■ Ohne Demokratisierung verliert Serbien den Anschluß an Europa. Ein Gespräch mit der Oppositionellen Vesna Pesic: Der Kampf der Stadt gegen das Land
taz : Was gefällt Ihnen in Serbien gegenwärtig am wenigsten?
Vesna Pesic: Die scharfe Trennung zwischen der Macht und der demokratischen Opposition. Es gibt derzeit keinen Diskurs darüber, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Und dies liegt an der Regierung, ihrer Ideologie und dem Staatsapparat. Die enge Verbindung zwischen Ideologie und Apparat ist unser schwierigstes Problem.
Wenn man die täglichen Demonstrationen sieht, kann man den Eindruck haben, daß „Zajedno“ bereits die Mehrheit in Serbien repräsentiert. Stimmt das?
Ich glaube nicht, daß wir schon die Mehrheit der Wähler hinter uns haben. Es gibt auch noch die (ultranationalistische, Anm. d. Red.) „Serbische Radikale Partei“ von Vojislav Seselj, die recht stark ist. Wenn wir nicht erfolgreich die Mandate vom 17. November verteidigen können, befürchte ich, daß sich die Waagschale zugunsten der radikalen Nationalisten neigen wird, die im Volk durchaus breite Unterstützung finden. Es war immer ein Problem in Serbien, daß sich die Modernisten, die Pro-Europäer mit den eher traditionellen, weniger gebildeten Schichten schwer taten. Deswegen sind die Demonstrationen auch so wichtig. Und wir sollten die Reformen, die in Serbien anstehen, nicht in enger parteipolitischer Perspektive sehen. Denn wir brauchen diese Veränderungen. Sonst bleiben wir um Jahrzehnte zurück.
Es ist auffällig, daß auf den „Zajedno“-Demonstrationen kaum Arbeiter zu sehen sind. Warum?
Im Westen verbindet man den Begriff Arbeiter mit den linken Parteien, der SPD oder der Labour-Party. Unsere Arbeiter dagegen sind eher mit ländlichen Gebieten verwachsen. Sie leben nicht im Stadtzentrum, bestenfalls an den Stadträndern. Manchmal unterstützen sie radikal-nationalistische Parteien. Es gibt in Serbeien also eine deutliche gesellschaftliche Trennung. Die besser ausgebildete städtische Bevölkerung fordert Veränderungen, die weniger Gebildeten, die ländliche Bevölkerung stützen den Status quo.
Und die Gewerkschaften?
Wir haben eigentlich gar keine Gewerkschaften. Unsere Gewerkschaften, die meist staatlich kontrolliert sind, müssen mit der Regierung verhandeln, denn die ist die Eigentümerin der Fabriken und Firmen. Weil wir keine Privatwirtschaft haben, können sich auch keine echten Gewerkschaften entwickeln. Und die raren unabhängigen Gewerkschaften sind zersplittert, von Fabrik zu Fabrik verschieden. Wenn es mal einen Streik gibt, werden die Führer von der Regierung gekauft.
Ihre Partei und Sie persönlich haben sich den Ruf erworben, anti-nationalistisch zu sein. Sie sind gegen den Krieg aufgetreten. Von ihren Partnern bei „Zajedno“, Drašković und Djindjic, kann man das nicht sagen. Ist das ein Problem für Sie?
Das muß man differenziert sehen. Vuk Drašković und die „Serbische Erneuerungsbewegung“ traten anfangs sehr nationalistisch auf. Aber schon ziemlich früh hat er sich vom Krieg distanziert. Schon 1993 gehörte er zur Koalition Depos, zusammen mit uns und einer dritten Partei. Insofern haben wir keine keine Probleme mit Drašković: Er hat seine Positionen geändert.
Zoran Djindjic war stets sehr pro-europäisch, sehr rational. Er hat 15 Jahre in Deutschland gelebt, dort studiert und eine Menge von Deutschland gelernt, was Organisation und Arbeit anbelangt. Er hat ein zeitlang mit Karadžić in Pale geflirtet. Das war falsch, und ich muß ehrlich sagen, daß ich dies nicht gutheiße. Aber die „Demokratische Partei“ hatte schon vor Djindjic den Ruf, besonders nationalistisch zu sein.
Man muß dabei allerdings auch im Blick haben, daß Milošević Serbien bisher völlig dominiert hat. In Serbien waren ohnehin nur wenige gegen den Krieg. Und die sind ins Ausland gegangen. Dazu kam, daß es in Serbien tatsächlich Frustrationen wegen der Auflösung Jugoslawiens gab. Man darf nicht vergessen, daß Serben überall im früheren Jugoslawien lebten und leben. Milošević hat diese Gefühle ausgenutzt: Vereinigung aller Serben, ein starkes Serbien, das Pressionen aus Ost und West widerstehen könnte. Das waren seine Slogans. Und in der Öffentlichkeit wurde klar definiert, wer ein guter Serbe war und wer nicht. Wer nicht als „guter Serbe“ galt, war ein Verräter.
Aber das ist Vergangenheit. Wenn man als historischen Eckpunkt den Fall der Mauer 1989 nimmt, ist Serbien, verglichen mit anderen Ländern, spät dran. Jetzt, nach dem Frieden in Bosnien, haben wir die Chance, die Demokratisierung endlich auf die Tagesordnung zu setzen.
Was bedeutet das für die Frage der Autonomie im Kosovo und der Vojvodina?
Die Vojvodina ist die entwickeltste Region in Serbien. Dort hat man seit je das Gefühl, zuviel Geld an die Zentrale in Belgrad zu zahlen. Ethnische Probleme gibt es dort nicht. Die Mehrheit ist serbisch. Die Vojvodina hat wirtschaftlich genug Autonomie. Wenn sie politisch autonomer sein will, ist dies – innerhalb von Serbien selbstverständlich – kein Problem.
Die Situation im Kosovo ist völlig anders. Dort existiert eine lange historische Konfrontation mit den Albanern. Es gibt sehr verschiedene Ansichten darüber, was mit dem Kosovo geschehen soll. Einige wollen das Gebiet ganz los werden, andere wollen dem Kosovo Selbstverwaltung geben. Das Problem ist, daß über diese Frage nicht frei und offen diskutiert werden kann. Dadurch erscheint diese Frage unlösbar. Ich glaube allerdings, daß Unabhängigkeit für Kosovo nur neue Probleme schafft. Denn dann gibt es auch ein Kosovo in Mazedonien. Ich schlage vor: auf jeden Fall eine Vereinbarung unter internationaler Aufsicht.
Die „Zivile Bürger-Allianz“ ist keine Bewegung mehr, sondern eine Partei. Sind Sie auch als Partei organisiert?
Ja, wir haben Parteigliederungen in verschiedenen Städten. Natürlich sind wir die kleinste der Parteien. Wir waren nicht gerade populär während des Krieges. Aber das ändert sich jetzt. Wie finanzieren Sie sich?
Naja, wir haben Freunde hier und dort. Das funktioniert.
Welche aktuelle Perspektive hat die Opposition jetzt? Sind sie bereit, sich auf Neuwahlen einzulassen, auch ohne Anerkennung der Kommunalwahlen?
Zuallererst wollen wir, daß unsere Mandate anerkannt werden, in Belgrad und den anderen Städten. Danach können wir über Neuwahlen reden. Interview: Georg Baltissen
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