piwik no script img

Olympische Spiele in Peking"Massaker rechtfertigt Boykott"

Marianne Heuwagen von Human Rights Watch will nicht mehr ausschließen, dass ihre Organisation bei weiteren Menschenrechtsverletzungen einen Olympia-Boykott fordert.

Die Flamme wird es wohl bis Peking schaffen. Womöglich wird aber so mancher Sportler am Ende doch zuhause bleiben. Bild: dpa
Interview von Thomas Winkler

Bild: human rights watch
Im Interview: 

MARIANNE HEUWAGEN, 58, ist die Direktorin des Deutschland-Büros der unabhängigen NGO Human Rights Watch.

taz: Frau Heuwagen, der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) behauptet, er habe sich mit Human Rights Watch und amnesty international abgesprochen, bevor er Anfang dieser Woche seine Ablehnung eines Olympia-Boykotts verkündete, und auch Sie seien gegen einen Boykott von Peking. Stimmt das so?

Marianne Heuwagen: Es stimmt, dass wir und amnesty international Gespräche mit dem DOSB geführt haben, das letzte allerdings schon am 28. Februar, bevor die Situation in Tibet eskalierte und es zu den Ausschreitungen kam. Wir haben uns bislang gegen einen Boykott ausgesprochen, weil wir die Spiele nutzen wollen, um im Vorfeld die Wahrung der Menschenrechte einzufordern.

Wie ist Ihre Position heute?

Wir lehnen auch zum jetzigen Zeitpunkt einen kompletten Boykott der Olympischen Spiele in Peking ab. Aber wir wollen die weitere Entwicklung in Tibet abwarten und können auch nicht ausschließen, dass wir unseren Standpunkt ändern, sollte es zu noch massiveren Menschenrechtsverletzungen kommen. Ein Massaker wie auf dem Tiananmen-Platz 1989 würde einen Boykott wohl rechtfertigen. Und in Anbetracht der jüngsten Ereignisse wäre es ohne Zweifel angebracht, wenn die Staatschefs zumindest die Eröffnungsfeier boykottieren würden.

Der flämische Sportminister Bert Anciaux kam dieser Empfehlung gestern bereits nach und hat seine Teilnahme an der Eröffnungsfeier abgesagt. Auch Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und Münchens Oberbürgermeister Christian Ude haben sich für einen Boykott der Eröffnungsfeier ausgesprochen.

Das wäre auf jeden Fall ein Schritt, die chinesische Führung daran zu erinnern, dass sie bei der Vergabe der Olympischen Spiele das Versprechen abgegeben hat, die Menschenrechtssituation in China zu verbessern. Wenn das Internationale Olympische Komitee Anfang April nach China reist, sollten die IOC-Funktionäre nicht nur Lobeshymnen auf die Sportstätten singen, sondern auch die Einhaltung der IOC-Charta einklagen, vor allem die Pressefreiheit. Dazu hat China sich bei der Vergabe der Spiele verpflichtet, und davon kann in Tibet momentan ja keine Rede sein.

Wenn man wegen Tibet über einen Boykott von Peking nachdenkt, wird man dann bald wegen Tschetschenien über einen Boykott von Sotschi nachdenken müssen, wo 2014 die Winterspiele stattfinden sollen?

Die Vergabe der Olympischen Spiele an Sotschi ist sicherlich ein Anlass, von Russland die Einhaltung der Menschenrechte zu fordern. Die werden ja nicht nur in Tschetschenien verletzt, sondern auch in Russland selbst sind Meinungs- und Pressefreiheit extrem eingeschränkt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • WM
    Walter Micke

    Hallo!

    Die olympischen Spiele in Peking zu boykottieren ist verlogene Eitelkeit. Was die Chinesen in Tibet machen, machen wir im Irak und in Afghanistan!

    Nur Gott hat das Recht über das Leben der Menschen zu entscheiden. Solange es Menschen gibt, die sich einbilden, zu sein "wie Gott" und dieses Recht für sich in Anspruch nehmen, solange haben wir die Hölle auf Erden!

    Wenn wir uns alle einig sind, dass kein Mensch "wie Gott" ist, dann sollten wir alles boykottiern, was dem zuwider läuft!

  • P
    pünktchen

    lol - die überschrift ist ja wohl bildzeitungsqualität

     

    ihr suggeriert, ein bereits stattgefundenes massaker an den tibetern rechtfertige einen boykott, obwohl die interviewte ganz im gegenteil nicht von solchen untaten der chinesen ausgeht.

  • RE
    Rudolf Ettwein

    Boykott durch wen?

    Warum sollten die Sportler den Kopf für das allgemein lausige Verhalten der Politiker und Funktionäre hinhalten. Wenn jemand boykottiert, dann sollten es die Funktionäre und Politiker tun. Die obligatorischen Sitzungen während der Olympia können, wenn notwendig, auch in einem anderen Land zeitgleich abgehalten werden. Und die Politik schaut im Fernsehn zu so wie Millionen andere Mitbürger auch. Siegerhände können auch bei deren Rückkehr geschüttelt werden.

  • W
    wespe

    Danke 64er (ich bin ein 54er)!

    Du sprichst mir aus ganzem Herzen & Gehirn. Ich füge nichts hinzu. So sehe ich es auch.

  • CT
    Christian Thomas Kohl

    Was wissen wir über Tibe?

    Was wissen wir über China?

    Was wissen wir über die Hintergründe?

    Wie denken die Tibeter?

    Wie denken die Chinesen?

    Sehr wenig.

    Ist ein Dialog zwischen Chinesen und Tibetern möglich?

    Künnen wir uns daran beteiligen?

    Solche Fragen sollten wir bedenken, wenn wir an der Olympiade 2008 teilnehmen.

    Es geht nicht nur um die Frage, wieviele Chinesen und wieviele Tibeter in den letzten Tagen getötet wurden.

    Allein das erfordert eine internationale Untersuchungskommission.

    Aber auch eine internationale Debatte über die Hintergründe ist notwendig.

     

    Christian Thomas Kohl

  • FR
    Florian Reinhardt

    Die Achtung der Menschenrechte steht fuer mich ausser jeglicher Diskussion. Nur beim jetztigen Rummel um die Geschehnisse in Tibet faellt mir nur der Kommentar von Putin ein, den er Angela Merkel um die Ohren schleuderte als sie ihn kurz vor dem G8 Gipfel 2007, auf die Situation in Tschetschenien aufmerksam machen wollte.

     

    Was ich damit sagen will ist, dass es fuer mich planker Hohn ist wenn offizielle Persoehnlichkeitern der "westlichen" Laender meinen sie muessten China auf Menschenrechte hin weisen, wenn sie selber genuegend Dreck am Stecken haben.

  • LV
    Liman Visnjic

    Demokratie - Anti-Exil

    Sozialdemokratien - Tibet - Neuer Staat

    Andere - Tibet verarschen

  • B
    bondix

    und diesm Land zahlt Deutschland noch Entwicklungshilfe von 100 Millionen Euro jährlich, wenn Boykott dann auch keine Entwicklungshilfe mehr. Von der Entwicklungshilfe sehen die Armen sowieso nichts.

  • E6
    ein 64'er

    "Ein Regime, das sich stützt auf Zwangsarbeit und Massenversklavung; ein Regime, das den Krieg vorbereitet und nur durch verlogene Propaganda existiert, wie soll ein solches Regime den friedlichen Sport und freiheitlichen Sportler respektieren? Glauben Sie mir, diejenigen der internationalen Sportler, die nach Berlin gehen, werden dort nichts anderes sein als Gladiatoren, Gefangene und Spaßmacher eines Diktators, der sich bereits als Herr dieser Welt fühlt.?"

     

    Heinrich Mann bei der Konferenz zur Verteidigung der Olympischen Idee am 6. und 7. Juni 1936 in Paris, entnommen am 26. März 2008 aus WikiPedia.

     

    Deutsche sind nicht nur aufgrund ihrer speziellen Geschichte zum Hinweis auf die Missachtung der Menschenrechte verpflichtet! Ich empfinde diese Pflicht nicht als Last und auch nicht als besserwisserischen Zeigefinger. Es ist mehr unser "Besitz, der verpflichtet". Wir besitzen etwas, was andere nur zu gerne hätten: Recht und Freiheit!

     

    Klingt das zu hohl? NNein! Ich möchte diese Lebensform mit keiner diktatorischen teilen, sei diese aus dem Westen oder aus dem (fernen) Osten!

     

    Wenn ein hochgerüstetes, industrialisiertes Volk von über einer Milliarde Menschen ein armes, unterentwickeltes Volk von wenigen Millionen Menschen überfällt und die Bewohner systematisch unterjocht, so nenne ich das Gewaltherrschaft! Ich sehe hier keinen Unterschied zum damaligen "Großreichdenken".

     

    Wenn uns die chinesische Regierung heute dazu presst, auf die uns durch unsere Verfassung gewährten Rechte der Meinungsfreiheit und Demonstration zu verzichten, so stellt das für mich einen Vorgriff auf die kommende weltweite Gewaltherrschaft dar!

     

    Kann das noch ein Geschäftsparter sein? Nein!

     

    Kann hier noch von Kultur die Rede sein? Nein!

     

    Von welchem chinesischem "Gleiwitz" werden wir demnächst hören, welche dieses Land in Bewegung setzt, ein anderes wegen seiner Ressourcen oder strategischen Lage zu überfallen?

     

    Bitte jetzt nachdenken.

     

    DANKE!