umgangssprachlich genannt wurden. Die betroffenen Frauen schwiegen sich später oft aus, dazu war das Thema zu intim, der angebliche Verdacht auf „häufig wechselnden Geschlechtsverkehr“ und die demütigende Behandlung auf dem gynäkologischen Stuhl zu schambesetzt. Mehrere Zehntausend Mädchen und Frauen in der DDR waren schätzungsweise betroffen. Aus Studien weiß man heute, dass höchstens 30 Prozent der zwangseingewiesenen Frauen tatsächlich an Tripper oder Syphilis erkrankt waren.

Die Aufarbeitung von Unrecht und Machtmissbrauch im Erziehungssystem der DDR setzte spät ein, und dieses Kapitel mit besonderer Verzögerung. „Das Schweigen zu brechen, ist einfacher gesagt als getan“, sagt Evelyn Zupke, die Bundesbeauftragte für die Opfer der SED-Diktatur, zur Eröffnung der Ausstellung am 6. November. Dann wendet sie sich direkt an Martina Blankenfeld, heute 61 Jahre alt, die im Publikum sitzt: „Ich bin Ihnen so dankbar, dass Sie Ihr Schweigen gebrochen und sich für ein Gedenkzeichen eingesetzt haben.“

Dass die Wanderausstellung nach Stationen in Leipzig, Halle, Dresden, Rostock und Gera nun in Berlin Station macht, ist auch Blankenfelds Engagement zu verdanken. Im Herbst vergangenen Jahres brachte sie bei der Gedenktafelkommission des Bezirks Pankow einen Antrag für ein Gedenkzeichen ein, das über die Geschlossene Venerologische Station Buch informieren soll. Blankenfeld trug ihren Antrag selbst vor, Ende Februar 2025 wurde er angenommen. Die taz hat ihr Engagement monatelang begleitet.

Vorsitzender der Gedenktafelkommission ist Bernt Roder, der auch das Bezirksmuseum leitet. Und so gelangte die Ausstellung dorthin. Es ist keine große Ausstellung, aber eine, die wächst. Zwölf große Stellwände stehen im Saal 112, mit Bildern und Geschichten zu den verschiedenen Städten und ihren Einrichtungen, sowie allgemeinen Informationen und dem Video einer szenischen Lesung. Die Stellwand zu Berlin-Buch erzählt die Geschichte Martinas, die mit 15 Jahren nach einem Suizidversuch in die Hautklinik Buch zwangseingewiesen wurde.

In der Ausstellung zu sehen ist auch eine große Plastik aus Steinpappe der Hallenser Künstlerin Liane Pförtner mit dem Titel VERDECKT. In Halle war die V-Station der Poliklinik-Mitte besonders berüchtigt und wurde noch zu DDR-Zeiten geschlossen. Anders als in Berlin fand man hier Patientinnenakten, die von einem Team von Medizinhistorikern ausgewertet werden konnten.

„Einweisungsgrund: Herumtreiberei“

Die Ausstellung: „Einweisungsgrund: Herumtreiberei“. Bis 21.12. Museum Pankow, Raum 112. Prenzlauer Allee 227-228, 10405 Berlin.

Vortrag: 26.11., 18 Uhr. Die Medizinhistorikerin Fruszina Müller über „Verletzen – Venerologische Stationen als Repressionsort“. Raum 111.

Erzählcafè: Offene Gesprächsrunde für betroffene Frauen. Raum 111. (Sabine Seifert)

Martina Blankenfeld ist bis heute nicht in Besitz ihrer Akte, sie hat in Archiven nachgefragt und immerhin Unterlagen gefunden, die belegen, dass es die geschlossene Station 114c in der Hautklinik Buch tatsächlich gegeben hat. Woran zu sehen ist, wie schwierig es sein kann, Jahrzehnte später sein Schicksal zu belegen.

Zum Eröffnungsabend ist eine weitere Betroffene gekommen. Sie und Blankenfeld waren nicht im selben Jahr da, aber auf der gleichen Station, der 114c. Sie tauschen sich darüber aus, wo und wie die Betten standen.

Auch dies ist ein Ziel der Ausstellung, gemeinsam kuratiert von der Gedenkstätte Torgau und dem Leipziger Initiativkreis Riebeckstraße 63: Betroffene miteinander ins Gespräch zu bringen, wo nötig, Beratung und Hilfe anzubieten. Die Bundesbeauftragte Evelyn Zupke kündigt an, dass sie im kommenden Jahr zu einem Fachgespräch im Bundestag einladen will. Gelder für die Opferberatung und historische Forschung wären willkommen, nötig, angebracht.

Volkspolizei oder Jugendämter sorgten dafür, dass Noch­minderjährige, aber auch erwachsene Frauen wegen vermeintlich asozialen oder vorgeblich sexuell umtriebigen Verhaltens in die Hautklinik eingewiesen wurden.

Die Station 114 c befand sich im Haus 114 des Klinikums Buch, das Anfang der 1990er Jahre geschlossen und später zu einem Wohnquartier mit Eigentumswohnungen umgebaut wurde. Es genießt Denkmal- und Ensembleschutz. Nach dem Wunsch der Gedenktafelkommission soll auf dem Gelände ein Gedenkzeichen über die besondere Geschichte des Hauses informieren.

„Um Form und Inhalt zu finden“, sagt Bernt Roder, Geschäftsführer der Gedenktafelkommission, „sind noch verschiedene Voraussetzungen zu klären: Die Eigentümergemeinschaft muss zustimmen und die Denkmalpflege einbezogen werden.“ Für die Eigentümer ist eine Verwaltungsgesellschaft tätig, ihnen hat Roder mitgeteilt, „das Anliegen des Bezirks gern persönlich vorzustellen und auch redaktionell abzustimmen“.

Es sieht so aus, als könne die Realisierung der Gedenktafel dauern. Bis dahin ist die Ausstellung weitergezogen. Nächste Stationen: Chemnitz und Pirna.

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen