Oliver Roggisch über deutschen Handball: „Der Hintergrund spielt keine Rolle“
Der DHB-Teammanager wehrt sich gegen die AfD und heißt Migranten im Handball willkommen. Über die TV-Übermacht des Fußballs beschwert er sich nicht.
taz: Herr Roggisch, fehlt den deutschen Handballern ein Jérôme Boateng?
Oliver Roggisch: Sie wollen sicher auf die Thesen von Herrn Eilenberger in der Zeit hinaus. Diesen Text haben wir im Februar alle gelesen.
Darin hat er den Handballsport hierzulande als „kartoffeldeutsch“ bezeichnet, weil Spieler mit Migrationshintergrund im Nationalteam fehlen. Bei der Fußballnationalmannschaft ist das anders. Haben Sie eine Erklärung?
In anderen Ländern spielt der Handball einfach keine Rolle. Wir in Deutschland spielen kaum Cricket, obwohl das woanders unheimlich populär ist. Wenn nun Menschen zu uns kommen, die in ihrem Heimatland vor allem Fußball gespielt haben, dann sagen die: Klar, wir spielen auch in Deutschland Fußball.
Das erklärt aber nicht, dass Menschen, die einen Migrationshintergrund haben und hier geboren sind, im Nationalteam gänzlich fehlen.
Fußball ist einfach omnipräsent. Der zieht die meisten Kinder weg. Die anderen Sportarten müssen den Rest aufteilen. Da gibt’s Basketball, Volleyball und und und. Plus viele andere schöne Dinge. Deswegen finde ich Herrn Eilenbergers These sehr, sehr seltsam. Zudem sind wir längst dabei, verstärkt auf Kinder und Jugendliche aller Nationalitäten zuzugehen.
Wie sieht das konkret aus?
Das geht vor allem über die Schulen. Wir sind mit Startrainings und Grundschulaktionstagen präsent, erreichen so auch viele Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund.
37, ist der Oliver Bierhoff des deutschen Handballs. Seit 2014 fungiert er beim Deutschen Handballbund (DHB) als Teammanager. 2007 gewann er mit der Auswahl als Spieler den Weltmeistertitel. „Nur habe ich kein Golden Goal erzielt“, sagt Roggisch zum Bierhoff-Vergleich.
Künftig sehen wir also auch beim Handball Boatengs?
Spielern mit einem deutschen Pass stehen alle Türen offen. Der Hintergrund spielt keine Rolle. Derzeit gibt es leider keine entsprechenden Spieler im DHB-Team. Daran muss man arbeiten, keine Frage.
„Wenn Fußball Merkel ist, ist Handball Petry.“ Wie finden Sie diesen Satz, ebenfalls aus der Zeit?
Darüber möchten wir eigentlich überhaupt nicht nachdenken, weil wir von der AfD meilenweit weg sind. Deswegen war es für uns unglaublich schwer zu verstehen, wie man auf dieses Thema überhaupt kommt.
Auch von „völkisch-homogen“ war die Rede.
Als ich das las, musste ich aufhören, weil es mir kalt den Rücken runter lief. Ich finde es schwierig, sich dazu überhaupt verteidigen zu müssen, weil wir davon weit weg sind. Gar nichts zu sagen, geht aber natürlich auch nicht.
Und was sagen Sie nun?
Dass wir unglaublich weltoffen sind. Und nochmal: Gäbe es Spieler mit Migrationshintergrund, die Talent für die Nationalmannschaft mitbringen, würden die spielen. Vielleicht sollten sich einige mal unsere Frauen-Nationalmannschaft und die jüngeren Jahrgänge anschauen: Da gibt es Spielerinnen mit Migrationshintergrund – und die Handballbundesliga der Männer steht für internationales Miteinander.
Wie beurteilen Sie das Team von Katar inzwischen? Die Spieler dort werden ja aus aller Welt mit Ölmillionen angelockt.
Ich mache Katar wegen seiner „Internationalmannschaft“ keinen Vorwurf. Im Handball sind die Regeln so, dass Spieler beliebig oft zwischen den Ländern wechseln können. Deutschland hat früher ebenfalls von dieser Regelung profitiert, wenn ich an die nuller Jahre mit Oleg Velyky oder Andrej Klimovets denke. Wir dürfen uns nicht beschweren.
Wobei in Katar diese Regel doch sehr extrem ausgenutzt wird, oder?
Ich glaube schon, dass es Überhand nimmt. Wollen wir diesen Weg? Dass Spieler für Geld dreimal die Nationalität wechseln in ihrer Karriere. Für mich wäre das undenkbar gewesen. Aber: Jeder muss für sich selbst entscheiden. Die Regeln geben dies nun mal her; wer sie nutzt, sollte dafür nicht verurteilt werden.
Katar ist Mitfavorit beim Olympiaturnier von Rio. Wer noch?
Frankreich, Dänemark und Kroatien sind ganz heiße Kandidaten auf die Goldmedaille.
Und Deutschland, immerhin jüngst Europameister?
Ich zähle uns und vier, fünf andere Teams zum erweiterten Kreis. An einem guten Tag können wir jeden schlagen. Das ist das Ziel. Immer funktioniert das natürlich nicht.
Fehlt den Deutschen ein Superstar wie der Franzose Nikola Karabatić oder Dänemarks Mikkel Hansen?
Tatsächlich stellt sich zunächst mal die Frage: Was ist ein Superstar? Einer, der gut Handball spielen kann? Oder einer, der gut spielen kann und sich gut vermarktet?
Bitte beantworten Sie zuerst die Vermarktungsfrage.
Es gibt fraglos sehr gute Handballer, die keine Lust haben, sich zu einem Superstar aufbauen zu lassen; die kein Instagram, Twitter, Facebook oder was auch immer haben. Trotzdem sollte man das im Blick haben, es gehört einfach dazu. Wir brauchen Leute wie Karabatić, die das ganze Theater mitspielen. Er ist in Frankreich für den Handball ein Zugpferd, weltweit aber genauso.
Tatsächlich wird mit deutschen Handballern immer noch Stefan Kretzschmar verbunden, der 2004 zurücktrat. Wer probiert sich aktuell als Nachfolger?
Im Moment deckt Andreas Wolff diesen medialen Part ganz gut ab. Andere könnten das von ihrer Klasse her vielleicht auch, aber das ist immer eine Typfrage.
Fehlen solche Typen vielleicht auch in Großstadtvereinen, damit der Handball dort erfolgreich sein kann? Ein Spitzenverein wie der HSV Hamburg ist pleite gegangen.
Ich kenne die Interna nicht. Und es ist auch nicht mein Job, dies zu beurteilen.
Ganz grundsätzlich können Sie die Szene aber sicher einschätzen.
Klubs müssen Risiken eingehen, wenn sie sportlich erfolgreich sein wollen. Es kommt dann vor, dass der Etat eben nicht am ersten Tag gedeckt ist; und Spieler werden verpflichtet, obwohl das Geld fehlt.
Ist das nicht etwas blauäugig kalkuliert?
Oft springt ein Sponsor kurzfristig auf. Und gerade in Hamburg stehen eigentlich genug potenzielle Geldgeber bereit. Was da nicht funktioniert hat, weiß ich nicht.
Vielleicht weil Handball immer noch ein provinzieller Sport ist?
Dieses Image hatte er zu meiner Zeit teilweise noch, keine Frage. Ich komme ja selbst aus dem Handballerdorf Schutterwald (7.000 Einwohner, bei Offenburg, Baden-Württemberg, d. Red.). Aber der Handball ist aus den Dörfern rausgekommen, was übrigens auch dringend notwendig war. Es gab ein zunehmendes Zuschauerinteresse, das Ganze musste wachsen.
Was müssen die Handballverbände noch von ihren Fußballkollegen lernen?
Der Fußball ist ganz klar breiter aufgestellt, alles Faktor 50. Konkret müssten wir mehr in Marketingstrategien investieren, was wiederum höhere Kosten verursacht und ein höheres Risiko. Allerdings haben wir eine unglaublich geile Sportart, davon müssen die Sponsoren überzeugt werden.
Auf den Trikots der Handballspieler prangen meist allerdings schon mehr Werbelogos als auf denen der Fußballer.
Mag sein, aber nicht die Logos der ganz großen Weltfirmen. Die investieren lieber in Fußball. Da ist die TV-Aufmerksamkeit höher. Uns fehlt die TV-Präsenz leider.
Tut es sehr weh, dass das ZDF ein Spiel zwischen den B-Mannschaften von Bayern und Manchester City zur besten Sendezeit ausstrahlt, während Handballer höchstens bei Großereignissen wahrgenommen werden?
Ich will nicht jammern. Fakt ist: Wir können nur wachsen, wenn wir große Sponsoren bekommen. Deshalb brauchen wir das Fernsehen, wir brauchen ARD und ZDF. Sky macht beispielsweise schon einen Riesenjob in der Champions League – nur hat sich in Deutschland die Pay-TV-Angebot leider noch nicht so durchgesetzt wie es etwa in Amerika der Fall ist. Und zum Fußball: Da stimmt die Quote halt auch bei Spielen, die völlig bedeutungslos sind.
In einer Sache ist Handball aber weiter als Fußball.
Ich bin gespannt.
Die beiden französischen Schwestern Charlotte und Julie Bonaventura pfiffen in London 2012 auch Männerspiele. Das fußballerische Schiedsrichterwesen ist hingegen, was jedenfalls die Männerspiele betrifft, selbst 2016 noch 100-prozentig maskulin. Welche Erfahrungen haben Sie schon mit Schiedsrichterinnen gemacht?
In dieser Bundesligasaison tatsächlich keine, da haben keine Frauen gepfiffen, soweit ich weiß. Zu meinen Zeiten als aktiver Spieler hatten wir hin und wieder aber eine Unparteiische.
Und wer pfeift nun besser, Frauen oder Männer?
Da gibt’s keine Unterschiede. Im Endeffekt ist das ja dieselbe Diskussion wie bei der Migrationsdebatte. Ich finde, dass die besten auf der Platte stehen müssen, ob das dann Frauen oder Männer sind, ist vollkommen egal.
Nur würde einer Schiedsrichterin wohl der „Makel“ anhaften, dass sie eben eine Frau ist. Speziell bei Fehlentscheidungen, oder?
Ich glaube eher, dass Frauen Vorteile haben können.
Inwiefern?
Die Spieler verhalten sich zivilisierter, wenn eine Frau statt eines Mannes pfeift. Es wird weniger gemeckert; auch strittige Entscheidungen werden eher mal akzeptiert.
Sie starten am Sonntag gegen Schweden in der Gruppe B. Der Eindruck, dass die A-Gruppe, u.a. mit Frankreich und Dänemark stärker besetzt ist, täuscht nicht, oder?
Wir hätten es schlimmer erwischen können, stimmt. Aber Schweden ist beispielsweise auch keine Mannschaft, die wir im Vorbeigehen schlagen. Außerdem weiß jeder: Willst du ins Finale, musst du eh alle schlagen können.
Wie hat Trainer Dagur Sigurdsson die Mannschaft darauf vorbereitet?
Er und sein Trainerteam investieren unglaublich viel in die Video-Vorbereitung. Das Vermitteln von Inhalten klappt, da findet Dagur immer die richtigen Worte Das gilt auch für Spielphasen, in denen es mal weniger gut läuft. Und auch bei Niederlagen. Seine Ansprachen sind sensationell. Kurzum: Er ist der absolut richtige Trainer für diese Mannschaft. Ich wünsche mir, dass er noch lange, lange dabei ist.
Sein Vertrag läuft 2017 aus – mit Option, bis 2020 zu verlängern. Hat der Bundestrainer schon Signale ausgesandt?
Dagur ist kein Typ, der über sowas ständig reden muss. Er weiß, er hat die Rückendeckung des Verbands und des Teams. Ich sehe keinen Grund, frühzeitig irgendwelche Gespräche anzuleiern. Wir sind da alle sehr entspannt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau