Oranienplatz-Flüchtling klagt an: Gefesselt und nackt in der Zelle
Schwere Vorwürfe gegen die Polizei: Nach einer Demo verhaftet und verprügelt, saß ein Flüchtling vier Tage im Gefängnis – ohne Nennen eines Grunds. Die Polizei sieht aggressives Verhalten
Ein Flüchtling vom Oranienplatz erhebt schwere Vorwürfe gegen die Polizei. Bei seiner Verhaftung im Rahmen einer Demo Anfang November sei er misshandelt und anschließend stundenlang nackt und gefesselt in einer Zelle eingesperrt worden. Ohne zu wissen warum, habe man ihn vier Tage lang in der Justizvollzugsanstalt Plötzensee festgehalten. Dann wurde er freigelassen – weil eine Mitarbeiterin der Diakonie 260 Euro zahlte, für eine Strafe, von der er nichts weiß.
Geschichten über Polizeigewalt sind schwer zu recherchieren: Selten gibt es Zeugen, die Polizei wiegelt in der Regel ab. Heri hat sich dennoch entschlossen, an die Öffentlichkeit zu gehen: Noch immer kann er nicht glauben, dass das, was ihm widerfahren ist, im Rechtsstaat Deutschland rechtens ist. Obwohl er zwölf Tage lang auf dem Dach eines Heims in Friedrichshain festsaß, die Polizei den Besetzern kein Wasser und Nahrung gab – und ein Gericht dieses Aushungern für rechtens erklärte. Bis heute nagt diese Geschichte an Heri und seinen neun Gefährten vom Dach, die seitdem in einer Obdachloseneinrichtung in Kreuzberg unterkommen sind.
Dort sitzt am Mittwoch Heri auf einer Bank im Flur, hält sich den sichtlich schmerzenden, bandagierten linken Arm und erzählt. Er redet Haussa, sein Freund Mohamed übersetzt ins Englische: „Am 3. November, gegen neun Uhr abends war ich auf einer Demo vor der besetzten ehemaligen Schule in Kreuzberg.“ Heri stand in der ersten Reihe der Demokette, sagt er, die Polizsten drängten die Menge zurück. „Einer schlug mir mit der Faust auf den Mund“, ohne Vorwarnung. Den zweiten Schlag wehrte er ab, wonach sich vier Beamte auf ihn stürzten und zu Boden warfen. „Zwei saßen auf mir, da drehte mir ein Dritter den Arm nach unten und setzte seinen Fuß auf den Ellbogen.“
Die Beamten stellten Heris Personalien fest. Der Mann aus Niger wurde auf ein Revier gebracht. „Ich saß auf einer Bank und wartete, da kam ein Polizist vorbei und schlug mir ins Gesicht.“ Seine blutige Kleidung musste er ausziehen, nackt bis auf die Unterwäsche wurden ihm Hand- und Fußschellen angelegt, er wurde in eine Zelle gesperrt. „Stundenlang war ich dort allein. Nur weil ich die ganze Zeit schrie, wurden mir endlich die Fesseln abgenommen.“ Da sei es etwa fünf Uhr morgens gewesen. Später brachten ihn Beamte ins Vivantes Wenckebach-Klinikum in Tempelhof – und von dort in das Krankenhaus der Justizvollzugsanstalt Plötzensee.
Dort stöberte ihn drei Tage später, am 7. November, Frau M. auf, seine ehemalige Beraterin von der Diakonie. Die engagierte Frau möchte ihren Namen lieber nicht in der Zeitung lesen. Schön öfter habe sie Ärger bekommen wegen ihrer Kritik an Heimbetreibern oder Behörden. Frau M. kümmert sich inzwischen ehrenamtlich um Heri, ihre Arbeit im Rahmen des Oranienplatz-Verfahrens ist offiziell abgeschlossen ist. „Als ich von Mohamed angerufen wurde, dass Heri vermisst wird, habe ich telefonisch Polizei und Gefängnisse abgeklappert“, erzählt sie. Sie fährt auf Verdacht nach Plötzensee und erfährt dort, dass Heri dort tatächlich inhaftiert ist. Er soll 30 Tage lang eine Ersatzfreiheitsstrafe von 300 Euro absitzen.
Eine solche Haft wird verhängt, wenn jemand ein Bußgeld nicht bezahlt – bei Flüchtlingen sind das häufig Geldstrafen wegen Verletzung der Residenzpflicht. Nur: Heri sagt, er habe eine ihm aufgebrummte Strafe wegen Residenzpflichtverletzung in Monatsraten abbezahlt. Frau M. bestätigt das. Ihr sei bis heute schleierhaft, wofür Heri 300 Euro zahlen sollte. Auch die Beamten in Plötzensee wissen nichts – oder sagen ihr nichts. Sie bezahlt die verbliebenen 260 Euro – vier Tage hat Heri abgesessen. Dann ist er frei.
Sein Eindruck ist, dass die Polizei den ganzen Vorgang vertuschen möchte. „Warum sonst haben sie mir die blutverschmierten Klamotten abgenommen und behalten?“
Die Polizei erklärt auf taz-Anfrage, das sich Heri nach Schilderungen der eingesetzten Polizisten „in einer Gruppe von mehreren Personen befand, die äußerst aggresiv und gewalttätig war“. Nach einem missachteten Platzverweis wurde Heri „von den Beamten abgedrängt. Hierbei schlug sowie trat der Mann nach ihnen und biss einen Polizisten in die Hand. Er verletzte insgesamt drei Beamte. Aufgrund des äußerst aggressiven und gewalttätigen Auftretens des Mannes mussten die Polizisten ihn überwältigen und fesseln.“ Bei der anschließenden Überprüfung hätte sich herausgestellt, „dass der Festgenommene mit Haftbefehl gesucht wurde“.
Die Entkleidung in der Justizvollzugsanstalt wurde von seiten der Polizei bestätigt. Dies werde „grundsätzlich durchgeführt, um auszuschließen, dass die Betroffenen Gegenstände mit sich führen, mit denen sie andere Personen oder sich selbst verletzten könnten“. Deshalb, so die Polizei, auch die Fesselung, „da die Gefahr bestand, dass er weiterhin Polizisten angreifen und Widerstand leisten wird“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
FDP-Krise nach „Dday“-Papier
Ex-Justizminister Buschmann wird neuer FDP-Generalsekretär
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz