Olympia 2020 in Japan: Besser früh raus
Ein Jahr vor den olympischen Spielen: Als sicher kann gelten, dass es in Tokio im Sommer heiß ist. Den Rest finden wir noch heraus.
![Menschen an einer Sprühnebeldüse Menschen an einer Sprühnebeldüse](https://taz.de/picture/3616538/14/23473639.jpeg)
J apan ist wegen seiner insularen Lage und nationaler Eigenheiten so etwas wie die Terra incognita der westlichen Hemisphäre. Auch ich habe bisher mein Wissen aus eher unvollständigen Quellen bezogen. Mein – schiefes – Japan-Bild haben in erster Linie Akira Kurosawa („Die sieben Samurai“), Doris Dörrie („Kirschblüten-Hanami“) und Alexander von der Groeben („Sumo auf Eurosport“) geprägt.
In Erinnerung geblieben ist mir auch die eine oder andere Doku, die Affen im Schnee zeigte, Schwertschmiede, Papierschöpfer und interessante Kulinaria („Natto“), die, sollte ich einmal in Japan weilen, zu kosten ich mir vorgenommen habe. Neulich sprach ich mit einer Japan-erfahrenen Dame, und sie sagte mir, dass man dieses Land entweder hassen oder lieben werde.
Danach sprach ich mit einer halben Japanerin, und sie rühmte die Zivilität des japanischen Volkes, seine Dezenz und Zurückhaltung, nicht ohne sich von diesen Eigenarten ironisch zu distanzieren. Dann las ich im jüngsten Roman von Michel Houellebecq („Serotonin“) Folgendes: „Vom Engländer wird man nie freundlich aufgenommen, der Engländer ist fast so ein Rassist wie der Japaner, von dem er eine Art Light-Version darstellt.“ Ich habe das Gefühl, mein Japan-Puzzle besteht aus tausend Teilen, die ich blind zusammenfügen muss.
Die beste Art, sein Halbwissen und seine Vorurteile einem harten Test zu unterziehen, ist der Kontaktsport Fernreise. Man begebe sich also zum Beispiel nach Tokio, wo die kommenden Olympischen Sommerspiele stattfinden werden, und schaue sich vor Ort an, wie sich die Lage gestaltet. Viele Olympioniken und solche, die es noch werden wollen, reisen derzeit in Japans Riesenmetropole (38 Millionen Einwohner im Großraum) und absolvieren ein Jahr vorm Großereignis ihre Testwettkämpfe.
Das ist in der Vergangenheit stets ein sehr heikles Unterfangen gewesen, weil so mancher Sportler sein Können auf Baustellen oder jedenfalls in unfertigen Sportstätten zeigen musste. Entsprechend ätzend fielen die Reiseberichte der Athleten nach Rückkehr in die Heimat aus. Der Ausbau der Tokioter Sporttempel ist erfreulich weit gediehen, wenn nur nicht diese infernalische Hitze über der Stadt läge, eine klimatologische Plage, von der auch schon meine Gesprächspartnerinnen zu berichten wussten.
Im Sommer, sagten sie, mieden sie Tokio lieber. Das können die Sportler, Zuschauer und Medienfuzzis natürlich nicht, sie müssen sich den 36 Grad bei markerweichender Schwüle stellen wie ein Ninja-Kämpfer dem übermächtigen Gegner.
Die Veranstalter versuchen Vorsorge zu treffen. So werden zum Beispiel die Marathonläufer schon um 6 Uhr oder sogar noch früher auf die Strecke geschickt, und bei den 50-Kilometer-Gehern werden die Wecker auch sehr früh klingeln. Aber die internationale Sportszene ist aufgeschreckt nach Berichten über 57 Tote, die die Hitze landesweit allein im Juli gefordert hat. Über 18.000 Japaner, heißt es, wurden im zurückliegenden Monat im Krankenhaus behandelt. Und auf einer olympischen Baustelle ist kürzlich ein 50-jähriger Bauarbeiter bei Kabelarbeiten bewusstlos aufgefunden worden; er verstarb später im Hospital.
Bei der Juniorenweltmeisterschaft der Ruderer mussten mehrere Sportler mit Hitzschlag behandelt werden. Beobachter berichten davon, dass die Medaillengewinner auf dem Podest umhertorkelten wie Matrosen bei hartem Seegang. Der tunesische Langstreckenschwimmer Oussama Mellouli fühlte sich bei einem Testevent in Tokios Odaiba Marine Park nach fünf Kilometern angeschlagen, obgleich sein Rennen von 10 auf 7 Uhr vorverlegt worden war.
Ich lerne also: In Tokio ist es im Sommer heiß, aber wie sagte einst schon ein weiser Mann aus Nippon: „Was schnell heiß wird, kühlt rasch ab.“
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche