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Ohne Fahrkarte in Bus und BahnDrehkreuze statt Strafrecht

Schwarzfahrer sollen nicht mehr im Gefängnis landen, fordert NRW-Minister Biesenbach. Die Verkehrsbetriebe sollten selbst etwas tun.

Hat sie ein Ticket oder nicht? Foto: dpa

Berlin taz | Ausgerechnet ein CDU-Minister wird zum Kronzeugen für ein altes grünes Anliegen – die Entkriminalisierung des Schwarzfahrens. Am Montagabend stellte NRW-Justizminister Peter Biesenbach in Berlin seine Pläne vor. Der CDU-Mann sprach in der Hamburger Landesvertretung auf Einladung des Hamburger Justizsenators Till Steffen (Grüne).

Wer in Deutschland Bus oder Bahn ohne Fahrschein benutzt, um sich das Entgelt zu sparen, macht sich strafbar. Für das „Erschleichen von Leistungen“ drohen Geldstrafen oder Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr. Biesenbach will die Ressourcen der Justiz aber lieber für anderes einsetzen. Terrorismus, Darknet, kriminelle Familien-Clans, das sind für den CDU-Minister die eigentlichen Herausforderungen. In NRW ergehen fast zehn Prozent aller Strafurteile gegen Schwarzfahrer. Wer seine Geldstrafe nicht bezahlen kann, muss ins Gefängnis. 15 Millionen Euro kostet der Vollzug solcher Ersatzfreiheitsstrafen das Land jedes Jahr. „Und wer wegen der Haft seine Wohnung verliert, muss anschließend untergebracht werden. Wieder zahlt der Staat“, zählt Biesenbach auf.

Statt dem Staat das Problem mit den Schwarzfahrern zu überlassen, sollten die Verkehrsbetriebe selbst etwas tun, forderte Biesenbach. In allen Nachbarstaaten gebe es effektive Zugangskontrollen zum Nahverkehr. „Wenn erst einmal an jeder U-Bahn-Station Drehkreuze stehen, die man nur mit Fahrschein passieren kann, dann geht die Zahl der Schwarzfahrer schnell zurück.“

„Das Strafrecht wirkt nun mal abschreckend“

Gegen solche Ideen kündigte Oliver Wolff „härteste Gegenwehr“ an. Der Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) gab den Vorwurf an Biesenbach zurück: „Sie wollen die Probleme der Justiz beim Nahverkehr abladen.“ In Deutschland gebe es 135.000 Haltestellen. „Es würde mindestens zwei Milliarden Euro kosten, wenn wir nur die 15.000 Haltestellen in Innenstädten mit Zugangskontrollen ausstatten müssten“, so Wolff.

Letztlich ginge das doch auch auf Kosten der Steuerzahler, ebenso wie die Einnahmeausfälle, die eine Entkriminalisierung mit sich bringen werde. „Das Strafrecht wirkt nun mal abschreckend“, erklärte Wolff. Ulrich Schellenberg, Vorsitzender des Deutschen Anwaltvereins, glaubt aber nicht, dass ohne Strafdrohung viel mehr schwarzgefahren werde. „Wer erwischt wird, muss ja weiterhin das erhöhte Beförderungsentgelt von 60 Euro bezahlen.“

Als Kompromiss schlug Biesenbach vor, das Strafrecht nur gegen „beharrliche“ Schwarzfahrer einzusetzen. Damit war Verkehrslobbyist Wolff aber auch nicht zufrieden. „Die meisten Unternehmen stellen beim ersten Mal eh noch keine Strafanzeige.“

In der Debatte zeigte sich, dass das Problem nicht zuletzt ein sozialpolitisches ist. Knapp die Hälfte der Schwarzfahrer, die im Gefängnis landen, sind so arm, dass sie sich kein Ticket leisten können. „Die machen auch ihre Briefe nicht mehr auf, weil sie überall Schulden und Ärger haben“, sagte eine Staatsanwältin. Der Kriminologe Wolfgang Wirth empfahl deshalb „aufsuchende Sozialarbeit“ statt strafrechtlicher Verfolgung.

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12 Kommentare

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  • Das wird auch Zeit, dass die Kriminalisierung des Schwarzfahrens endlich aufhört. Wenn man die Sache mal ehrlich betrachtet, hinterzieht der Fahrgast ohne Fahrschein einen Wert von ca. 3,00 EUR. Ein Autofahrer, der ohne Parkschein (schwarz) parkt, hinterzieht einen ähnlichen Betrag, zahlt aber nur ein Verwarnungsgeld von 10-15 EUR. Der Schwarzfahrer hingegen 60,00 EUR. Schon dies zeigt die Unverhältnismäßigkeit. Zudem kann ein Schwarzparker unendlich oft falsch parken - er wird niemals angezeigt oder gar zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Anders als Schwarzfahrer, die mit Strafanzeigen rechnen müssen, wenn sie 3 mal nacheinander erwischt wurden. Das ganze System ist ungerecht, weil bei vergleichbarem Schaden der Autofahrer verglichen mit dem Fahrgast nur mit Samthandschuhen angefasst wird.

    Ob nun Drehkreuzeweiterhelfen? Ich denke, die helfen nur bei der Abschreckung für neue Fahrgäste. Wie kommt man da durch, wenn man mit Kinderwagen, Rolllator, Rollstuhl oder einfachnnur mit Einkäufen beladen unterwegs ist?

    Für mic ist das alles eine Law-and-order-Diskussion. Natürlich gehen dem ÖPNV Millionen durch die Lappen, aber wieviele Millionen gehen der öffentlichen Hand durch die Lappen, einfach weil sie auf die Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren in der Stadt verzichtet und sich sogar scheut, darüber nachzudenken?

  • Zaghafte Frage: wie kommen dann kinderwagen-/rollatorschiebende, trolleyziehende, krücken- und rollstuhlnutzende Fahrgäste zur Bahn? Extra-Service mit Voranmeldung??

  • Das löst doch keine Probleme. Kostenloser ÖPNV wäre eine Lösung. Dann könnte kein Mensch "sich ein Ticket erschleichen". Entsprechend gäbe es deswegen auch keine Gerichtsverfahren. Es würde also gleichzeitig Justiz- und soziale Problemstellungen adressiert werden.

  • „Wenn erst einmal an jeder U-Bahn-Station Drehkreuze stehen, die man nur mit Fahrschein passieren kann, dann geht die Zahl der Schwarzfahrer schnell zurück.“

     

    Das Problem ist doch dass Drehkreuze an jedem U-Bahn-Eingang, und dazu dass Personal um zum ueberwachen, ein vielfaches kostet als der Schaden durch Schwarzfahrer. Wuerde sich das finanziell lohnen haetten die Verkehrsbetriebe dass doch schon laengst eingefuehrt!

  • Die Idee ist ja nicht verkehrt, aber ich halte sie nicht für umsetzbar. Wenn ich mir nur mal die U-Bahn Stationen in Frankfurt anschaue, die Meisten, also praktisch alle außerhalb der Innenstadt sind oberirdisch.

     

    Da würden Drehkreuz nicht helfen, man springt einfach über das Geländer am Bahnsteig und ist drin, das müsste man auch einzäunen, aber will man wirklich Boxen in der Stadt?

  • Wie wärs einfach mal mit moderaten Fahrpreisen? Oder wenigstens ermäßigte Monatskarten, die eine Hartz IV-Bezieherin sich auch leisten kann. Ich meine so über 60 €, wie das in Frankfurt z.b. ist, das geht einfach nicht. Da geh ich auch lieber das Risiko ein, erwischt zu werden.

  • Wie wäre es mit einem ticketfreien Nahverkehr ohne tickets oder nach wertschätzungsverfahren/spendenbasis. Das bringt die leute, die mit auto fahren, weil günstiger auch auf die schiene. Wäre wesentlich sozialer und Klima schonender. Wenn ich einmal in die nächste Stadt mit der Bahn fahre, muss ich für hin- und rückfahrt 20 euro löhnen mit dem Auto verbrauche ich für hin und rückfahrt ca 5 € sprit, als gering verdiener nehme ich natürlich das auto auch wenn mir bahn viel lieber wäre...

    • @f.r.:

      Sie sollten als Geringverdiener besser den Zug nutzen. Ich war Jahrelang Autofahrer. Als ich mal nachgerechnet habe was mich das Ding über 10 Jahre gekostet hat (Alle Kosten, minus Verkaufspreis bei einem Passat Baujahr 2005!) wäre ich fast vom Stuhl gekippt! Mit der Bahncard 100 Erste Klasse und einem Jahresabonnement des Nahverkehrs hätte ich zum selben Preis noch zusätzlich ein paarmal auf die Kanaren fliegen können ; ) ...schade. Die Rechnung ist lang und beinhalten auch Autowäschen, Zubehör etc. Daher will ich das hier nicht so ausführen. Aber rechnen Sie mal selbst bei Ihrem Auto nach! Und schlagen Sie es auf die bisher Gefahrenen Kilometer um. Ich merke es nach meiner Umstellung an jedem Kontoauszug: Wer in einer gut ausgebauten Stadt mit Supermarkt um die Ecke wohnt wirft mit einem Auto nur unnötig Geld zum Fenster heraus. Auch wenn die Bahn angeblich teuer sei.

  • Genau dieses Vorgehen hat in den Niederlanden dazu geführt, dass man nur noch mit der Bahn fährt, wenn es unbedingt nötig ist. In Gefahrensituationen sind die "portjes" ein Hindernis, man kann die Bahnhöfe nicht verlassen und ist dort gefangen. Behinderte können sehen, wo sie bleiben. Die NS-Bahngesellschaft (Nederlandse Spoorwegen) hat Schweigegelder an verletzte Reisende gezahlt, welche durch die portjes Schaden erlitten. Denn portjes kennen keine Gnade. Es wird dann eben ein Gliedmaß gequetscht, selber schuld.

     

    Doch warum will ausgerechnet ein Justizminister sich dieses Problems annehmen? Ganz einfach, denn diese Form der Zugänge zum öffentlichen Nahverkehr ermöglichen eine totale Kontrolle der Reisenden. Da ist er wieder, der hässliche Politiker, der das freche Volk unter Totalüberwachung stellen will. Die Autofahrer werden über die Maut kontrolliert, der Reisende im öffentlichen Nahverkehr; denn nichts ist einfacher als Ein- und Ausstieg mit Datum und Uhrzeit zu speichern. Das ist das trojanische Pferd, was diese CDU dem Wahlvolk unterjubeln will. Alles andere ist nur Klimbim.

     

    Um in den Niederlanden anonym zu reisen ist ein erheblicher Aufwand und Inkaufnahme von Nachteilen notwendig. Bezahlt werden muss die Karte in bar, was kaum möglich ist. Sonderangebote gibt es für die anonyme Chipkarte nicht. So werden von jedem Reisenden mit gewöhnlicher Chipkarte sämtliche Daten festgehalten und auf Wunsch der Polizei problemlos übergeben. Niederländer haben leider kein Gefühl für Datenschutz, sondern nur für den eigenen Geldbeutel. Doch auch hier regt sich Widerstand unter dem Motto "privacy first".

     

    Nun werden die Dummdeutschen wahrscheinlich sich glücklich schätzen so eine schicke Chipkarte zu besitzen und begeistert den nächsten Schritt in den totalen Überwachungsstaat gehen. Man hat ja nichts zu verbergen.

     

    Gerüchten zufolge sollen die Daten im BSHA (Bundessicherheitshauptamt) unter der Ägide des neuen CSU-Innenministers gespeichert werden. Eine größere Misere.

  • Drehkreuze?

    Wie schaut das in Paris aus in der Metro mit den Türen, Kreuzen etc?

    Vor 30 Jahren, eine Stadt im Süden. Wer Bus fahren will, steigt hinten im Bus ein, bezahlt bei ( damals noch ) Kassierer und geht durch das Drehkreuz,fährt mit. Vorne oder in der Mitte einsteigen geht nicht.

    Problem gelöst, dass ginge auch mit Drehkreuz und elektronischem Kartensystem wie eben in der Metro

    • @Jakob Cohen:

      Sie schreiben mir aus der Seele. Vor Jahren wollte ich in Berlin-Tegel in einen Bus einsteigen, hatte aber nur große Euro-Scheine dabei. Die wollte der Fahrer nicht wechseln und ich hatte es eilig. Auch die Automaten in der U-Bahn wollten keinen davon. Ich meine, das ist doch Schwachsinn?! In den USA kommt man auch nirgendwo mit, wenn man keinen Fahrschein hat, und die Kontrollen sind ganz einfach gemacht. Hier wird doch nur geschachert.