Online-Kunstmesse "VIP Art Fair": Revolution im Bademantel
Die Galerien sind handverlesen, der Erfolg ungewiss: Am Samstag startet die erste reine Online-Kunstmesse der Welt. Der Ausgang des Experiments könnte wegweisend sein.
BERLIN taz | Kunstmessen sind oftmals große gesellschaftliche Ereignisse: Die Crème de la Crème der Kunstszene trifft aufeinander, dabei zeigen sich Künstler, Galeristen und Sammler selbstverständlich nur von ihrer besten Seite. Am Samstag soll alles anders sein. Dann werden die Kunstliebhaber womöglich im Bademantel, verschlafen und Kaffee trinkend ihrer Leidenschaft frönen - in der Reihenfolge der Zeitzonen.
Verantwortlich für die vermeintliche Verrohung der Sitten: Die "VIP Art Fair". „VIP" steht dabei keineswegs für übertriebene Exklusivität, sondern für "Viewing in Private" - im Scherz spricht mancher auch von "Viewing in Pyjamas". Gemeint ist die erste reine Online-Kunstmesse der Welt. Kann das funktionieren?
James Cohan ist Mitgründer der "VIP Art Fair" und macht sich gar nicht erst die Mühe, die Zweifel an seiner Schöpfung zu zerstreuen: "Das Online-Erlebnis wird nie das Erlebnis einer klassischen Kunstmesse ersetzen." Die meisten teilnehmenden Galerien hätten zugesagt, weil es vielen Sammlern in wirtschaftlich schwierigen Zeiten schlicht nicht mehr möglich sei, ohne Unterlass von einer Kunstmesse zur anderen rund um den Globus zu jetten.
Der Inhaber der James Cohan Gallery in New York sieht die Online-Messe als eine Ergänzung zu den bestehenden Strukturen in der Welt der Kunst, vor allem als Instrument, um neue Beziehungen aufzubauen und bestehende Beziehungen zu bereichern: "Ich habe immer daran geglaubt, dass man Kunst nicht von Galerien, sondern von Menschen kauft. Die großartigsten Sammlungen der Welt sind wegen der engen Beziehungen zwischen Sammlern und Kunsthändlern entstanden."
Um das als so grundlegend eingeschätzte Kontakte knüpfen zu gewährleisten, muss zunächst die im Internet übliche Anonymität überwunden werden. Die "VIP Art Fair" versucht sich daran mit einer Chatfunktion und ermutigt Galerien und Sammler auch über Skype und Telefon zu kommunizieren. Mit sogenannten "Private Rooms" wird auch der Diskretion und Exklusivität einer Kunstmesse Rechnung getragen: Im Gespräch mit dem Sammler präsentiert der Galerist dort nicht öffentlich einsehbare Kunstwerke und zusätzliche Informationen.
Das alles mag reizvoll klingen, aber wohl kaum die skeptischen Kunstliebhaber überzeugen. Kann eine virtuelle Welt, und sei sie noch so liebevoll gestaltet, die gleiche Faszination erzeugen, wie der Besuch einer wahrhaftigen Kunstmesse? Und vor allem: Zoom-Möglichkeiten und dreidimensionale Ansichten hin oder her - lässt sich mit Pixeln die Aura eines Kunstwerks reproduzieren?
Auch Gregor Hose, der Gallery Manager der Galerie Johann König in Berlin, schätzt die "Virtualität" als "klaren Nachteil" der "VIP Art Fair" ein. Dennoch werden die Mitarbeiter der renommierten Adresse jeden Tag bis mindestens Mitternacht am digitalen Messestand für die Interessenten in aller Welt erreichbar sein. Hose betrachtet die Teilnahme vor allem als Testversuch: "Wir wollen herausfinden, wie die Kosten und Nutzen zueinander stehen, wie groß das Segment der Online-Käufer ist und wie sehr sich unser Angebot für den Online-Handel eignet."
Vor allem aber will er herausfinden, ob sich online gute Kontakte knüpfen lassen. Ausschlaggebend sei auch die Kostenersparnis gewesen: Die Miete auf der "VIP Art Fair" liegt je nach Standgröße zwischen 5.000 und 20.000 Dollar, so decken die Veranstalter ihre Marketing-Ausgaben - und verlangen nur etwa 20 Prozent der üblicherweise anfallenden Kosten, die vor allem durch Anreise, Transport und Personal entstehen.
137 weitere Galerien aus 30 Ländern haben es Gregor Hose gleichgetan und werden sich präsentieren. Unter den Ausstellern finden sich so klangvolle Namen wie David Zwirner, Gagosian, White Cube, Hauser und Wirth und Max Hetzler. Eine Woche lang bleibt die Messe rund um die Uhr geöffnet, wer die Seite besichtigen will, muss sich kostenlos registrieren - bereits mehr als 12.000 Anmeldungen sind eingegangen. Für interaktive Möglichkeiten und Preislisten ist allerdings eine persönliche Einladung einer Galerie oder ein Ticket nötig: An den ersten beiden Tagen werden dafür 100 Dollar verlangt, während der restlichen Zeit sinkt der Eintrittspreis auf 20 Dollar.
Die Kunstwerke sollen in Relation zu anderen dargestellt werden, ein virtuelles Männchen soll das Größenverhältnis zu einem Menschen verdeutlichen. Das wird mitunter sehr ungleich ausfallen, denn auch überdimensionierte Kunstwerke, deren Transport zu konventionellen Kunstmessen problematisch wäre, werden Online ausgestellt. Detailfreudige können leistungsstarke Zoom-Möglichkeiten nutzen und dreidimensionale Werke sollen aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten sein.
Das alles mutet innovativ an und könnte einen weiteren Schritt in der Entwicklung des Online-Kunstmarkts bedeuten, der in den letzten Jahren, so Gregor Hose, vor allem durch die Webseite artnet.de kontinuierlich gewachsen sei. Der Online-Dienstleister bietet eine Preisdatenbank, ein Galerie-Netzwerk und eine Auktionsplattform - und hat damit im vergangenen Jahr rund zwölf Millionen Dollar Umsatz erwirtschaftet. Profit blieb zwar kaum übrig, aber es sah auch schon deutlich düsterer aus in der Welt des Online-Kunstmarkts: Von 2000 bis 2003 betrieb das mächtige britische Auktionshaus Sotheby's eine Online-Auktionsseite für Kunst, die laut Wall Street Journal mit einem Verlust von 100 Millionen Dollar geschlossen wurde.
Mittlerweile hat sich das Verhalten der kunstinteressierten Online-Klientel allerdings geändert. Das mag zum einen mit der verbesserten Technologie zur Darstellung von Kunstwerken zusammenhängen, zum anderen aber auch mit dem generellen Aufschwung des Kunstmarkts. Im vergangenen Jahr, so das Wall Street Journal, verkauften Sotheby's und sein großer Konkurrent Christie's zusammen genommen Kunst im Wert von neun Milliarden Dollar - nicht weniger als das Doppelte des Umsatzes aus dem Jahr 2009.
Wie The Economist berichtet, lag im Fall von Christie's der Anteil der im Internet getätigten Auktionen an den Gesamtverkäufen bei 16 Prozent. Allerdings waren diese 16 Prozent lediglich für einen Anteil von drei Prozent an den Gesamteinnahmen verantwortlich, die Online-Auktionen spülten nur 114 Millionen Dollar in die Kassen.
Wirklich teure Kunst scheinen Sammler noch immer lieber per Handzeichen anstatt per Mausklick zu kaufen. Der große Vorteil der im Internet abgehaltenen Auktionen lag an anderer Stelle: Mehr als die Hälfte der Bieter war davor noch nie zu Besuch bei Christie's, eine große neue Kundengruppe konnte erschlossen werden. Nicht die schlechtesten Vorzeichen für die "VIP Art Fair".
Dass auch anderswo an die Zukunftsfähigkeit der Kunst im Internet geglaubt wird, ist am prominenten Beispiel der ab Frühling startenden Kunstdatenbank "Art.sy" zu beobachten. Basierend auf persönlichen Präferenzen und früherem Kaufverhalten, soll Sammlern dort geholfen werden, die für sie passende Kunst zu finden.
An finanziellem Rückhalt wird es dem neuen Dienst wohl nicht fehlen, die illustre Runde der Investoren klingt beeindruckend: Google-CEO Eric Schmidt, Twitter-Mitgründer Jack Dorsey, Dasha Zhukova, Freundin von Roman Abramovich und Wendi Deng, deren Gatte Rupert Murdoch heißt. Beraten wird das junge Unternehmen von Larry Gagosian, der als eine der weltweit wichtigsten Personen der Kunstszene auch auf der "VIP Art Fair" zu Gast sein wird.
James Cohan räumt dem Internet schon jetzt einen Platz als integralen Bestandteil des Kunsthandels ein, das Geschäft sei bereits zu 70 Prozent von E-Mail-Kommunikation und JPEGs abhängig. "Das reicht von der Darbietung eines neuen Werks von einem dem Sammler bereits bekannten Künstler bis hin zur Vorstellung eines bis dato vollkommen unbekannten Künstlers."
Angesichts dieser Einschätzung ist es naheliegend, bereits Bestehendes zusammen zu bringen: "Die 'VIP Art Fair' vermählt digitale Technologie und Instant Messaging mit dem Konzept der Kunstmesse und den führenden zeitgenössischen Galerien", so Cohan. Ein Erfolg käme dennoch einer Revolution in der Kunstszene gleich. Ob es letzten Endes eine lange glückliche Ehe wird oder in einer baldigen Scheidung endet, entscheiden die Sammler. Im Bademantel, verschlafen und Kaffee trinkend.
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