Olympische Spiele 1936 in Berlin: Der Wille zur Täuschung
Die Olympischen Sommerspiele vor 80 Jahren wurden für die Nazis zu einem Propagandaerfolg. Auch weil viele nicht genau hinschauen wollten.
Es ist eine der berühmtesten Szenen der Spiele. Kaum hatte Jesse Owens mit einem 8,06 Meter langem Satz im Weitsprung die zweite seiner vier Goldmedaillen gewonnen, gratulierte im sein schärfster Konkurrent, der Leipziger Luz Long. Long war die große Hoffnung Hitlers, doch nun ging der blonde Athlet Arm in Arm mit dem schwarzen Jesse Owens durch das Münchener Olympiastadion. Der Führer war geschockt. Auch das war Olympia 1936 in Berlin.
Owens Medaillen aber konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Olympischen Sommerspiele, die am 1. August vor achtzig Jahren begannen, ein Propagandaerfolg für Hitlerdeutschland waren. Die Spiele, die für viele Beobachter im Nachhinein das erste moderne Massenevent des Sports waren, setzten Maßstäbe. Eröffnung, Medieninszenierung, Fernsehübertragungen, Ästhetik. Vieles blieb bis heute, zum Beispiel der olympische Fackellauf.
Die tolerante Metropole
Vor allem aber präsentierte Olympia 1936 Berlin, die Hauptstadt des „Dritten Reichs“, als eine moderne, schnelle, sportbegeisterte und auch tolerante Metropole. So wie es von Carl Diem, der für Hitler die Spiele organisierte, geplant war.
Wie konnte es dazu kommen? Dass sich der Wolf einen Schafspelz übergeworfen hat, taugt als Erklärung nur bedingt. Natürlich, der Stürmer verschwand für zwei Wochen unter den Ladentischen, dafür durften wieder Jazz und Swing gespielt werden.
Aber zum Erfolg der Propagandashow gehörte auch, dass viele Beobachter nur das Schafsantlitz sehen wollten. Es waren nicht nur Nazi-Zeitungen, die die Berliner Spiele über den grünen Klee lobten, sondern auch die internationale Presse.
Von den Sportverbänden war sowieso nichts anderes zu erwarten. In den USA war mit dem Antritt von Avery Brundage zum Chef des Olympischen Komitees ein Boykott der Spiele endgültig vom Tisch. Und dann gab es die Sportler, die jahrelang trainierten und unbedingt zu den Spielen wollten. Die kritischen Stimmen fanden immer weniger Gehör, je näher die Spiele rückten.
Man kann es auch so sagen: Hitler wollte die Weltöffentlichkeit täuschen, und die Welt wollte getäuscht werden. Acht Jahre später hat sich das übrigens wiederholt: Beim Besuch einer Delegation des Internationalen Roten Kreuzes im KZ Theresienstadt, das von den Nazis als Vorzeigelager hergerichtet wurde – um gleich nach der Abreise der Delegation die meisten Insassen ins Gas zu schicken.
Dabei sein ist alles, das gilt bis heute, achtzig Jahre nach 1936. Die Welt war bei den Olympischen Sommerspielen 2008 in Peking, sie war dabei bei Putins Winterspielen in Sotschi 2014. Kurz danach wurde die Krim von Russland annektiert.
Imagegewinn Olympia
Nicht nur Olympia beschert diktatorischen und autoritären Regimen inzwischen Imagegewinne, sondern auch eine Fußball-Weltmeisterschaft. So wird es in Russland 2018 sein und 2022 in Katar. Der Wunsch nach Täuschung lebt, der nach Getäuschtwerden ebenso. Schließlich geht es nicht nur um Ruhm, sondern auch um Milliarden.
Fast scheint es, man habe aus Hitlers Propagandasieg 1936 keine Lehren gezogen. Berlin immerhin hat sich im Zuge der Olympiabewerbung für die Sommerspiele 2000 an die Aufarbeitung gemacht. Bis dahin waren Olympiastadion, Maifeld, Langemarckhalle und die anderen Stätten des Olympiageländes Denkmale, die in ihrer Wucht weiterhin beeindruckten, ohne jemals auf ihre Propagandawirkung abgeklopft worden zu sein. Nun gibt es im Glockenturm eine Dauerausstellung, die sich mit den 16 Tagen der Spiele 1936 auseinandersetzt.
In der Ausstellung ist auch ein Film mit Ausschnitten von einem der Siegesläufe von Jesse Owens zu sehen. Anders als Hitler hat ihm das Berliner Publikum frenetisch zugejubelt.
Dieser Text ist Teil des aktuellen Wochenendschwerpunkts in der taz.berlin. Darin außerdem: Ein Bericht von den Spielen und ein Interview zur Aufarbeitung der Geschichte in Berlin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau