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Oranienplatz-Verfahren abgeschlossen"Entscheidend ist der politische Wille"

Rechtsanwältin Berenice Böhlo kritisiert, die Berliner Ausländerbehörde habe bei den Oranienplatz-Verfahren ihre juristischen Spielräume nicht genutzt.

Eineinhalb Jahre gab es das Protest-Camp von Flüchtlingen am Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg: Für die Räumung versprach der Senat den Menschen im März 2014 "umfassende Einzelfallprüfungen". Die sind nun abgeschlossen. Bild: dpa
Interview von Susanne Memarnia

taz: Frau Böhlo, Sie haben als Anwältin einige der 576 Flüchtlinge vertreten, die am Oranienplatz-Verfahren teilgenommen haben. Konnten Sie einem Ihrer Mandanten dadurch zu einem Aufenthalt verhelfen?

Berenice Böhlo: Nein. Es gibt überhaupt keinen einzigen Flüchtling, der über dieses Verfahren einen Aufenthalt bekommen hat. Die drei Fälle, von denen die Innenverwaltung sagt, sie hätten dadurch Papiere bekommen, sind Leute, die geheiratet haben, ein Abschiebeverbot bekommen haben oder ähnliches. Das hat mit diesem Verfahren nichts zu tun - das hat die Verwaltung bewusst falsch dargestellt.

Hätten Sie das am Anfang, als Senat und Flüchtlinge das Abkommen unterschrieben haben, gedacht - dass es quasi unmöglich sein würde, mit diesem Papier etwas zu erreichen?

Ich war skeptisch, ob es aufgrund dieser Vereinbarung, Aufenthaltserlaubnisse geben wird. Aber ich habe es nicht so eingeschätzt, dass die Innenverwaltung in keinem Fall auch nur ansatzweise prüft. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass das Abkommen für die Verwaltung rein gar nichts zählt.

Wie können Sie sicher sein, dass die Ausländerbehörde gar nichts geprüft hat?

Weil die Bescheide zwar teilweise mehrere Seiten umfassen, aber in keinem einzigen Fall von den Möglichkeiten Gebrauch gemacht wurde, die das Aufenthaltsgesetz zugunsten von Antragstellern bietet - etwa die Tatsache, dass jemand hier in Berlin eine Therapie macht, dass er eine starke soziale Vernetzung hier hat, eine Beziehung, Deutschkurs, Arbeitsangebot, Praktikum. All dies wurde in keinem Fall berücksichtigt. Die Ausländerbehörde hat stattdessen einfach pauschal gesagt, wir sind nicht zuständig - oder dass Anträge auf Autenthaltserlaubnis vom Ausland aus gestellt werden sollen.

Innensenator Frank Henkel hat immer gesagt, man halte sich strikt an Recht und Gesetz. Aus seiner Sicht sind seiner Behörde quasi die Hände gebunden. Wie kann es sein, dass ein Gesetz so unteschiedlich ausgelegt werden kann?

Es gibt zum Beispiel im Aufenthaltsgesetz zum Beispiel die Bestimmung: Von der Einhaltung des Visa-Verfahrens kann abgesehen werden. Wir argumentieren: Wenn jemand Teil der Oranienplatz-Vereinbarung ist und im öffentlichen Raum politisch wichtige Fragen artikuliert hat und wenn dieser jemand hier noch dazu sozial vernetzt ist, sollte von diesem Ermessensspielraum Gebrauch gemacht werden. Zumal sich die Innenverwaltung mit der Vereinbarung zu einer wohlwollenden Prüfung verpflichtet hat. Die Ausländerbehörde und Henkel aber sagen: Wir legen dieses Kann strikt aus. Beides ist möglich, weder unsere Argumentation ist in sich falsch, noch die von Henkel. Nur: Was sollte dann die Vereinbarung mit den Flüchtlingen? In der ging es doch darum, gegenseitige Rechte und Pflichten anzuerkennen. Dieses Papier hatte ja eine Bedeutung - sonst hätte man es gar nicht unterschreiben müssen. Im übrigen hat die Innenverwaltung auch von ihrem Ermessen Gebrauch gemacht und nunmehr für einen ganz kleinen Personenkreis der Oranienplatzflüchtlinge doch Duldungen ausgestellt. Dabei handelt es sich um die, die eine Traumatherapie bei Xenion machen. Im Rahmen des Oranienplatzverfahrens war das zuvor ignoriert worden. Das zeigt doch, entscheidend ist nicht allein das Recht, sondern der politische Wille, wie dieses anzuwenden ist.

Im Interview: Berenice Böhlo

ist Jahrgang 1971 und seit 2002 als Rechtsanwältin in Berlin tätig mit dem Schwerpunkt Migrations- und Sozialrecht. Sie ist Mitglied im Vorstand des Republikanischen Anwaltsvereins.

Sie legen damit ja die Tatsache, dass jemand demonstriert und politische Forderungen stellt, als positiv für die Ermessensentscheidung aus. Aber für Henkel war der Protest nicht positiv, er ist ja geradezu gegen das politische Anliegen der Flüchtlinge.

Hier war der Senat offensichtlich gespalten. Der damals Regierende Bürgermeister Wowereit hat, genau wie Integrationssenatorin Dilek Kolat, selber gesagt, dass es ein Problem gibt mit dem deutschen und europäischen Asylrecht wegen Residenzpflicht, Arbeitsverbot etc. Und dass es für den Oranienplatz, der dies anprangert, eine humanitäre Lösung geben muss. Das heißt aus meiner Sacht, dass politisch Verantwortliche diesen Protest anerkannt haben. Und zu Recht: Die gesamte Gruppe hat ein Anliegen formuliert, dass uns betrifft. Die haben nicht egoistisch gesagt, ich möchte dies und jenes haben, sondern sie haben mit ihrem Protest auf ein ganz brennendes Problem aufmerksam gemacht.

Das verwischte sich ein bisschen: der persönliche Wunsch nach einem Bleiberecht und das politische Anliegen. Das machte es für die Öffentlichkeit vielleicht schwer zu verstehen?

Ja, die Anliegen sind natürlich vielfältig, wenn sich Leute zusammen schließen mit einem derart heterogenen Hintergrund. Es gab ja viele unterschiedliche Gruppen: Menschen mit politischer Erfahrung, andere, die erst hier aktiv wurden; gut Ausgebildetete und einfache Menschen, die nur ihren afrikanischen Dialekt sprechen; Leute mit italienischen Aufenthaltspapieren und Asylbewerber in Deutschland. Entsprechend unterschiedliche waren auch die Forderungen, wobei sich alle zur Begründung auf die Menschenrechte berufen. .

Was wissen Sie darüber, was aus den Leuten geworden ist?

Nach wie vor leben viele in der Stadt, hier und dort, teilweise werden sie von der Kirche untergebracht.

Was passiert, wenn die Polizei sie aufgreift?

Nach meiner Kenntnis lässt die Berliner Polizei sie in Ruhe. Bislang werden alle nach einer Identitätsfeststellung wieder frei gelassen.

Ist das eine Sonderbehandlung für Oranienplatz-Leute?

Ja. Ich stelle das einfach nur fest. Viele haben sicher einen Status, wo man eigentlich abschieben müsste - aber es geschieht nicht. Wenn doch mal jemand abgeschoben wird, sind das Fälle, in denen die Bundespolizei oder ein anderes Bundesland aktiv geworden ist.

Die Residenzpflicht wurde ja auf Bundesebene im November quasi abgeschafft - eine wichtige Forderung der Oranienplatz-Leute. Können viele von ihnen damit jetzt nicht ohnehin legal in Berlin bleiben?

Zunächst: Die neue Regelung bedeutet nicht, dass ein Asylbewerber eigenverantwortlich entscheiden kann, wo er leben möchte - oder auch nur, dass er zwei Wochen jemanden in Berlin besuchen geht.

Nein?

Nein. Zwar kann man Besuche machen, aber offiziell bleibt man in seinem Heim gemeldet und hat dort zu wohnen. Den Oranienplatz-Leuten hilft das also nicht. Hinzu kommt, dass auch nach dem neuen Gesetz in vielen Fällen die Residenzpflicht wieder verhängt werden kann.

Viele Oranienplatz-Leute sind oder waren auch gar keine Asylbewerber, sondern haben Aufenthaltspapiere für Italien. Welche juristishcen Möglichkeiten haben Sie jetzt noch?

Schwieriges Thema, denn hier zeigt sich, dass es nicht wirklich ein europäisches Asylsystem gibt. Im Moment haben wir auf europäischer Ebene eine Anerkennung von negativen Entscheidungen - also, wenn Italien einen Asylantrag ablehnt, kann man in Deutschland keinen mehr stellen. Wenn aber Italien eine positive Entscheidung fällt, also jemandem Asyl gibt, kann derjenige trotzdem nicht die europäische Freizügigkeit genießen. Er kann nur in Italien leben und arbeiten. Wir sagen daher, es muss auch für diese Fälle eine Möglichkeit geben, ein Aufenthaltsrecht in Deutschland zu bekommen.

Müsste es für Italien eine Regelung geben wir für Griechenland, wohin ja EU-weit nicht mehr abgeschoben wird, weil die Zustände dort für Flüchtlinge so katastrophal sind?

Ja. Die Berichte verschiedener Flüchtlingsorganisationen wie Pro Asyl über die italienitschen Verhältnisse gehen in diese Richtung. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und das Bundesverfassungsgericht hängen ja deswegen auch die Hürden für eine Abschiebung nach Italien sehr hoch. Die Leute sitzen dort auf der Straße, haben nichts, sie müssen zu Suppenküchen gehen.

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