Ohne Fahrkarte in Bus und Bahn: Drehkreuze statt Strafrecht
Schwarzfahrer sollen nicht mehr im Gefängnis landen, fordert NRW-Minister Biesenbach. Die Verkehrsbetriebe sollten selbst etwas tun.
Wer in Deutschland Bus oder Bahn ohne Fahrschein benutzt, um sich das Entgelt zu sparen, macht sich strafbar. Für das „Erschleichen von Leistungen“ drohen Geldstrafen oder Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr. Biesenbach will die Ressourcen der Justiz aber lieber für anderes einsetzen. Terrorismus, Darknet, kriminelle Familien-Clans, das sind für den CDU-Minister die eigentlichen Herausforderungen. In NRW ergehen fast zehn Prozent aller Strafurteile gegen Schwarzfahrer. Wer seine Geldstrafe nicht bezahlen kann, muss ins Gefängnis. 15 Millionen Euro kostet der Vollzug solcher Ersatzfreiheitsstrafen das Land jedes Jahr. „Und wer wegen der Haft seine Wohnung verliert, muss anschließend untergebracht werden. Wieder zahlt der Staat“, zählt Biesenbach auf.
Statt dem Staat das Problem mit den Schwarzfahrern zu überlassen, sollten die Verkehrsbetriebe selbst etwas tun, forderte Biesenbach. In allen Nachbarstaaten gebe es effektive Zugangskontrollen zum Nahverkehr. „Wenn erst einmal an jeder U-Bahn-Station Drehkreuze stehen, die man nur mit Fahrschein passieren kann, dann geht die Zahl der Schwarzfahrer schnell zurück.“
„Das Strafrecht wirkt nun mal abschreckend“
Gegen solche Ideen kündigte Oliver Wolff „härteste Gegenwehr“ an. Der Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) gab den Vorwurf an Biesenbach zurück: „Sie wollen die Probleme der Justiz beim Nahverkehr abladen.“ In Deutschland gebe es 135.000 Haltestellen. „Es würde mindestens zwei Milliarden Euro kosten, wenn wir nur die 15.000 Haltestellen in Innenstädten mit Zugangskontrollen ausstatten müssten“, so Wolff.
Letztlich ginge das doch auch auf Kosten der Steuerzahler, ebenso wie die Einnahmeausfälle, die eine Entkriminalisierung mit sich bringen werde. „Das Strafrecht wirkt nun mal abschreckend“, erklärte Wolff. Ulrich Schellenberg, Vorsitzender des Deutschen Anwaltvereins, glaubt aber nicht, dass ohne Strafdrohung viel mehr schwarzgefahren werde. „Wer erwischt wird, muss ja weiterhin das erhöhte Beförderungsentgelt von 60 Euro bezahlen.“
Als Kompromiss schlug Biesenbach vor, das Strafrecht nur gegen „beharrliche“ Schwarzfahrer einzusetzen. Damit war Verkehrslobbyist Wolff aber auch nicht zufrieden. „Die meisten Unternehmen stellen beim ersten Mal eh noch keine Strafanzeige.“
In der Debatte zeigte sich, dass das Problem nicht zuletzt ein sozialpolitisches ist. Knapp die Hälfte der Schwarzfahrer, die im Gefängnis landen, sind so arm, dass sie sich kein Ticket leisten können. „Die machen auch ihre Briefe nicht mehr auf, weil sie überall Schulden und Ärger haben“, sagte eine Staatsanwältin. Der Kriminologe Wolfgang Wirth empfahl deshalb „aufsuchende Sozialarbeit“ statt strafrechtlicher Verfolgung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“