: Ohne dass jemand reinredet
Comic Katharina Greve hat in Berlin Architektur studiert, und Architekturen spielen eine wichtiges Rolle in ihren Comics. In „Das Hochhaus“ sogar die Hauptrolle – neben den skurrillen Menschen, die es bevölkern
von Ralph Trommer
Katastrophenfall im 58. Stock: Eine Familie trägt gelbe Schutzanzüge und Atemschutzmasken, Kisten mit Lebensmittelkonserven türmen sich überall. Doch es handelt sich nur um eine Übung, die die Eltern anscheinend regelmäßig durchführen – die Tochter ist genervt. Ihre Eltern sind aber zuversichtlich, dass durch die immer verrücktere Politik der Ernstfall näherrücke, und haben Angst, dass „unsere Tochter noch ihr Grundvertrauen in uns“ verliert.
Nur eine Episode, genauer: Eine Etage aus „Das Hochhaus“ ist das, einem originellen Internetcomic, den die Cartoonistin und Comiczeichnerin Katharina Greve vor zwei Jahren begann und Anfang September fertigstellte – pünktlich, wie es ihr „Bauplan“ damals vorsah. Wie in einer architektonischen Schnittzeichnung blickt man in die jeweilige Etage beziehungsweise Wohnung von einer Seite hinein, als wäre die Wand offen. Raum für viele amüsante Geschichten. Jede Woche setzte Katharina Greve ein neues Stockwerk drauf, angefangen beim Keller. 8.000 bis 10.000 Klicks bekam der Comic jeden Monat. 2016 erhielt sie dafür auf dem Comicsalon Erlangen den Preis für den besten Comicstrip. Nun ist im Avant-Verlag die Buchfassung erschienen.
Ich treffe Katharina Greve in einem ihrer Lieblingscafés in Mitte, im Nola’s im Weinbergspark. Die zierliche, 1972 in Hamburg geborene Frau mit rotem Pagenkopf trägt Brille und wirkt auf dezente Weise selbstbewusst. Sie lebt seit 1991 in Berlin, wo sie an der TU Architektur studierte. Doch ihren Lebensunterhalt wollte sie damit nicht verdienen. Zu trocken. Eine Weile hat sie sich als TV-Sketch-Autorin versucht, aber festgestellt, dass hier stets zu viele reinreden und meist von der ursprünglichen Idee wenig übrig bleibt.
Da besann sie sich auf ein anderes Talent: das Zeichnen. Der Comic erschien ihr als geeignete Kunstform für ihre Ideen. Neben Cartoons, die sie unter anderem für den Tagesspiegel, Titanic und die taz zeichnet. Für Das Magazinzeichnet sie regelmäßig den Cartoon „Die dicke Prinzessin Petronia“. Parallel entwickelte sie längere Comicgeschichten für Bücher wie „Patchwork“ (Gütersloher Verlagshaus, 2011) oder „Hotel Hades“ (Egmont Graphic Novel, 2014).
Ihren Stil hatte sie schnell gefunden: ein fast spartanisch klarer Strich in Kombination mit flächiger Kolorierung. Auf den ersten Blick wirken ihre Panels sehr aufgeräumt, fast naiv. Beim genauen Hinschauen erkennt man Greves Abstraktionskunst und ihr Talent, schrullige Charaktere und aus dem Leben gegriffene Typen mit wenigen Strichen zu treffen. Dabei wird sie nie gefällig: Ihre Figuren sind voller Abgründe – und trotzdem liebenswert. In „Patchwork – Frau Doktor Waldbeck näht sich eine Familie“ geht es um eine einsame Transplantationsforscherin, die sich eine Familie aus der „Restekiste“ des Labors zusammenbastelt. Aus der Konfrontation dieser Frankenstein-Patchworkfamilie mit der Gesellschaft ergeben sich allerlei Komplikationen, die das absurd-makabre Planspiel zu einer gelungenen Satire machen.
Beim Comic gefällt Katharina Greve, dass sie Aufgaben wie „Regie, Drehbuch, Kostümbild und Casting zusammen übernehmen kann, ohne dass jemand reinredet“, erzählt sie begeistert. Die Schauplätze wählt sie sorgfältig aus, sie stehen oft gleichberechtigt neben den Charakteren. Schon in ihrem ersten längeren Comic „Ein Mann geht an die Decke“ (Die Biblyothek, 2009) über einen Fahrstuhlführer im Berliner Fernsehturm wies sie der Architektur eine große Rolle zu. In „Das Hochhaus“ übernimmt sie nun die Hauptrolle.
Greve verzichtet auf eine herkömmliche Geschichte, um ihre Lust am formalen Experiment auszuleben. „Bisher haben nur wenige Zeichner die Möglichkeiten der unendlichen Leinwand des Internets genutzt.“ Per Scrollen kann sich der Tablet- oder PC-User vom Keller bis zur 100. Etage scrollen. Das kann süchtig machen.
Greve entwickelt für jede einzelne Etage einen (comicstripartig sehr breiten) Cartoon, der dem Leser einen pointierten Einblick in das Leben der Bewohner verschafft – unharmonische Familien, sich fremd gewordene Paare, seltsame Singles, störrische Pflegefälle. Es gibt Querbezüge zwischen den Mietparteien, etwa fremdgehende Ehemänner oder einen Dieb, der im ganzen Haus umgeht. Manche Ideen sind reine Fantasie, andere selbst erlebt: „Beim Ausmessen von Wohnungen habe ich sehr unterschiedliche Leute kennengelernt. Darunter auch diese beiden alten Messieschwestern, deren Wohnung zugestellt waren mit grünen und blauen Säcken.“ Im 8. Stock drängen sich Bewerber zur Besichtigung einer heruntergekommenen Wohnung mit Potenzial: „Ein Freund hat mir davon erzählt, dass ihm eine Wohnung ohne Strom so beworben angeboten wurde.“
Tapeten spielen nicht nur eine optische Rolle: Ein Wohnzimmer wird durch ein Spiralmuster zum Wahnzimmer. „Die Tapeten wiederholen sich nicht. Jede Wohnung hat eine andere, passende Tapete oder Wandfarbe bekommen“, versichert Greve schmunzelnd. In einer anderen Wohnung spielen ein paar Mädchen zusammen, alle als rosa Prinzessinnen oder Feen verkleidet. Eine Mutter fragt sich bei diesem Anblick, was 100 Jahre Emanzipation eigentlich gebracht haben sollen.
„Gereizt hat mich an dem Projekt, das ich hier eine verdichtete Form von Leben erzählen konnte. Unterschiedliche Leute und Themen konnte ich collageartig zusammensetzen.“ Katharina Greve geht nun erst mal auf Lesereise mit dem neuen Buch. Sie selbst wohnt übrigens lieber in einem Altbau.
Katharina Greve: „Das Hochhaus“. Avant Verlag, Berlin 2017. 56 Seiten, 20 Euro
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