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Ohne Loch im Bauch

Bei den Darts-Europameisterschaften in Hamburg ging es um Punkte, Reisen und Bier  ■ Von Eberhard Spohd

Es soll Leute geben, die mögen nicht mit kleinen Plastikpfeilen werfen. Wenn schon Darts, dann die traditionelle Variante, mit Stahlpfeilen auf eine echte Scheibe. Sie wollen ein sattes „Plock“hören, wenn sich der Wurfpfeil in die Schweinsborsten bohrt. Und nicht das leise Klacken von aufeinanderprallendem Plastik.

„Nein, Engländer sind hier keine am Start“, bestätigt Rolf Kapahnke das Fehlen der Darts-Nation Nummer eins, „die spielen alle lieber Steel Darts.“Kapahnke war an diesem Wochenende der Herr über die neunzig elektronischen Scheiben bei den Darts-Europameisterschaften, ausgerichtet in einem Bierzelt auf dem Heiligengeistfeld. „Aber“, so nimmt er die Retortenvariante des Sports in Schutz, „anders lassen sich solche Meisterschaften nicht organisieren.“

Die Scheibe fungiert nämlich nicht nur als Spielgerät, sondern auch als Schiedsrichter. Jeder Wurf wird automatisch von der Elektronik registriert und gezählt. Niemand muß mehr mit Kreide auf einer Tafel den aktuellen Spielstand notieren, und keiner muß mehr den Kopf zum Rechnen mißbrauchen: „Wo sollen wir denn auch neunzig Schiedsrichter herbekommen?“Zumal bei einer Spieldauer von täglich bis zu 12 Stunden niemand nüchtern genug dazu bleibt.

Ein weiterer Vorteil dieser Abart des Wurfsports ist die geringere Verletzungsgefahr. „Hier sind ungefähr 1000 Leute im Zelt“, erzählt Silvia. „Da kann es schon mal vorkommen, daß man im Getümmel von einem Irrläufer erwischt wird. Bei Steel Darts hat man dann ein Loch im Bauch.“

Die Bankangestellte aus Salzburg hat sich extra zwei Tage frei genommen, um nach Hamburg zu reisen. „Angefangen hat es bei mir wie bei allen anderen eigentlich auch“, erzählt sie vom typischen Werdegang einer Dartsspielerin. „Ich habe mit ein paar Leuten in der Kneipe gespielt und bin dann in einen Verein eingetreten.“

In die Hansestadt ist sie auch nur gekommen, um mit Gleichgesinnten ein Wochenende zu verbringen. An der eigentlichen Meisterschaft hat sie gar nicht teilgenommen. „In den Qualifikationsturnieren bin ich grandios gescheitert.“Über 5400 Wettbewerbe wurden ausgetragen, um die 128 Männer und 64 Frauen zu ermitteln, die sich für die EM qualifizierten. Darunter sind auch einige Profis, die von ihrem Sport leben können – mehr schlecht als recht. Bei Preisgeldern um die 1500 Mark bei großen Turnieren muß man ständig unterwegs sein, um sich seinen Lebensunterhalt zu sichern.

Die meisten Spielerinnen und Spieler sind aber nur zu ihrem Vergnügen nach Hamburg gereist. „Wir sind wie eine Gemeinde“, sagt der Elsässer Gerard. „Wir kommen zusammen, spielen ein paar Spiele zusammen und unterhalten uns über Darts.“Seine Taktik ist ganz einfach: „Immer soviele Punkte werfen wie möglich.“Die meisten Punkte an der Dartsscheibe erzielt man nicht, indem man in die Mitte, den sogenannten „Bull“wirft. „Am besten ist die Triple 20, die gibt sechzig Punkte, der Bull nur fünfzig.“Allerdings ist Gerard nur knapp 1 Meter 60 groß. „Ich habe Schwierigkeiten mit der zwanzig, darum werfe ich auf die 19.“Die ist nämlich auf der unteren Hälfte der Scheibe.

„Immer nur auf die Triple 20 zu werfen ist Schwachsinn“, widerspricht Rolf Kapahnke. „Gute Spieler rechnen schon ab 200 Punkten, wie sie am besten ausmachen.“Um nämlich ein Spiel beenden – „checken“– zu können, benötigt man einen Wurf in ein Feld mit doppelter oder dreifacher Punktwertung. „Da muß man schon ein bißchen mitrechnen. Wenn man eine Punktzahl erreicht hat, die nicht durch zwei oder drei teilbar ist, kann man nicht checken.“Sollte ein Spieler mit der Divisionsrechnung Schwierigkeiten haben – kein Problem. Auch das übernimmt der Apparat. Dann muß der Spieler nur noch die geforderten Felder treffen.

Am besten gelang das am Wochenende Maik Langendorf aus Hamburg. Er wurde souverän Europameister vor dem Österreicher Rainer Sturm. Bei den Damen setzte sich dessen Landsfrau Lisa Steinbach durch, die im Finale über vier Gewinnsätze Heike Grahl aus Niederzier in Westfalen schlug. Aber das war für die meisten Teilnehmer gar nicht so wichtig. Silvia reist zufrieden nach Salzburg zurück, immerhin hat sie bei einem begleitenden Wettkampf „aus Versehen“eine Reise gewonnen.

Und Gerards Fazit fällt ergreifend schlicht aus: „Darts gespielt, viel Bier getrunken und die Reeperbahn besucht. Was will man mehr?“

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