Optische Täuschung: Falscher Essensrest, echte Empörung
Bilder, die man am liebsten anfassen möchte, um zu prüfen, dass wirklich alles nur gemalt ist: Eine Hamburger Ausstellung widmet sich der Kunst des "Trompe loeil".
Es ist eine Ausstellung über Macht. Ein bisschen auch über Angst. Und über Verunsicherung. Es geht um die Macht der Bilder. Um die Frage, was echt ist von dem, was wir täglich sehen. Diese Fragen kamen ja nicht erst mit den Möglichkeiten der Foto-Manipulation auf: Schon in der Antike haben die Römer realistische Bodenmosaiken geschaffen, die wie Müllhalden aussahen: Abgenagte Fischgräten, angebissene Äpfel und kahle Geflügelknöchelchen waren da naturgetreu dargestellt, als hätte eine Tischgesellschaft sie soeben weggeworfen. Diese ironischen Mosaiken liegen dort, wo eigentlich Teppiche sein sollten.
Ein bissiger Kommentar zur Dekadenz der römischen Oberschicht - einerseits. Andererseits kamen die Aufträge für diese Werke gerade aus eben dieser Oberschicht, die sich so sehr dann doch nicht schämte. Und wurde die Täuschung überhaupt bemerkt, dann nur, weil einzelne Mosaiksteinchen erkennbar waren - die Pixel der Antike, gewissermaßen.
Der optischen Täuschung, genauer: der Kunst des "Trompe loeil" - "Täusche das Auge" - gilt diese Ausstellung. Sie verfolgt die Ursprünge der besonders im 17. Jahrhundert in den Niederlanden gepflegten Gattung und untersucht die Veränderung von Sehgewohnheiten. Oder auch: die Täuschbarkeit des Auges. Schon früh versuchten Künstler, den Betrachter an der Nase herumzuführen. Nicht nur die erwähnten Römer taten das, sondern auch die Mönche, die im Mittelalter Bibelabschriften und Gebetsbücher anfertigten: Da erscheint in einem Gebetsbuch von 1485 nicht nur Maria samt Jesuskind, sondern der Text ist von so realistisch gemalten Münzen umgeben, dass man am liebsten prüfen möchte, ob man die wirklich nicht abknibbeln kann.
Im 16. Jahrhundert wurden niederländische Stillleben die wichtigsten Augentäuscher. Diese Bilder mit ihren welken Blumen und fauligen Früchten sind weit mehr als Parabeln auf die Vergänglichkeit: Fast immer ist auch irgendein Teller so beunruhigend knapp auf die Tischkante gesetzt, dass er fast dem Bild heraus kippt. Und erst die realistischen Marmorfrüchte, die Renaissance-Künstler für illustre Auftraggeber modellierten: Die Natur nachzubauen, zu ersetzen, zu überbieten, wenigstens einen Moment lang - das war das Ziel. Den Betrachter wenigstens kurz über das Material täuschen oder die Beschränkungen des Zweidimensionalen überwinden.
Auch das ist eine Variante künstlerischer Freiheit: Gegenstände geradezu hyperrealistisch wiederzugeben - Juan Fernandez Trauben aus dem Jahr 1657 etwa. Was zugleich ein listiger Ansatz ist: Lustvoll malten die Künstler des 18. Jahrhunderts - Wallerant Vaillant und Samuel van Hoogstraten etwa - so genannte Steckbretter. Die sahen aus wie an die Wand gehängte Holzbretter, auf denen Briefe, Dokumente und Gegenstände des Auftraggebers nur durch Riemen zusammengehalten wurden, als wollten sie jede Sekunde herunterfallen.
Fröhlich malten derweil Zeitgenossen wie Francois Xavier Vispré gesprungene Glasplatten vor ihre Bilder - nicht nur ein Spiel mit dem Blick, sondern auch eine Frage nach der Echtheit des eigenen Handwerks. Und eine stetige Verunsicherung des Betrachters.
Dass die Hamburger Kuratoren auch eine Collage von Kurt Schwitters zwischen die Steckbrett-Bilder gehängt haben, ist eine plausible Assoziation, Trompe loeil im engen Sinne aber sind Schwitters Arbeiten nicht: Ihm ging es nicht um das Vorspiegeln falscher Materialien.
Eben das aber gelingt - und hier überwindet die Ausstellung gekonnt die Kluft zwischen alter und neuer Kunst - Peter Fischli und David Weiss: Scheinbar zufällig hat das Künstlerduo Bretter, Farbeimer, Paletten, Pinsel, Klebebandrollen an eine Wand gestellt. Nichts davon ist aus dem vermuteten Material, alles besteht aus Kunststoff. Der Betrachter freilich hat wenig Chancen, das festzustellen: Er muss in mehreren Metern Entfernung hinter einer Absperrung verharren und kann allenfalls mutmaßen. Eine kluge, folgerichtige Kontextualisierung.
Auch dass Thomas Demand hier Platz fand, leuchtet ein: Dieser baut Tatorte und andere Räume aus Papier nach und fotografiert sie dann. In der Hamburger Ausstellung ist nun ein mit Lamellen verhängtes Fenster zu sehen - ein beliebtes Motiv des Trompe loeil.
Dass die Ausstellungsmacher außerdem die bronzenen Bierdosen von Jasper Johns hinein nahmen - die deutlich keine Augentäuschung sind, weil man die Verfremdung sofort bemerkt -, sei ihnen nachgesehen. Im assoziativen Umfeld des Ausstellungsthemas bewegen sie sich dennoch in ihrem subversiv-ironischen Spiel mit gegenstandsfremden Materialien.
Diese Ausstellung zur Täuschung hat sogar politische Wellen geschlagen: Eine bronzene Che-Guevara-Statue von Christian Jankowski draußen auf dem Hamburger Rathausmarkt dem Landesverband der Jungen Liberalen so echt, dass sie ihre Entfernung forderten: Die Figur "verharmlose" den Guerillaführer, empörte sich der Liberalen-Nachwuchs - und ruderte zurück, als er erfuhr, dass es sich um ein Ausstellungsexponat handelt. Was aber die Kunst der Täuschung betrifft: ein gelungener Coup - das Ausstellungskonzept funktioniert. Inner- und außerhalb der musealen Mauern.
"Täuschend echt. Illusion und Wirklichkeit in der Kunst": bis 24. 5., Hamburg, Bucerius Kunst Forum
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