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OranienplatzViel Lärm um – was?

Auf einer Pressekonferenz im Flüchtlingscamp eskaliert ein interner Streit.

Bashir macht auf seine Situation aufmerksam Bild: Britta Pedersen/dpa

„Das sind keine Flüchtlinge!“, brüllt Bashir und zeigt auf die Gruppe auf dem Podium. „Sie haben kein Recht, für mich zu sprechen!“ Seine Stimme ist laut und aggressiv. Die vorn reagieren genervt. Man merkt: Das passt ihnen jetzt wirklich gar nicht.

Die Flüchtlinge am Oranienplatz haben am Montagvormittag zur Pressekonferenz geladen, um Stellung zu nehmen zu den Vergewaltigungsvorwürfen, die seit Tagen in den Medien kursieren. Eine Frau hatte anonym im Internet von Übergriffen im Umfeld des Camps berichtet. Sie selbst sei von einem Mann vergewaltigt worden. Die Polizei startete Ermittlungen, CDU-Politiker forderten die Räumung des Camps.

Auf der Pressekonferenz müsste jetzt eigentlich nur das gesagt werden, was die Frau nach taz-Informationen einer Gruppe von Unterstützern erzählte: dass der Täter kein Flüchtling war, sondern ein Unterstützer. Täter und Opfer wollten demnach beide den Flüchtlingen helfen und kamen sich mit der Zeit näher. Die Tat fand den Aussagen zufolge nicht im Camp statt, sondern in einer Wohnung. Diese Hinweise würden ausreichen, um deutlich zu machen, dass sich die Tat nicht zur Stimmungsmache gegen das Camp eignet.

Doch während der gesamten Pressekonferenz werden diese Informationen nicht vermittelt. Erst gibt es einen längeren internen Konflikt darüber, wer auf dem Podium sprechen darf. Bashir meint, dies solle er sein und nicht die anderen. Er brüllt erst draußen, dann drinnen, dann draußen, zwischendurch brüllt ein Freund von ihm drinnen weiter.

Die Flüchtlinge auf dem Podium verlesen eine Erklärung, in der sie Diskriminierung und Rassismus anprangern, sie fordern ein Ende der Residenzpflicht und der Abschiebungen. Journalisten fragen nach: Was ist denn nun mit dem Vergewaltigungsfall?

Das sei ein „Phantomdelikt“, sagt ein Flüchtling. Es gebe „keine sicheren Beweise“. Es könne sich auch um eine erfundene Sache handeln, um dem Camp zu schaden. Anschließend beschimpfen die Flüchtlinge die Journalisten und diskutieren mit einzelnen über deren Artikel.

Die Unterstützer beschränken sich bei der Pressekonferenz darauf, für die Flüchtlinge zu übersetzen. So ist ihr Selbstverständnis. Eine echte Unterstützung hätte in diesem Fall jedoch daraus bestanden, den Journalisten von den Hinweisen zu erzählen, die es gibt – auch wenn es keine sicheren Beweise sind.

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12 Kommentare

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  • Ich finde das Flüchtlingscamp gut. Aus meiner Sicht sollte es flächenmäßig deutlich ausgeweitet werden, solange es in Kreuzberg bleibt.

     

     

     

    Die Kreuzberger haben es nicht anders verdient. Jetzt werden ihre Träume einer bunten Gesellschaft endlich Realität.

     

     

     

    Mit dem Vergewaltigungsopfer habe ich Mitleid.

     

     

     

    Mit den Anwohnern nicht.

    • H
      Hans
      @Stephan Mirwalt:

      Juhu, menschenverachtender Zynismus. Ein absolutes Muss für eine konstrultive Diskussion.

  • M
    mir-kommen-die-tränen

    Es hat keine Vergewaltigung gegeben, und wenn doch, war es ein Unterstützer.HAHA. Wo liegt denn da ein Problem? Abgesehen für das Opfer, aber das scheint hier sowieso keinen zu interessieren. Das hier vertuscht wird, sieht ein Blinder. Es dient ja der guten Sache

  • G
    Gast

    "Doch während der gesamten Pressekonferenz werden diese Informationen nicht vermittelt" Ich war auch dort und kann sagen, das stimmt einfach nicht. Genau diese Informationen wurden von dem Unterstützer, der ganz rechts saß vorgetragen. Es gab dazu auch noch mehrere Nachfragen von den Journalisten, die auch beantwortet wurden. Es stimmt also auch nicht, dass die Unterstützer nur übersetzt hätten, sie haben genau das gemacht, was Sie in ihrem Artikel fordern. Sind Sie vielleicht früher gegangen oder haben nicht zugehört?

    • Sebastian Heiser , Autor des Artikels,
      @Gast:

      Ich war die ganze Zeit auf der Pressekonferenz. Der Unterstützer rechts hieß Jan. Es ging zwischendurch mal um die Wohnungsfrage, aber nicht um die Hinweise auf den Täter.

       

       

       

      Auch die Kollegen vom RBB zum Beispiel erwähnen in ihrem Bericht nichts von den konkreten Hinweisen auf den Täter, sondern von der Infragestellung der Schilderung des Opfers: "Für uns ist das eine Phantom-Debatte. Wir hatten keinen Kontakt zum Opfer und keinen Kontakt zum Täter. Polizeiliche Ermittlungen haben auch nicht stattgefunden." (http://www.rbb-online.de/nachrichten/politik/2013_07/fluechtlingscamp_oranienplatz_vergewaltigungsvorwuerfe.html).

       

       

       

      Die Information auf die Hinweise bekamen nur die Journalisten, die sich nach Ende der Pressekonferenz noch mit Jan oder anderen Unterstützern unterhielten.

  • K
    Kimme

    "Das sei ein „Phantomdelikt“, sagt ein Flüchtling. Es gebe „keine sicheren Beweise“."

     

     

     

    Diese Aussage ist unklug und ziemlich rücksichtslos. Generell ist der bisherige Umgang des Flüchtlinge und ihrer Unterstützer mit der Vergewaltigung mehr als unglücklich und zum Teil sehr Bedenklich.

    • @Kimme:

      @Kimme:

       

      Was ist bitte daran bedenklich? Es wurde tatsächlich bisher nicht mal geklärt, ob tatsächlich eine Vergewaltigung stattgefunden hat, wer das Opfer ist, oder wer der Täter ist, oder sonst irgendetwas...

       

      was soll denn bitte jemand, der mit der Sache wohl auch gar nichts zu tun hat, jetzt zu einem Verbrechen sagen, dessen einziger Anhaltspunkt bisher nur durch eine anonyme Aussage auf Indymedia ohne jegliche Möglichkeit der Überprüfung des Wahrheitsgehalts oder des Hergangs des Vorfalls ist? Ohne Klärung ist es eben ein "Phantomdelikt" und eine "Phantomdebatte".

  • L
    Leser

    Hallo,

     

     

     

    ich bin ein wenig irritiert durch diesen Artikel: ok, der Autor beurteilt hierbei die Rolle der Unterstützer bei der Pressekonferenz, hier wird seine Meinung deutlich und ist nachvollziehbar.

     

    Der groß angedeutete interne Konflikt jedoch bleibt nebulös - zudem ist die Frage, mit welcher Legitimität bei solchen Aktionen Leute als Sprecher auftreten, über den konkreten Fall hinaus sehr spannend und gehört diskutiert.

     

    Es will fast so scheinen, als wollte der Autor diese Konflikte nicht diskutieren, um sich "schützend" vor das Lager stellen. Den aufmerksamen Leser kann er damit nicht überzeugen.

    • Sebastian Heiser , Autor des Artikels,
      @Leser:

      Bashir gehört zu den Flüchtlingen mit Lampedusa-Papieren. Italien zahlt Flüchtlingen Geld und gibt ihnen eine befristete Aufenthaltsgenehmigung, die für ganz Europa gilt. Bedingung ist, dass sie Italien verlassen. In Deutschland haben solche Flüchtlinge keinen Anspruch auf einen Cent Geld vom Staat, die bekommen keine Unterkunft und keine Krankenversicherung. Wenn sie einen Asylantrag stellen, werden sie sofort aus Deutschland abgeschoben. Ein Asylverfahren, bei dem ihr Antrag geprüft wird, gibt es für sie nicht. Diese Flüchtlinge kämpfen sehr existenziell um ihr Leben. Für sie gilt außerdem ein Arbeitsverbot.

       

       

       

      Wer dagegen in das deutsche Asylverfahren reingekommen ist, ist viel privilegierter. Es gibt monatlich Leistungen vom Staat in Höhe des Hartz-IV-Satzes, es gibt Anspruch auf eine Unterkunft (wenn auch häufig nur in Flüchtlingsheimen statt in Wohnungen) und Krankenversicherung. Diese Flüchtlinge dürfen zudem zu gemeinnützigen Zwecken arbeiten, allerdings nicht mehr als 1,05 Euro pro Stunde verdienen. Wenn die Flüchtlinge aus einer Kriegsregion kommen, dann besteht - selbst wenn der Asylantrag abgelehnt wird - ein dauerhaftes Abschiebehindernis. Die Flüchtlinge werden dann geduldet und haben nach ein paar Jahren die Chance auf eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung.

       

       

       

      Im Grund genommen sind es zwei völlig unterschiedliche Gruppen mit komplett unterschiedlichen rechtlichen Gegebenheiten. Sie haben auch verschiedene Forderungen, die sich an unterschiedliche Instanzen richten. Um die Situation der ersten Gruppe zu bessern, müsste wohl die EU ihre Dublin-II-Verordnung ändern. Die zweite Gruppe fordert Verbesserungen vom deutschen Staat.

       

       

       

      Die Flüchtlinge, die auf dem Podium auftraten, wurden bei einem Vorbereitungstreffen der Flüchtlinge dazu bestimmt.

      • L
        Leser
        @Sebastian Heiser:

        Ok, es ist also eine Konsequenz aus der sicherern Drittstaatenregelung und der "italienischen Handgeldregelung"

         

         

         

        Danke, Herr Heiser.

         

         

         

        Falls Sie dieses hier öfter bekommen, wunderen Sie sich nicht, kam mit der Antorttaste nicht 100% klar.

  • Jetzt bestimmen auch noch "Flüchtlinge", wer ein "Flüchtling" ist und wer für "Flüchtlinge" was reden darf...

  • N
    nachbarin

    "Täter und Opfer wollten demnach beide den Flüchtlingen helfen und kamen sich mit der Zeit näher. Die Tat fand den Aussagen zufolge nicht im Camp statt, sondern in einer Wohnung" Was hätte noch gesagt werden sollen? Namen? Um die Jagd zu eröffnen? Wichtig ist; Es hat nicht im Camp stattgefunden! Es war Kein Refugee! Der Drops ist gelutscht. Nun schielen wieder alle auf die Hygiene. Vielleicht kann man damit ja weiterkommen. Besser wäre Unterstützung die hygienischen Verhältnisse zu verbessern. Nicht vergessen, es geht darum insgesamt die Asylpolitik zu verbessern. Es geht nicht um den Oranienplatz - Dort wird nur ein Zeichen gesetzt.