Online Politik-Spiel: Die Quadratur des Wahlkreises
Das Online-Spiel "Power of Politics" simuliert den alltäglichen Politikbetrieb. Spielziel: der Einzug ins Kanzleramt. Ein Selbstversuch in der virtuellen Welt der Politik.
"Power of Politics" (PoP) ist ein Online-Browser-Spiel, das von zwei Österreichern entwickelt wurde: dem Politologen Peter Merschitz (38) und dem Software-Entwickler Tim Preuster (26). Seit Ende 2005 ist PoP online. Die Registrierung in der Standard-Version ist kostenlos.
Die Simulation hat mehr als 35.000 registrierte und aktive User. Auf 60.000 User soll die PoP-Community noch dieses Jahr anwachsen. Außerdem wollen die Betreiber auch in Spanien, Frankreich und Großbritannien mit einer landestypischen Version des Spieles bis Ende nächsten Jahres präsent sein. Die österreichische Bundesratspräsidentin würdigte jüngst die politische Bildung, die den PoP-Usern zuteil würde.
Soll ich Hartz IV aufstocken oder einen Terroristen begnadigen? Braucht die Kita einen Zebrastreifen vor dem Eingangstor und sollen die Tornados nach Afghanistan? Alles Fragen, die sich ein Politiker stellt. Ich sitze aber nicht in der Bezirksversammlung oder gar dem Bundestagsplenum. Noch nicht. Ich weiß keine Antworten. Noch nicht. Eigentlich würde ich schon gerne Politik machen, will die Gesellschaft verändern. Denn ich bin jung und ich habe Ideale. Noch.
Deswegen habe ich mich nun entschlossen: Die Politik braucht mich. Die Welt braucht Veränderung und ich fühle mich berufen, meinen Beitrag zu leisten. Ich werde Politiker. Nicht so einer im Zweireiher, Weste und Angeber-Blueberry. Auch keiner mit Seidenschal oder Romica-Puschen. Sondern irgendwie "authentisch", irgendwie "pragmatisch" - aber am liebsten auch nur irgendwie virtuell.
"Vertrau mir, ich bin einer von den Guten." Das klingt entweder nach Science-Fiction-Dialog oder bizarr-kreativer Anmache auf der 1-Euro-Party im Studentenwohnheim. Für mich ist es Musik in meinen Ohren. Was für ein Slogan. Ideal für meinen Wahlkampf.
In den realen Politikbetrieb will ich lieber nicht. Schon mein Versuch, die damalige Juso-Gruppe des Ortsvereins zu mobilisieren, ist mit 17 gescheitert. Seitdem reizte mich das Funktionärsleben eher weniger. Bis jetzt. Die Online-Simulation "Power of Politics" (PoP) macht es möglich: Ich gründe eine Partei, ich werde Parteivorsitzender, stelle Mitarbeiter ein, führe Wahlkampf mit meinen Team, schaffe die ersten Arbeitsplätze. Dafür nehme ich ein Pseudonym an und schicke meine Meinungsforscher in den Wahlkreis. Ich will sehen, wie die Konkurrenz tickt. Ich habe zunächst ein Budget von 10.000 Euro. Nach Abzug der Gehaltskosten meiner Mitarbeiter und den laufenden Kosten für die Wohnung, die ich ersteigert habe, fehlt doch ein wenig das Geld, in den Wahlkampf zu ziehen. Sehr ungünstig, wenn man sich bekannt machen möchte. Ohne Mandat bekomme ich nur eine Wochenprämie von 5.000 Euro ausgezahlt. Zu wenig, wie sich schnell herausstellt. Nicht einmal mehr für Luftballons hat es bei meiner heutigen Wahlveranstaltung mit Infostand auf dem Wochenmarkt gelangt. Die "lieben Kinder" mögen mir verzeihen.
Jede Woche wird gewählt, eine richtige Ochsentour. Jeden Tag habe ich Termine von früh bis spät. Austauschschüler wollen getroffen werden, mit der Energie-Lobby soll gefrühschoppt werden. Zwischendurch noch eine Weiterbildung besuchen, einen Auftritt im Lokalradio und eine Podiumsdiskussion mit den Vertretern der Mitbewerber. Ich sage nicht mehr "Konkurrenz". Denn nun bin ich Teil des Politikbetriebes. Die alte, an Sepp Herberger angelehnte Weisheit, "Nach der Wahl ist vor der Wahl", ist nirgendwo wahrer als im Alltag eines Online-Politikers. Vielleicht noch in Italien.
Das Politikspiel simuliert wirklichkeitsnah, wie eine politische Karriereplanung aussehen kann, welche Kompetenzen sich ein Volksvertreter auf dem Weg nach oben aneignen und welche Netzwerke er spinnen sollte, um auch wirklich nach oben zu gelangen.
Meine Taktik scheint aufzugehen: Am ersten Wahlsonntag mit mickrigen 0,73 Prozent der Wählerstimmen abgespeist, schnellen meine Wahlergebnisse in die Höhe. Jetzt kratze ich schon an der 2-Prozent-Hürde. Das Mandat ist in Reichweite. Dummerweise sind diese Woche die Themen "Amerika" und "Religion" besonders gefragt. Beides Themen, die mir komplett abgehen. Die Mitbewerber sind hier besser aufgestellt als ich. Dominante Kräfte und Regierungsparteien meines Wahlkreises sind seit Wochen die ecoLiberalis (eLib) und die Arbeiter Hülsen Gruppe (AHG). Aber mittlerweile habe ich Blut geleckt. Es gilt, Wechselwähler zu binden und der Konkurrenz, äh, den Mitbewerbern Stimmen abzunehmen. Dafür schicke ich meine Wahlkampfteams und Meinungsforscher in die "Quadranten" meines Wahlkreises.
Ich habe noch viel vor, aber mein Wochenbudget geht schneller flöten, als ich Gulaschkanonen vor dem Bezirksamt aufstellen und PR-Texte an die Presse lancieren kann. Die Mitarbeiter, das Büro, die Veranstaltungen, die Parteispenden - alles hat seinen Preis. Und noch immer habe ich kein Mandat.
Spiegel-Autor Jürgen Leinemann beschreibt in seinem Buch "Höhenrausch" den Suchtcharakter, den der Cocktail aus Politik, Macht und Deutungshoheit auf die Menschen ausübt, die ihn schlürfen. Nach zwei Wochen PoP bin auch ich angefixt, lasse meine Freundin mit dem Abendessen warten, um das Wahlergebnis live zu verfolgen.
PoP eröffnet tatsächlich Einblicke in die Arbeit der Mandatsträger und die der Anwärter - man muss nur zu trennen wissen, welche Themen relevant sind und was nur Strohfeuerqualität hat. Politik ist kein Lehrberuf, kein Studiengang. Politik ist nur in der Politik selber erlernbar. Der pädagogische Effekt, Menschen per Simulation Politikalltag näher zu bringen, sei immer wünschenswert, erklärt mir der Hamburger Medien- und Politikwissenschaftler Hans Kleinsteuber. Nur realitätsnah soll das Ganze schon sein: "Auch in der Simulation müssen die Politiker machthungrig und gemein sein können. Und die Wähler apathisch", erklärt er mir. Tja, Politik macht schon hungrig. Meine Freundin wartet, wie gesagt, mit dem Abendessen auf mich.
Nach drei Wochen als aktiver PoPer ist klar, Politik ist Planung, Organisation und tatsächlich auch Business. Visionen und Idealismus sind erst mal nicht gefragt. Und eigentlich auch keine politischen Inhalte. Um zu überprüfen, ob dies auch für die reale Politik gilt, wäre meine Kandidatur für die Bezirksversammlung der nächste Schritt. Ich muss aber leider erst mal zum Friseur. Aber beim nächsten Volksbegehren unterzeichne ich ganz sicher. Versprochen. Am besten gleich online.
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