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Olympia 2008"Die Repression wird zunehmen"

Die Spiele in Peking können die Lage der Menschenrechte in China verbessern - aber nur, falls das IOC konsequenter handelt, sagt Dirk Pleiter von Amnesty international

So stellen sich Chinas Machthaber Olympia vor: Angestellte eines Einkaufszentrums in Hangzhou zum Olympiacountdown am Montag. Bild: ap

taz: Herr Pleiter, das Internationale Olympische Komitee (IOC) glaubt, dass sich die Menschenrechtspolitik in China durch die Olympischen Spiele in Peking deutlich verbessern wird. Teilen Sie diese Hoffnung?

Dirk Pleiter: Nein. Olympische Spiele führten in der Geschichte nie automatisch zu einer nachhaltigen Verbesserung der Menschenrechtssituation. Das wird auch in China nicht der Fall sein. Allerdings wird die Chance der Einflussnahme auf die Menschenrechtsentwicklung in China unmittelbar vor, während und auch noch nach den Spielen deutlich größer sein als bisher, weil China im Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit stehen wird. Das nationale Projekt Olympische Spiele soll und muss für die Chinesen ein Erfolg werden, und die Menschenrechtsfrage bildet deshalb eine Art potenzielles Risiko für die Organisatoren. Das muss genutzt werden - allerdings hat sich das IOC bisher in Menschenrechtsfragen merklich zurückgehalten.

Das wollen die Offiziellen unbedingt vermeiden: Proteste an der chinesischen Mauer mit einer Parole für ein Freies Tibet - angelehnt an den Olympiaslogan (Videobild der Aktivisten) Bild: ap

Gibt es schon heute konkrete Hinweise auf Verbesserungen?

Ja, allerdings nur sehr wenige. Immerhin hat sich China bei der Vergabe der Olympischen Spiele ja verpflichtet, die Kernprinzipien der Olympischen Charta anzuerkennen und damit die Achtung der Menschenrechte und der Menschenwürde. Wenn das IOC seiner konkreten Verantwortung nachkommt, das von China einzufordern, ist das eine gute Basis. Immerhin soll es zu den Spielen eine komplette Freiheit der Medien geben, und teilweise wird das auch schon umgesetzt.

Das gilt aber nur für ausländische Medien. Nationale Journalisten und Internetdissidenten werden weiterhin verfolgt und unterliegen der Zensur.

Richtig. Und die Freiheit der Medien, etwa Interviews ohne vorherige behördliche Genehmigungen, ist auch nur bis 2008 begrenzt. Wie es danach weitergeht, weiß niemand. Auch hier ist völlig unklar, ob die Olympischen Spiele für längerfristige Verbesserungen sorgen werden oder ob alle eventuellen "Lockerungen" nur temporär sind.

Bild: ai

DIRK PLEITER koordiniert seit 1989 ehrenamtlich die Arbeit der deutschen Sektion von amnesty international (ai) zur VR China. Der promovierte Physiker arbeitet an einem Forschungslabor für Hochenergiephysik. Zu den Olympischen Spielen in Peking 2008 hat ai gestern einen Bericht zur Menschrechtssituation in China veröffentlicht: "China: The olympics countdown - one year left to fulfil human rights promises".

Erwarten Sie die Vollstreckung von Todesurteilen während der Spiele?

Zwar ist es durch behördliche Auflagen in China insgesamt deutlich schwieriger geworden, Todesurteile zu vollstrecken, es wird aber noch immer gemacht. 2006 wurden 1.010 Urteile vollstreckt und 2.790 Todesurteile ausgesprochen. Diese Zahlen sind die unteren Grenzwerte. Während der Spiele gehen wir jedoch davon aus, dass keine Urteile vollstreckt werden. Dafür aber, und das ist schon fast paradox, rechnen wir mit einer deutlichen Zunahme der Verhängung der Todesstrafe vor den Spielen. Die Todesstrafe wird ja nach der flachen Logik ihrer Befürworter auch in China immer unter dem Aspekt der Abschreckung verhängt. Dadurch soll die Kriminalität während der Spiele reduziert werden.

Können die Olympischen Spiele als Bühne für Demonstrationen genutzt werden?

Die chinesischen Behörden werden alles daran setzen, gerade dieses zu verhindern. Wir erwarten eine deutliche Intensivierung von Kontrollmaßnahmen im Vorfeld der Spiele. Allgemein werden durch das "Projekt soziale Säuberung" mehr Inhaftierungen ohne Anklage erfolgen. Das erkennen wir schon heute. Die Repressionen werden bis zur Eröffnung am 8. August 2008 noch deutlicher zunehmen. Wie die Behörden dann aber auf unangemeldete Demos reagieren, ist völlig unklar.

Wer ist von den Repressionen konkret betroffen?

Menschenrechtsverteidiger, aber auch die immer größer werdende Anzahl der Modernisierungsverlierer in China. Oder auch die Mitglieder von religiösen Minderheiten, wie der Falun-Gong-Sekte oder die Tibeter. Betroffen sind auch viele Kritiker von Umsiedlungen für Bauprojekte für die Olympischen Spiele. Ihnen allen soll die Möglichkeit genommen werden, während der Spiele auf ihre Situation aufmerksam zu machen Wir erkennen schon jetzt, dass Personen, die hier eine führende Rolle spielen könnten, inhaftiert beziehungsweise unter Hausarrest gestellt werden.

Gibt es eigentlich in China so etwas wie eine Anti-Olympia-Bewegung?

Kaum oder wenn, dann nur wenig organisiert Die Olympischen Spiele wurden gleich nach ihrer Vergabe an Peking 2001 von der Regierung in den Rang eines nationalen Ereignisses gehoben. Jeder, der es wagte, Kritik zu äußern, wurde in die Rolle eines Spielverderbers gedrängt und mitunter verfolgt. So konnte sich eine organisierte Anti-Olympia-Bewegung erst gar nicht entwickeln. Trotzdem gibt es immer wieder vereinzelte Stimmen, die sagen, dass die riesigen Geldsummen besser zur Abmilderung der eklatanten sozialen Unterschiede eingesetzt wären. Das ist das absehbar größte Problem Chinas. Auch daran werden die Spiele in Peking nicht viel ändern können.

INTERVIEW: TORSTEN HASELBAUER

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5 Kommentare

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  • S
    Ste

    Es ist mir immer wieder unbegreiflich, dass es Leute gibt, die sich Situationen, wie sie sich in China abspielen (Verletzung der Menschenrechte, Verletzung der Würde von Tieren (und damit meine ich nicht unbedingt das Essen von Hunden, sondern wie diese vorher behandelt werden - wobei, die Menschen werden ja auch nicht anders behandelt?!?!?!?) etc.) SCHÖNREDEN können! Aufstrebende Wirtschaftsmacht... Jaja - schlussendlich gehts ja nur ums Geld und genau deswegen werden diese Olympischen Spiele auch nicht boykottiert! Obschon es wirklich genug Gründe gäbe, dies zu tun!

    Dass die Sportler die "Ehre", dort an den Olympischen Spielen teilzunehmen, höher stellen, als die ganzen Menschenrechtsverletzungen, die ganz klar gegen eine Teilnahme derselbigen sprechen, finde ich einfach nur FRAGWÜRDIG!

    Solange Geld im Spiel ist, wird sich dies aber nie ändern. Schliesslich will sich jedes Land - ob in Westeuropa, Amerika etc. - eine Scheibe von diesem Kuchen, den China als aufstrebende Wirtschaftsmacht darstellt, abschneiden!

  • MG
    Martin Guan Djiebn Chan

    Das Problem der Europäer besteht darin, in christlicher Tradition immer alles in Gut und Böde einzuteilen. Warum kann man hierzulande nicht damit leben, dass China zwar (immer noch) eine Diktatur ist, in denen es um die Menschenrechten nicht allzu rosig steht, gleichzeitig sich aber mit voller Fahrt gerade die Situation der Menschenrechte rasant verbessert. Das ist kein Paradoxon sondern Entwicklungsrealität.

    In China entwickelt sich derzeit eine Zivilgesellschaft. Teile von Staat und Partei stehen dieser Entwicklung feindlich gegenüber, andere unterstützen sie. Es kann durchaus passieren, dass ein Umweltschützer einerseits von den zuständigen Umweltbehörden unterstützt und andererseits vom Sicherheitsapparat schikaniert wird.

  • KS
    Karl Sonnenschein

    @Volker Mueller

    Sie inszenieren ein China Bild das nur zum Teil der Realitaet entspricht wie auch die olympischen Spiele selbst eine Inszenierung sind welche der Welt eine voellig humane, demokratische und hoch entwickelte Grossmacht vorgaukeln will.

     

    Sie schreiben von einer ausgesprochen kritischen Presse und einem sich entwickelnden Rechtsstaat. Die meisten China Kritiker sitzen im Ausland oder in China im Knast, wenn sie ueberhaupt noch leben.

    Wenn es eine kritische Presse gaebe dann wuerde es keiner Gewalt-Zensur wie in China beduerfen!

     

    Herr Volker, so nebenbei, wann finden denn in China die naechsten freien Wahlen statt? 2020, 2050 oder 2200?

     

    Um klar zu stellen. Ich habe nichts gegen das chinesische Volk, Teile ihrer Geschichte und Kultur sind auesserst bewundernswert. Nur, die groessenwahnsinnige kommunistische Machtelite sind mir ein Greuel, wie andere groessenwahnsinnige Grossmaechte auch. Insofern ist China ja keine Ausnahme.

  • A
    Alster

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    China achtet weder die Menschenrechte, die Schöpfung an sich, noch jedwede Kreatur in derselben. Als ob dieses Dilemma

    mit den Olympischen Spielen aus der

    Welt geschafft werden könnte. Wenn

    die Einstellung fehlt, dass auch

    das Tier ein Recht auf ein würdiges

    Leben hat, ist mit diesem Land kein

    Staat zu machen. Diese Leute, die an

    den Olympischen Spielen teilnehmen,

    gießen noch Wasser auf die Mühlen

    dieses Systems.

  • VM
    Volker Mueller

    Es ist schade dass einflussreiche Organisationen wie AI ein China-Bild zeichnen, dass mit der Realitaet wenig zu tun hat.

    China heute, dass ist eine optimistische, dynamische, lebensfrohe Gesellschaft mit einer ausgesprochen kritischen Presse (im Punkt investigativer Journalismus koennten die deutschen Medien viel von China lernen) und einem sich entwickelnden Rechtsstaat.

    China ist sich seiner Vielfalt bewusst und Minderheiten werden respektiert - dass eine muslimische Lehrerin im Unterricht ein Kopftuch traegt, ist in China kein Problem - um nur ein Beispiel zu nennen.

     

    Die Beijinger sind begeistert von den Olympischen Spiele - man denke nur an die spontanen Jubelfeiern auf den Strassen, als die Wahl verkuendet wurde, warum nicht?

     

    Wenn als positiver Nebeneffekt herauskommt, dass sich die etwas traege chinesische Mittelklasse auch mehr sportlich betaetigt, hat sich der Aufwand gelohnt.

     

    Extremisten aus dem In- und Ausland, die die Olympischen Spiele als Plattform nutzen wollen, werden zu Recht als Spielverderber angesehen.

     

    Die Wahrnehmung Chinas scheint immer noch durch die gewaltsamen Auseinandersetzungen von 1989 gepraegt zu sein, die aber ein singulaeres Ereignis waren. 18 Jahre friedliche Entwicklung deren Geschwindigkeit teilweise 100 Jahren Entwicklung in Europa entspricht, das ist eine erstaunliche, wahrscheinlich einmalige Leistung. Man sehe sich nur die nationalen und religioesen Konflikte an, denen das von Groesse und Entwicklungsstand vergleichbare Indien ausgesetzt ist.

     

    Viele Millionen Europaer werden nach China kommen und sehen wie China WIRKLICH ist, auch das ist ein positiver Effekt der Spiele.