Opferanwalt über Loveparade-Prozess: „Entschuldigungen fast unmöglich“
Zweiter Tag im Loveparade-Prozess: Opferanwalt Thomas Feltes über politische und moralische Verantwortung, Ermittlungspannen sowie Grenzen des Strafrechts.
taz: Herr Feltes, im Loveparade-Prozess vertreten Sie Manfred Reißaus – seine Tochter Svenja ist bei der Massenpanik des 24. Juli 2010 gestorben. Wie hat er den ersten Prozesstag verkraftet?
Thomas Feltes: Herr Reißaus war sehr nervös und aufgeregt. Er wusste, dass es viele Anträge der Verteidigung, viele Unterbrechungen geben wird. Doch als die Anklageschrift mit dem Namen seiner Tochter verlesen wurde, hat er gezittert. Der Prozess holt die ganzen schrecklichen Erinnerungen wieder hoch.
Warum tut er sich das an?
Herrn Reißaus geht es nicht um Rache. Er fordert keine möglichst hohen Strafen für die Mitarbeiter der Stadt Duisburg und des Veranstalters Lopavent, denen fahrlässige Tötung und Körperverletzung durch fehlerhafte Planung vom Schreibtisch aus vorgeworfen wird. Aber er will verstehen, was diese Katastrophe mit 21 Toten und über 650 Verletzten möglich gemacht hat – und dadurch verhindern, dass sich so ein Desaster jemals wiederholen kann.
Die Vorwürfe verjähren in zweieinhalb Jahren. Setzt die Verteidigung mit ihren vielen Anträgen auf Prozessverschleppung?
Juristisch waren die Anträge nicht zu beanstanden. Schöffen, deren eigene Kinder bei der Loveparade dabei waren, können tatsächlich befangen sein. Selbst der Antrag auf Nichtverlesung der Anklageschrift war nicht völlig abwegig: Sie stammt von 2014 – und danach sind Nebenkläger ausgeschieden, andere dazugekommen. Damit hat sich der Gegenstand der Hauptverhandlung geändert.
ist Professor für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft an der Ruhr-Uni Bochum. Im Loveparade-Prozess vertritt er als Anwalt einen Vater, dessen Tochter bei dem Technofestival 2010 ums Leben kam.
Also hat die Staatsanwaltschaft geschlampt?
Die Staatsanwaltschaft hat jedenfalls nicht alles getan, um das Verfahren zu beschleunigen. Obwohl ein erstes Gutachten schnell fehlerhaft schien, wurde ein zweites erst sehr spät in Auftrag gegeben. Außerdem wurde nicht in Richtung der Polizei ermittelt.
Wie kann das sein?
Ich verstehe das auch nicht. Jeder weiß, dass die Polizei bei solchen Großveranstaltungen eine wichtige Rolle spielt. Bei der Loveparade sind Polizeiketten überrannt worden. Trotzdem wurden der Funkverkehr und die Entscheidungen der Leitstelle nicht analysiert. Die Fehler, die am Tag der Loveparade selbst gemacht wurden, sind nicht ermittelt worden.
Auch gegen Duisburgs Ex-Oberbürgermeister Adolf Sauerland und Lopavent-Besitzer Rainer Schaller wurde nicht ermittelt – dabei haben sie mit massivem Druck überhaupt erst dafür gesorgt, dass die Loveparade genehmigt wurde. Stehen die falschen Angeklagten vor Gericht?
Das Strafrecht taugt nicht dazu, politische Fehler aufzuklären. Sauerland und Schaller waren an der konkreten Planung nicht beteiligt und damit zu weit weg, um ihnen Schuld im strafrechtlichen Sinn nachzuweisen. Wären sie angeklagt worden, hätte das mit Freisprüchen geendet – und auf die hätten sich beide berufen können. Ohne Anklage, ohne Freispruch bleibt die politische, moralische, ethische Verantwortung bei Sauerland und Schaller – und damit müssen sie leben.
Weil allein Verantwortliche aus der zweiten Reihe vor Gericht stehen, sind selbst zum ersten der bisher angesetzten 111 Prozesstage nur wenige Zuschauer gekommen. Warum waren auch viele Nebenkläger nicht da?
Viele haben Probleme, die Reise- und Übernachtungskosten zu finanzieren. Das gilt nicht nur für Angehörige und Opfer aus China oder Australien – sondern auch für Herrn Reißaus, der seit dem Tod seiner Tochter arbeitsunfähig und seit Jahren in psychologischer Behandlung ist.
Beim Prozess kann nur dabei sein, wer es sich leisten kann?
Klar ist bisher: Nebenkläger bekommen ihre Reisekosten nicht erstattet. Deshalb überlegen viele genau, wann sie zur Verhandlung kommen, welcher Tag mit welchen Inhalten ihnen besonders wichtig ist.
Was fordern Sie?
Es wäre ein wichtiges Signal, wenn mittellose Nebenkläger wenigstens an zehn bis zwölf Tagen nicht nur durch ihre Anwälte vertreten wären, sondern auch persönlich anreisen könnten. Für die Gesamtkosten dieses Mammutverfahrens würde das kaum eine Rolle spielen: Allein die Miete für den Gerichtssaal in der Messe Düsseldorf, in dem wegen der großen Zahl an Angeklagten mit ihren 32 Anwälten und den 65 Nebenklägern verhandelt wird, kostet täglich 14.000 Euro – und die Gutachten sechsstellige Beträge.
Die Loveparade-Opfer erwarten nicht nur die Aufklärung der Katastrophe, sondern auch Entschuldigungen der Angeklagten. Kann der Prozess diese Ansprüche überhaupt erfüllen?
Ein Strafprozess kann nie dafür sorgen, dass Opfer tatsächlich mit schrecklichen Ereignissen, die ihr Leben für immer verändert haben, abschließen können. Sie werden nie erfahren, was Täter gedacht, motiviert, zur Tat getrieben hat – denn dazu müssten sich die Angeklagten selbst belasten. Die Strafprozessordnung macht für die Opfer wichtige Therapiegespräche, in denen sich die Täter aufrichtig entschuldigen, nahezu unmöglich. So wird es auch im Loveparade-Prozess sein: Schon heute ist klar, dass die unterlegene Seite in Revision gehen wird – und danach folgen noch die zivilrechtlichen Schadenersatzprozesse.
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