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Online-Enzyklopädie WikipediaDas digitale Rote Kreuz

Sie hat berühmte Lexika vernichtet, den Großkonzern Microsoft geschlagen und die USA besiegt. Die Wikipedia ist die mächtigste NGO des Internetzeitalters.

Taugt seit Wikipedia nur noch als Denkmal: Der gute, alte Brockhaus. Bild: dpa

Unter den Nichtregierungsorganisationen bilden das Rote Kreuz und der Rote Halbmond die mächtigste Bewegung des analogen Zeitalters. Seit 150 Jahren schützt sie Verletzte und Verwundete oder rettet Menschen vor dem Verhungern und Erfrieren. Dabei hilft sie „ohne Ansehen von Nationalität und Abstammung oder religiösen, weltanschaulichen oder politischen Ansichten der Betroffenen und Hilfeleistenden“, heißt es im Rotkreuz-Artikel beim Internet-Lexikon Wikipedia – der zeitgemäßen Schwester des Roten Kreuzes.

Die Wikipedia ist die mächtigste NGO des digitalen Zeitalters. Erst vor zwölf Jahren gegründet, ist auch sie einem humanistischen Prinzip verpflichtet: gemeinschaftlich das Wissen der Menschheit allen Interessenten über alle sprachlichen, politischen und sozialen Schranken hinweg zugänglich zu machen. Die Gebote von Freiwilligkeit, Unabhängigkeit und Neutralität sind dieselben wie beim Roten Kreuz. Nur dass die „Betroffenen“ des Roten Kreuzes bei der Wikipedia „Leser“ heißen und die „Hilfeleistenden“ nur „Benutzer“.

Das Wissen der Menschheit zu sammeln und kostenlos immerzu allen anzubieten ist eine ähnlich monströse Aufgabe wie die unentwegte Hilfe im Krieg und bei Katastrophen. Aufklärer mögen sogar den Schulterschluss wagen: Je mehr Informationen in der Welt zugänglich sind, umso weniger bewaffnete Konflikte wird es geben. Jedenfalls bietet die Wikipedia derzeit 19 Millionen Artikel in 270 Sprachen, verfasst von bis zu 100.000 Aktiven in der ganzen Welt. Wikipedia ist die global fünft- oder sechsthäufigstaufgerufene Webseite.

Der deutschsprachige Ableger dieser weltweiten Bewegung darf sich auch noch mit der taz darüber streiten, wer das größte, wichtigste und erfolgreichste unabhängige Projekt in Deutschland ist. Die Wikipedia bietet eineinhalb Millionen Artikel, derzeit 6.600 Aktive (das sind Autoren mit wenigstens fünf Edits in den letzten vier Wochen), Tag für Tag 450 neue Artikel. Eine Milliarde Seitenaufrufe pro Monat oder 24.000 Klicks pro Minute. Tendenz: um ein Prozent pro Monat steigend.

Weltkulturerbe Wikipedia?

Schon kursiert die Forderung, Wikipedia zum Weltkulturerbe zu erheben – ein bisschen voreilig angesichts ihrer Mängel. Vielleicht aber haben sich bereits heute drei Norwegerinnen und zwei Norweger, genervt von allen ihren Enkeln, den Namen einer freien Online-Enzyklopädie für die höchste Ehrung der Welt notiert – und genau fünfzig Jahre nach dem Friedensnobelpreis 1963 für die Liga der Rotkreuz-Gesellschaften ginge diese Auszeichnung an die Wikipedia?

Der Charme läge nicht nur in der Honorierung der ehrenamtlichen Wikipedia-Autoren, Software-Entwickler und Projekt-Aktivisten. Zugleich würde anerkannt, wie segensreich die Macht der Vielen im Web 2.0 sein kann. Das US-Nachrichtenmagazin Time hatte schon 2006, zur hohen Zeit des Mitmach-Internet, „dich“ zur Person des Jahres ernannt. Nachdem viel Netz-Euphorie verflogen ist, wird es Zeit für etwas Genaueres: den „unbekannten Wikipedianer“.

Macht im Internet

Die Frage: Wem gehört das Internet? Wenigen Mächtigen? Dem Schwarm? Konzernen wie Amazon oder Gruppen wie Anonymous?

Die Antworten: In der am Samstag erscheinenden sonntaz (Ausgabe 29./30. Dezember) widmen wir uns den Machtverhältnissen im Internet. Wir erzählen, wie Amazon unsere Wünsche aus seinen Daten liest, wie ein Pop-Song um die Welt treibt und wie Facebook uns zu Dauergrinsern macht.

Mit dabei: Constanze Kurz, Parmy Olson, Stephan Urbach, Elisabeth Ruge, Jonas Winner u. v. m.

Horribile dictu! Bei Schullehrern, Kirchenoberen und Autokraten rund um die Welt wäre das Entsetzen groß. Noch fällt Pädagogen kaum mehr ein, als Wikipedia für den Schulgebrauch zu verbieten. Die Anhänger von Welterschöpfungstheorien akzeptieren zähneknirschend, dass ihre Glaubensanliegen nur Gegenstand enzyklopädischer Artikel sind, nicht deren Grundlage. Viele Regimes blockieren die Wikipedia, zeitweilig, ganz, in einzelnen Sprachversionen oder einzelnen Artikeln. Leider gibt es keine Webseite, die einen aktuellen Stand bietet.

Stop Online Piracy Act

Auch in ihrer Selbstverteidigung zeigt sich die Macht der Enzyklopädie. Im Oktober 2011 brachte eine Gruppe US-amerikanischer Politiker einen Gesetzesentwurf ins Repräsentantenhaus ein, der vorgeblich das Urheberrecht schützen sollte. Dieser Stop Online Piracy Act hätte aber auch die Informationsfreiheit und die Neutralität der Wikipedia eingeschränkt.

Aus Protest verbarg die italienische Sprachversion ihre Inhalte für 42 Stunden, im Januar 2012 die englische für einen Tag. Die Wirkung in der Öffentlichkeit war gewaltig. In Italien führte der „Blackout“ unmittelbar zu einem Änderungsbeschluss des Parlamentes. In den USA stellte er den Höhepunkt einer monatelangen Kampagne von Netzaktivisten dar – der Stop Online Piracy Act wurde aufgehalten.

Auch wenn die Wikipedianer unverdrossen, ja mit einem gewissen Vergnügen rufen: „Glaubt uns nicht alles! Lest anderswo nach!“, ist ihr Einfluss kaum zu überschätzen. Die Enzyklopädie ist über alle Berufsstände hinweg zum unentbehrlichen Arbeitsmittel und Helfer im Alltag geworden. Sie wird in Gerichtsurteilen zitiert, in Doktorarbeiten und Zeitungsartikeln.

Lernen mit Wikipedia

Jedes Jahr im Frühsommer geht eine rührende Flut von Klein- und Kleinstspenden ein: von dankbaren Schülerinnen, Schülern und ganzen Kursen, die „ohne Wiki“ ihre Prüfungen nicht bestanden hätten, wie sie im Textfeld der Online-Überweisung schreiben. Und dabei geht es nicht allein ums Abschreiben, wie Lehrer unentwegt hetzen, sondern vor allem um das Lernen mit Wikipedia.

Wikipedia hat es geschafft, Wissensvermittlung und die aktive Teilnahme daran auf neue Grundlagen zu stellen. Viele Opfer säumen den Weg zum Erfolg. In Deutschland erwischte es als Erstes die ehrwürdige Brockhaus-Enzyklopädie, deren Redaktion 2008 geschlossen wurde. 2009 folgten alle Sprachversionen der Microsoft-Enzyklopädie Encarta.

Es traf auch kleinere Nachschlagewerke. So zog sich 2011 das nach 32 Bänden noch im Erscheinen begriffene Biographisch-Bibliographische Kirchenlexikon, bis dahin online frei zugänglich, hinter eine Paywall zurück. Schwer gebeutelt von Untersuchungen, nach denen die Wikipedia nicht mehr schlechter sei als die Encyclopedia Britannica, verzichtet das frühere Flaggschiff der Branche seit 2012 auf Print-Veröffentlichungen und erscheint nur noch digital.

Verlinkung, Aktualisierung, Erweiterung, Diskussion

Den Verlagen führt Wikipedia vor, was ein zeitgemäßes Nachschlagewerk und Open Access – der freie Zugang zu Inhalten – ist: Verlinkung, Aktualisierung, Erweiterung, Diskussion. Die Schweiz steuerte kürzlich eine Online-Veröffentlichung bei, die so ziemlich alle denkbaren Mängel dieses Genres versammelt. Das aus öffentlichen Mitteln finanzierte dreibändige Theaterlexikon der Schweiz (TLS) war, als es 2005 gedruckt erschien, für seine Thematik ein Pionierwerk nicht nur in der Schweiz, sondern in Europa.

Ab 2010 wurden die Artikel mithilfe der auch von Wikipedia benutzten Software ins Internet gestellt – als Textblocks ohne Absätze, ohne Links nach außen und ohne jede Möglichkeit, die Artikel zu aktualisieren, Literaturhinweise zuzufügen oder sich auf Diskussionsseiten auszutauschen.

Das Ergebnis ist eine groteske Verschwendung von Qualität. Zentrale Artikel dieses Fachlexikons erhalten im Jahr so viel Besuch wie ihre Entsprechungen in Wikipedia innerhalb eines Monats. Zugleich veralten die TLS-Texte immer mehr, während manche Theaterleute wenigstens die Wikipedia-Artikel aktualisieren.

Im Interesse des Theaters, des Lexikons, der Autoren, der Geldgeber und erst recht der Nutzer wäre es sinnvoll gewesen, das Online-TLS ganz unter eine freie Lizenz und damit der Wikipedia zur Verfügung zu stellen. Das sorgfältige Einpflegen der Inhalte hätten dann schon die Wikipedianer übernommen. Und zur Beruhigung derjenigen, die im Wirken der Schwarmintelligenz doch nur den Untergang des Abendlandes sehen: Das Original-TLS hätte weiter unberührt im Netz stehen können.

Gewaltige ungenutzte Ressourcen

Also: Her mit den Fachlexika, die buchhalterisch abgeschrieben sind, mit Steuergeldern finanziert oder von Uni-Wissenschaftlern während ihrer Arbeitszeit verfasst wurden! Wobei auch die Wikipedianer noch auf gewaltigen ungenutzten Ressourcen sitzen.

Bislang wird bei einer Abfrage nicht angezeigt, wenn ein gesuchtes Stichwort nur in einer anderen Sprachversion vorhanden ist. Wertvolle Schwesterprojekte wie die Quellensammlung Wikisource oder das Wörterbuch Wiktionary sind ganz unauffällig verlinkt und müssten eigentlich in die Wikipedia integriert werden. Eine brauchbare Smartphone-App ist noch immer nicht in Sicht. Immerhin geht bald das Projekt Wikidata an den Start, aus dem ein zentraler Datenpool für alle Sprachversionen entstehen soll.

Und dann ist da, brandneu, noch Wikivoyage. Der freie Reiseführer arbeitet in der Beta-Version, die Seite über Oslo ist bereits online. Und Wikipedia weiß, der Einsendeschluss für Vorschläge ist an das Friedensnobelpreiskomittee der 1. Februar 2013.

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22 Kommentare

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  • DW
    Die Wahrheit der taz in der Wikipedia

    ich musste herzlich lachen, als ich in einem Artikel der Wikipedia (Mr. f. you J. Haider) einen taz-Artikel der Seite "DIE WAHRHEIT" als "Quelle" wiederfand. Er konnte dort (und anderswo) - ich glaub etwa zwei Jahre lang - als Wahrheit ein kuschelweiches höchst ernst genommenes Plätzchen finden. Nach Hinweis hierzu fand ich diesen Artikel - für mich, arcy, - im Missbrauchsfilter wieder. http://shtoink.de/category/missbrauchsfilter/

  • AA
    Arcy an Benutzer MBq

    ... ein bezeichnender Beitrag, der unterschlägt, wer alles und welche Themen im Rahmen der Bearbeitung von Artikeln rund um die Soziale Marktwirtschaft (pro) so alles von (contra) gesperrt wurde, welchen IP-Bereichen so alles die Mitarbeit an entsprechenden Artikeln durch sogenannte Missbrauchsfilter versperrt bleibt ....

  • A
    Arcy

    Mir gruselt es.

     

    Eine Zeitunung ist kein Mullbinde

    Wissen ist kein Einheits-Erste-Hilfe-Koffer.

     

    Sowohl die einzig selig machende, all die anderen Enzyklopädien "vernichtende" Super-Enzyklopädie wie auch die allein selig machende all die anderen vernichtende Einheitszeitung sind eine Horrorvorstellung.

     

    Gruselig dabei ist die anonyme Machtstruktur, die hinter den Kulissen die Inhalte der Einheitsartikel bestimmt.

     

    Gruselig dass die taz das Spielchen mitspielt. Uhu! der Autor, der eine ganzseitige Lobhudelei in der taz schreiben darf, ist "Wikipedianer" - Welcher wird nicht genannt.

     

    Gruselig die Propagierung der völkischen "Schwarminteligenz", dieser Sand-in-die-Augen streuende Esoterik-Ableger der Wikipedia in deutscher Sprache.

     

    Gruselig die Verachtung des Wissenschaftswesens, bezeichnet als "Fachlexika, die buchhalterisch abgeschrieben sind, mit Steuergeldern finanziert oder von Uni-Wissenschaftler ..." Nur zu deutlich zeigt sich hier der Wille nicht nur Wissen wiederzugeben, sondern seine Macht in der letzten aller Alltags-Enzyklopädien auch (politisch) zu nutzen.

     

    Gruselig die Selbstüberschätzung die Autokraten (Zensur) gleichsetzt mit Schuldirektoren (Forderung selbständiges Arbeiten) und dabei mit keinem Wort (in der taz!) die Anbiederung der Wikipedia Foundation an das Saudi-arabische Regime erwähnt.

  • B
    Bromhead

    Mir wäre Wikipedia und der Umstand, dass sich Halbwissen, Klischees, oft auch barer Unsinn, noch öfter aber einfach nur rechthaberisches Nerdtum als "Wissen der Menschheit" anpreist, an sich egal. Dass aber es von Millionen als genau dies wahrgenommen wird, halte ich für bedenkenswert bis gefährlich. Zumal wenn das Ganze, besonders von den deutschen Autoren, noch mit Linkstümelei aufgeladen wird; der von keiner anderen Nation dieser Erde praktizierte Schwachsinn, dem - jenseits eines geographischen Zusammenhangs - stets auf die Vereinigten Staaten bezogenen Adjektiv "amerikanisch" zwangsneurotisch ein "us-" voranzuschicken, soll hier symbolhaft stehen. Also ich habe da kein gutes Gefühl.

  • MH
    Michael HA

    Obwohl ich auch bei Wikipedia gelegentlich mitarbeite stört es mich doch sehr, dass dort sehr viel willkürlich gelöscht wird, z.T. völlig ohne Begründung.

    Das einzige Online-Lexikon, dem ich daher meine unentgeltliche Mitarbeit kontinuierlich biete, ist das anthroposophisch inspirierte www.anthrowiki.at - dort gibt es keine Willkür und für die wenigen Autoren entsprechend auch keinen unnötigen Masochismus.

  • SW
    S. Weinert

    Wikipedia macht kein Wissen zugänglich, es verbreitet lediglich Information. Daher ist es nicht mehr oder weniger seriös und glaubwürdig, als beispielsweise google news oder jedes Presseerzeugnis, das oftmals als "belastbare" Quelle bei manchem Admin den selben Stellenwert genießt, wie eie Habilitationsschrift oder ein Fachbuch. Die vielen "Haupt-"amtlichen Kräfte, die sich selbst auf ihren Benutzerseiten damit brüsten hunderte von Artikeln in einem Monat zu bearbeiten, haben weder Zeit noch Interesse, sich in eine Materie einzuarbeiten. Und so werden Meinungsverschiedenheiten nicht gelöst, sondern einfach unterdrückt. Dies führt zu einer unseriös hohen Fehlerzahl in den Artikeln, die - das ist von Vorteil - zumindest auf den Diskussionsseiten teilweise ersichtlich werden.

     

    Preisverdächtig das ganze? Eher nicht. Als Galilei behauptete, die Erde drehe sich um die Sonne, hätte Wikipedia ihm sofort widersprochen - mit dem Argument, es gäbe mehr Quellen, die gegen seine These sprechen, als ihn unterstützende. Doch Wissen ist nun einmal nicht demokratisch, es ist absolut. Das wird Wikipedia noch lernen müssen. Ansonsten wird sie irgendwann das gleiche Schicksal ereilen, wie vielen online-Präsenzen: Sie werden sang und klanglos in der Versenkung verschwinden, da die Menschen irgendwann doch dazulernen und hinterfragen, was da denn eigentlich geschrieben steht und welche Tendenz damit bedient werden soll.

  • MC
    Marcus Cyron

    Lieber Horst,

     

    und die Neoliberalen meckern genau über Dasselbe - nur aus der anderen Richtung. Ironisch, oder? ;)

     

    Und es bleibt dabei: hauptamtliche Wikipedia-Mitarbeiter gibt es nicht. Zumindest keine offiziell bekannten, ob es den ein oder Anderen in PR-Agenturen gibt ist zu vermuten.

     

    Auch ich kann das Lob in der Ganze nicht ganz teilen - aber als sehr aktiver Autor freue ich mich natürlich über die Anerkennung. Und da Wikipedia-Autoren im Schnitt extrem selbstkritisch sind: sie haben es trotz sicher noch bestehender Mängel auch verdient. Also, liebe taz, danke! :)

  • B
    Benutzer:MBq

    Es mag sein, dass die kollaborative Arbeit bei politischen Artikeln an Grenzen stösst. Es gibt allerdings zu jedem Artikel eine Diskussionsseite, auf der mögliche weltanschauliche Schlagseiten thematisiert werden können, und diese Seiten werden rege genutzt. Hayeks Diskussionsseite http://de.wikipedia.org/wiki/Diskussion:Friedrich_August_von_Hayek ist beispielsweise um ein Vielfaches länger als der Artikel selbst. Ausserdem sind alle Veränderungen der Artikel bis hin zur kleinsten Rechtschreibkorrektur über den Link zur "Versionsgeschichte" einsehbar, sodass der geduldige Leser den gesamten Schaffensprozess samt allen Auseinandersetzungen vollständig nachvollziehen kann. Darin liegt der Unterschied zur "Britannica", nicht in der schieren Grösse oder im Kaufpreis. Aus meiner Sicht haben Diskursivität und Transparenz die Wikipedia erfolgreicher gemacht als jede andere Enzyklopädie, und werden sie auch weiterhin tragen, zumindest solange niemand ein besseres System erfindet.

  • S
    Student

    Ich war früher aktiv bei Wikipedia, aber seit mehr als einem Jahr nicht mehr, da ich es nicht ertragen kann, dass meine sorgfältig und nach wisenschaftlichen Maßstab zusammengestellte Informationen von einer Minute zum anderen auseinandergenommen wird. Und das von welchen, die m.E. sich ihre Bildung zum größten Teil von der Bild-Zeitung beziehen. In den Diskussionen herrscht zum großen Teil ein niedriges Niveau, kein Respekt vor oder Rücksicht auf andere. Jeder will nur seine Ansichten als wahr bestätigt und durchgesetzt sehen. Auch habe ich den zunehmenden Eindruck, dass Wikipedia zum Spielfeld von Interessenvertreter und Rassisten geworden ist, die entweder einen Sachverhalt verharmlosen, leugnen bzw. übertrieben verschönern oder falsche und einseitige Informationen verbreiten, um Vorurteile und Hass in der Öffentlichkeit zu schaffen und andere damit zu verletzen. Als Student ist Wikipedia grundsätzlich wie oben erwähnt in Referaten und wissenschaftliche Arbeiten tabu, da es keine wissenschaftliche Qualität anbietet und anbieten kann. Wenn man was zitiert, dann muss man auch einen echten Namen haben, um einen Bild von der Kompetenz des Autor zu bekommen. Spitznamen oder unbekannt als Quelle zu nennen helfen da nicht weiter. Mit echten Büchern kann und wird sich Wikipedia sich nicht halten. Der Nobelpreis für Wikipedia ist echt übertrieben. Wikipedia hat m.E. noch niemanden das Leben gerettet oder für Frieden und Sicherheit in der Welt gesorgt.

  • A
    AndreasP

    @Hier_Namen_einfügen: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Student, der sehr gute Quellen schnell finden kann und korrekt zitieren und verwenden kann, dass so ein Student auch schon länger Wikipedia-Autor ist, dürfte sehr, sehr hoch sein... In der Schule habe ich so etwas wenigstens nicht gelernt, in der Wikipedia in den ersten paar Minuten.

  • A
    anke

    Schwarmintelligenz existiert nicht? Nun – um die Individualintelligenz scheint es nicht besser zu stehen, sehr geehrter Herr "Hier_Namen_einfügen".

     

    Was die Wikipedia von andern Lexika unterscheidet, ist die Möglichkeit zur Mitarbeit. Wenn Sie also der Meinung sind, Sie wären klüger oder einfach besser informiert als die von Ihnen kritisierten Autoren, könnten Sie die staunende Welt teilhaben lassen an Ihrer Genialität. Niemand würde Sie daran hindern. Niemand außer Ihnen, meine ich. Dass diese freiwillige Selbstbeschränkung allerdings ein Ausdruck überlegener Intelligenz ist, glaube ich kaum. Vermutlich ist sie bloß ein Ausdruck von Überheblichkeit, Egoismus und Gier.

  • P
    Papperlapapp

    "Wenn dann Abiturienten an die Uni kommen und aus allen Wolken fallen und völlig hilflos sind, weil sie überhaupt keine Quellenarbeit mehr leisten können, und auch nicht verstehen, warum Wikipedia eben keine Quelle ist, dann ist das vor allem eins nicht - preisverdächtig."

    Hallo Mann-ohne-Namen , Ihr Verriss ist vor allem eines : Quatsch mit Soße . Wikipedia hindert Schulen nicht daran , Schülern bis zum Abitur Quellenarbeit beizubringen , und es ist sicher auch Sache der Unis (und keine große Sache ) , den Erstsemestern das "Handwerkliche" zu vermitteln .

    A propos Tendenziosität : der Mensch , der über Marx oder Hayek tendenzfrei einen Artikel in einem Nachschlagewerk schreiben könnte , der müßte noch erfunden werden . Selbst wenn der Artikel den Umfang einer (wissenschaftlichen) Doktorarbeit haben d ü r f t e , wäre kaum zu erwarten , dass nicht jemand etwas zu mäkeln hätte an der Tendenz der Arbeit .

  • VV
    Verus Votum

    Mich wundert immer wieder, wie überall, auch hier in diesen Kommentaren die immer gleichen Vorurteile kommen.

     

    "Keine Quelle", "Unseriös", "Voll von Meinungen".

    Interessant ist, dass diese Menschen auch an ihren Vorurteilen festhalten, selbst wenn sie mit ein paar Fragen widerlegt werden.

    Beispiel:

     

    Jeder Wikipedia-Artikel bietet mehrere Quellen - meistens Bücher, zeitungsartikel oder Wissenschaftliche Arbeiten. Wieso gilt die Wikipedia als unseriös, Nachschlagewerke die aber nur auf Autoren des Verlages verweisen, aber nicht?

    Wieso gilt die Wikipedia aufgrund mit eingebrachter Meinungen als unseriös, Arbeiten die unter dem Namen eines Wissenschaftlers von einem Ghostwriter gescrheiben wurden und nur eine Meinung (die des AUtors) vertreten aber als ansehnliche Quelle?

     

    Keiner der Vorurteile egenüber der Wikipedia halten stand.

    Das einzige was die Kritiker nicht einsehen wollen, ist dass Papier kein Garant für Qualität ist. Und der ach so gute Name eines Verlages auch nicht.

    Es ist ein Generationskonflikt: Papier gegen Website.

    Mehr nicht.

  • M
    moep

    Eine Wikipedia-Offline-App ist bei mir seit fast einem Jahr in Benutzung: Aard Dictionary. Die Wörterbücher können heruntergeladen oder selbst konvertiert werden, lediglich die Grafiken fehlen. Nur mit den Texten hat die englische Version schon ~12 GB Größe, die deutsche ~8.

  • C
    Charlene

    Unter dem Wikipedia-Stichwort "politische Korrektheit" habt ihr bestimmt gelesen, dass in jedem Artikel, in dem das Rote Kreuz erwähnt wird, auch der "Rote Halbmond" erwähnt werden muss...

     

    Für diesen Artikel zahle ich nichts.

  • HL
    Hetzender Lehrer

    Zitat:

    "Und dabei geht es nicht allein ums Abschreiben, wie Lehrer unentwegt hetzen, sondern vor allem um das Lernen mit Wikipedia."

     

     

     

     

    Sehr geehrter Autor,

     

    wenn Sie jeden Andersdenkenden, also jeden der eine Meinung abweichend von der Ihrigen vertritt als "Hetzer" bezeichnen, sollten Sie sich mal überlegen, ob Sie nicht selbst ein Hetzer sind. Und vor allem sollten Sie sich fragen ob dies noch bezahlenswerter Qualitätsjournalismus ist.

  • H
    Holger

    Schöner Bericht liebe taz, aber das war nur die eine Seite der Medaille, um nicht zu sagen, das Streichquartett im Vorhof.

    Nun halten Sie sich mal ein paar Tage frei, und versuchen einen Artikel auf Wikipedia zu veröffebntlichen -bitte über ein Thema bei dem Sie sich bestens auskennen-.

    Nehmen Sie die angebotene Hilfe, recherchieren Sie, schreiben Sie, lassen alles korrigieren, und stellen Ihren ersten Beitrag ein. Spätestens nach einer Woche, können Sie gar nicht so viel Essen wie Sie kot-sen könnten, denn die Kulissen sind gefallen und eine Diktatur die selbst Nord-Koreaner die Schamesröte ins Gesicht steigen lässt, kommt zu Tage.

    Es wird verbessert, geändert, gestrichen und gelöscht auf Teufel komm raus. Das alles von selbst ernannten Experten in ihrer unendlichen Herrlichkeit, die Ihnen keinen Fingerbreit mehr an Ihren eigenen Artikel lassen.

    Ich habe zB einen Artikel über ein Dorf in Spanien geschrieben und vor Veröffentlichung absegnen lassen. Das Absegnen hat nicht lange gehalten, heute hat der Artikel mit dem Dorf lediglich den Namen gemeinsam, der Rest wurde von "Fachleuten" geändert, die noch nicht einmal in Spanien waren. Und von solchen Artikeln gibt es auf Wiki Unmengen.

    Seit dem vertraue ich Wiki nur noch ein wenig, und hinterfrage deren Artikel auf anderen Seiten.

  • U
    Unkritisch

    Leider geht der Autor sehr unkritisch an die Wikimedia-Hintergründe heran. "NGO wider Willen" wäre wohl angemessen zu sagen, vielleicht ist es auch eher so, dass die Wikipedia der ADAC des Internetzeitalters ist: jeder findets gut, weils nützlich ist, aber was da wirklich vorgeht, weiß fast keiner. Sowas verselbständigt sich.

  • C
    CocainRocks

    horst, wie wäre es bei solchen Behauptungen eine Quelle anzugeben?

  • AK
    Adolf Kluth

    Ein schöner Artikel über eines der bedeutendsten Projekte aller Zeiten.

    Allein die pauschale Lehrerschelte finde ich nicht mehr zeitgemäß. Ich nutze mit meinen Schülern zusammen die Wikipedia regelmäßig im Unterricht und bei der Vorbereitung. Viele meiner Kollegen machen das genauso. Die meisten Lehrer sind - völlig unbemerkt von der TAZ - längst im 21. Jahrhundert angekommen.

    Bitte nehmt das zur Kenntnis.

     

    Gruß

     

    A. Kluth

     

    P.S.: Wenn nichts dazwischen kommt werde ich im Rahmen einer Projektwoche im kommenden Sommer einen großen Wikipedia-Artikel über unsere Schule mit einer Schülergruppe zusammen recherchieren und verfassen. Soll ich euch einen Link schicken, oder findet ihr den auch ohne Hilfe?

  • H
    Hier_Namen_einfügen

    Ich mag in diese Jubelei nicht so recht von Herzen einstimmen. Gleichwohl Wikipedia erhaltenswert und wichtig ist, so ist es doch auch ein permanentes Denkmal für die Tatsache, dass so etwas wie Schwarmintelligenz nicht existiert. Ich weiss nicht, wie es sich in Schulen verhält, im unversitären Betrieb ist die Verwendung in Arbeiten (nicht der Gebrauch) zurecht verboten (auch in den meisten Fällen in Doktorarbeiten). Weil die Artikel wissenschaftlichen Ansprüchen in aller Regel nicht mal im Ansatz genügen. Beschönigend ausgedrückt sind sie zumeist recht ungenau. Ich habe in meinem speziellen Fachgebiet noch keinen Artikel gelesen, der nicht voll von Meinungen, Vermutungen oder schlicht Fehlern gewesen wäre.

    Von der von Horst erwähnten Tendenziösität mal ganz abgesehen.

    Wenn dann Abiturienten an die Uni kommen und aus allen Wolken fallen und völlig hilflos sind, weil sie überhaupt keine Quellenarbeit mehr leisten können, und auch nicht verstehen, warum Wikipedia eben keine Quelle ist, dann ist das vor allem eins nicht - preisverdächtig.

  • H
    horst

    liebe tazler,

     

    stimme dem artikel generell zu aber auch wikipedia ist nicht frei von einflüssen.

     

    wer bspw. die artikel über hayek und den liberalismus vergleicht mit artikeln über bspw. marx oder adorno wird eine klare weltanschauliche tendenz feststellen.

     

    diese tendenz hat nichts mit dem mainstream in der welt zu tun. es sind hauptamtliche wiki-mitarbeiter, die bei liberalem gedankengut die kritik streichen oder reduzieren und bei linken gedanken gerne mal den "kritik"-absatz sehr ausführlich gestalten.