Oh là là: Sarkozy derangé
Ein Video vom G-8-Gipfel in Heiligendamm zeigt Frankreichs Präsidenten leicht dérangiert. Hat der strikte Antialkoholiker vor seinem Auftritt vor der Presse getrunken?
PARIS (taz) Nicolas Sarkozy besoffen? Von sich selbst besoffen? Von der Macht besoffen? Diese Fragen und Gerüchte über den neuen Bewohner des Élysée-Palastes geistern seit mehreren Tagen durch das Web. Sie begleiten einen kurzen Videoclip, der den französischen Präsidenten beim Beginn seiner allerersten internationalen Pressekonferenz in Heiligendamm auf dem G-8-Gipfel zeigt. Gestern griffen erstmals auch seriöse französische Medien das Thema auf - mit einem geringfügig geänderten Tenor. Der rechte Figaro und der PS-nahe Nouvel Observateur vermelden, dass ein belgischer Journalist sich bei der französischen Botschaft in Brüssel entschuldigt hat. Der Journalist Eric Boever hatte den Clip in seinem Sender RTBF mit den Worten anmoderiert: "Sie haben nicht nur Wasser getrunken."
Der Clip ist bislang mehr als sieben Millionen Mal angeklickt worden. Er zeigt Sarkozy, der mit einer halben Stunde Verspätung vor die JournalistInnen tritt. Im Gesicht hat er ein glückseliges Lächeln. Wie Pinocchio fasst er sich immer wieder an die Nasenspitze. Er zieht seine umgekehrt V-förmigen Augenbrauen und die Schultern hoch. Er hebt die Arme mehrfach wie ratlos zur Seite. Und er hat einen ordentlichen Schluckauf. Zwischen den Zuckungen presst Sarkozy mit Mühe ein paar Worte heraus. Entschuldigt seine Verspätung damit, dass das Gespräch mit "Herrn Putin" so lange gedauert habe. Fragt die JournalistInnen, wie ers machen soll. Und ob sie Fragen haben.
Dann geht die Pressekonferenz los. Die Zuckungen sind vorbei und Sarkozy spult - als wäre nichts gewesen - seine Antworten ab. Er spricht - das ist bei ihm üblich - von sich. Bislang tat er das vor allem in innenpolitischen Fragen. Dieses Mal, beim G 8, geht es offiziell zumindest um die Welt. Sarkozy spricht in der ersten Person. "Ich habe", sagt er und stellt jede einzelne auf dem Gipfel erzielte Übereinkunft so dar, als habe er sie dem jeweiligen Kontrahenten - Bush, Putin und den anderen GipfelteilnehmerInnen - persönlich entrissen. Die Mehrheit der JournalistInnen, die die Pressekonferenz verfolgen, kommt aus Paris. Sie sind mit einem vom Élysée-Palast gecharterten Flugzeug angeflogen und sie gehören der "Presse présidentielle" an. Darin sind politische JournalistInnen versammelt, die in einer Art von Symbiose mit dem jeweiligen Staatspräsidenten leben, ihn auf allen Reisen begleiten und direkten Zugang zu ihm haben.
In diesem Kreis fiel möglicherweise auf, dass etwas an Sarkozys Auftritt seltsam war. Aber der erste - und für mehrere Tage einzige - Bericht kam von dem belgischen Journalisten, der sich jetzt entschuldigt hat. Inzwischen haben auch französische Medien den Film genauer unter die Lupe genommen. Leute, die Sarkozy schon länger kennen, bezweifeln, dass er in Heiligendamm betrunken war. Sarkozy ist ein Energiebündel. Wie ein Hamster im Laufrad ist er seit Jahren unterwegs, um den Élysée-Palast zu erobern. Er joggt. Er fährt Rad. Und er trinkt nicht. Unter anderem, weil er unter Migräneanfällen leidet.
"Sarkozy schien überrascht und verblüfft darüber, dass er sich endlich in diesem obersten Heiligtum aller Heiligtümer befand", so vermutet der Schweizer Journalist Richard Werly, der in Paris arbeitet und in Heiligendamm direkt neben der Kamera saß, die Sarkozy bei der Pressekonferenz aufgezeichnet hat. "Er schien wie ein Jugendlicher, der ein bisschen verloren ist und Lösungen für die Rettung der Welt aus einer Überraschungstüte zieht", schreibt er. Dass Sarkozy, der wenige Meter vor ihm stand, betrunken sein könnte, ist dem Schweizer und anderen französischen JournalistInnen vor Ort nicht in den Sinn gekommen.
Auf Webforen in Frankreich beklagen sich DiskutantInnen, dass ihr neuer Präsident statt über die Lage der Welt nur über sich selbst spricht. Seine Ticks, seinen Zwang, unablässig in Bewegung zu sein, mit dem Kopf und anderen Körperteilen zu zucken und sich an die Nase zu fassen, kennen die Franzosen und Französinnen ohnehin. Schließlich bestimmt Sarkozy ihre Politik seit 30 Jahren mit.
Sprecher des Élysée-Palastes wollen zu dem Videoclip keine Stellung nehmen. "Wir kommentieren keine schlechten Witze", sagen sie.
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