■ Oklahoma-Attentat: Gericht verurteilt Timothy McVeigh: Fairer Prozeß, vertane Chance
Bundesrichter Richard Matsch hatte Gefühlsausbrüche bei der Urteilsverkündung streng untersagt. Seine Warnung trug der Emotionalisierung des Verfahrens und der Reaktion auf vergangene Freisprüche Rechnung. Man erinnere sich an den Freispruch der vier Polizisten, die vor laufender Videokamera in Los Angeles einen farbigen Autofahrer krankenhausreif geschlagen hatten, und an den Freispruch von O.J. Simpson. Beide Verfahren hatten die amerikanische Justiz diskreditiert. Somit stand das Gericht unter doppeltem Erfolgsdruck. Es mußte einen Schuldspruch produzieren, der gleichzeitig juristisch unangreifbar zu sein hatte. Unter dem Druck, um keinen Preis eine Wiederholung solcher Travestien der Justiz zuzulassen, geriet dieser Prozeß selbst in die Nähe eines Schauprozesses: Schaut auf Amerikas Justiz, sie funktioniert doch!
Zwei Drittel der Amerikaner waren Umfragen zufolge schon vor dem Urteil von Timothy McVeighs Schuld überzeugt, 70 Prozent wollen ein Todesur-
teil. Und im Fernsehen wurden immer wieder Angehörige und Überlebende des Anschlags interviewt. So wurde ihr Warten auf das Urteil zu dem der ganzen Nation.
Nun hat das Land seinen Schuldigen. Das Urteil fällten ein strenger Richter und ein diszipliniertes Gericht. Doch die entscheidende Frage, die dieser Prozeß hätte aufwerfen sollen, blieb unbeantwortet. Wie konnte, warum mußte das passieren? Von der Frage nach Hintermännern und einer möglichen Verschwörung abgesehen – wer ist für dieses Verbrechen mitverantwortlich?
Die Chance, dies zu klären, wurde vertan. Angehörige und öffentliche Meinung waren derart mit dem Gelingen dieses als Autodafé in Szene gesetzten Prozesses beschäftigt, daß der ideologische Nährboden, dem dieses Verbrechen erwuchs, ausgeblendet wurde. Das wohlfeile und demagogische Gerede über die übermächtige Bundesregierung, der Haß auf alles, was government heißt, ist eine Attitüde, die keineswegs auf die rechtsradikalen Milizen beschränkt ist. Auch manche Kommentatoren, Talkshowmaster und auf Stimmen bedachte Politiker mobilisieren solche Ressentiments. Kein Wunder also, daß die Milizen, aus deren Schoß dieses Verbrechen hervorging, auch nach dem Mordanschlag von Oklahoma City noch Zulauf bekamen. Dieser Schoß ist fruchtbar noch. Daran hat der Prozeß nichts geändert. Peter Tautfest
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen