Offener Brief an Westerwelle: Glückwunsch aus halbem Herzen, Guido!
Die Freiheit und Achtung, die Sie heute mit Ihrem Mann genießen, ist nicht vom Himmel gefallen. Verfolgte Lesben und Schwule brauchen mehr als nette Worte! Ein offener Brief.
Sehr geehrter Herr Außenminister, lieber Guido!
Am 17. September haben Sie Ihren Mann Michael Mronz geheiratet und dafür zu Recht viele Gratulationen erhalten - die Bundeskanzlerin wünschte Ihnen "von Herzen Glück und alles Gute". Aus 10.000 Kilometer Entfernung, von der Südspitze Afrikas, möchte auch ich Ihnen und Ihrem Mann gratulieren, aber auch ehrlich mitteilen, warum ich es nur mit halbem Herzen tun kann.
Ein paar Wochen vor Ihrer Hochzeit haben Sie in einem Interview erklärt, warum Sie bei künftigen Reisen in Länder, in denen Homosexualität unter Strafe steht, nicht mit Ihrem Partner gemeinsam reisen würden: "Wir wollen den Gedanken der Toleranz in der Welt befördern. Aber wir wollen nicht das Gegenteil erreichen, indem wir uns unüberlegt verhalten."
Das hört sich zunächst gut an - Sie wollen ja auch die Werte anderer achten und deshalb niemand vor den Kopf stoßen.
Ich möchte versuchen, Ihnen zu erklären, warum ich dies nicht nur für erschütternd und fatal für Millionen von Angehörigen sexueller Minderheiten in den meisten Ländern der Welt halte, sondern auch für falsch, was eine an prinzipiellen Menschenrechten orientierte Außenpolitik Deutschlands betrifft.
Ich traue Ihnen zu, dass Sie in der Lage sind, das, was Sie am 31. Juli unter großem Beifall bei der Eröffnung der Gay Games in Köln vor rund 25.000 Zuschauern und 10.000 Sportlerinnen und Sportlern aus 70 Ländern sagten, ernster zu nehmen als ein billiges Heimspiel: "Wir werden weiter kämpfen, bis niemand mehr Angst haben muss, offen schwul, lesbisch, bisexuell oder transsexuell zu leben, nirgendwo auf der Welt."
Das klingt wacker, aber de facto kämpfen weder Sie noch Ihr Außenministerium bisher in einer Weise, die auch nur minimalen Mut erfordert. Sie haben bis 2004 über Ihre Homosexualität als Ihre "Privatsache" geschwiegen (was Ihr gutes Recht ist) und nur wenige Wochen vor Ihrer Hochzeit als Richtlinie Ihrer Außenpolitik erklärt, dass Ihr Partner ab nun daheimbleiben wird, wenn Sie als Außenminister in Länder reisen, in denen gleichgeschlechtliche Liebe unter Strafe steht.
Sie haben die korrekte Angabe gemacht, dass dies - was schwere Gefängnisstrafen angeht - für 75 Länder zutrifft und in sieben Ländern sogar die Todesstrafe gilt. Allein auf dem gesamtem afrikanischen Kontinent zum Beispiel gibt es bei über 50 Ländern nur einen Staat - Südafrika -, in dem die Rechte sexueller Minderheiten zumindest im Gesetz geachtet werden. Es geht aber nicht nur darum, dass Ihr Mann Sie demzufolge wohl nur noch in Ausnahmefällen gemäß Ihrer eigenen Idee von Toleranz begleiten wird.
Diese Idee der Toleranz gegenüber intoleranten Regierungen bedeutet konkret die Akzeptanz von Verfolgung, Folter und Mord gegenüber Jugendlichen, Frauen und Männern, die mit einer sexuellen Orientierung geboren wurden, die nicht der Mehrheit entspricht. Wegschauen und Verleugnen kann in bestimmten historischen Kontexten auch Beihilfe zu Verfolgung und schlimmeren Verbrechen gegen die Menschlichkeit sein. So einen Kontext sehe ich derzeit für gegeben.
Bitte erlauben Sie mir zwei internationale Beispiele zum Verdeutlichen:
- Unter US-Präsident Clinton konnte erreicht werden, dass Schwule und Lesben in der US-Armee nicht mehr entlassen werden, jedoch unter der Bedingung, dass sie ihre Homosexualität nicht zu "erkennen" geben. Diese Politik des "Dont ask, dont tell!" führte nicht nur zu unzähligen Denunziationen, sondern auch nach wie vor zu zahlreichen persönlichen Katastrophen bei vor allem jungen Soldatinnen und Soldaten, die nicht zum Lügen bereit waren.
Unter Präsident Bush gab es keine Chance, hierüber auch nur vernünftig zu reden. Erst Präsident Obama bemüht sich, lesbischen Soldatinnen und schwulen Soldaten in der US-Armee die vollen Menschenrechte gegen den Widerstand der Republikaner anzuerkennen. Als Außenminister repräsentieren Sie wichtige Werte Deutschlands, nicht zuletzt auch in Ihrer Person und Ihrem Verhalten. Wollen Sie diesbezüglich noch hinter die Position eines Bill Clinton von vor über 15 Jahren zurückfallen ?
- Als niederländisches Mitglied von Amnesty International wurde ich Mitte der 1990er Jahre beauftragt, gemeinsam mit anderen Menschenrechtsorganisationen für die Amsterdamer Gay Games 1998 ein "Storytelling Festival" zu organisieren, auf dem vor allem junge Lesben, Schwule und Transsexuelle aus Afrika, Lateinamerika, Asien und Osteuropa zu Wort kommen sollten. Von Anfang an war klar, dass wir nur begrenzt in der Lage sein würden, die Sicherheit der während der Gay Games Auftretenden auch nach ihrer Heimkehr zu gewährleisten.
Trotzdem war es der ausdrückliche Wunsch aller Menschenrechtsorganisationen in den jeweiligen Ländern, den Plan nicht aufzugeben und einigen damit zum ersten Mal in ihrem Leben eine Erfahrung von Achtung und Würde zu ermöglichen. Alle Abende des Festivals waren ausverkauft, niemand, der dabei war, wird die Reden der verfolgten und zum Teil bereits gefolterten jungen Menschen vergessen. Um wenigstens das Menschenmögliche an Sicherheit zu gewährleisten, gab der damalige niederländische Außenminister Hans van Mierlo allen Botschaften in den Ländern, aus denen die Verfolgten kamen, die Anweisung, in jeder nur möglichen Weise zur Seite zu stehen.
In vielen Fällen bedeutete dies die Beschaffung von Visa für weitere Länder, um das Reiseziel der Betroffenen zu verschleiern und sie vor Nachfragen bei möglichen Verhören später zu schützen. In einigen Fällen musste die jeweilige Botschaft auch direkt intervenieren, um zum Beispiel einen bereits bei der Ausreise verhafteten jungen Iraner (sein Land verhängt die Todesstrafe für Homosexuelle) nicht nur "freizukaufen", sondern später auch Asyl in den Niederlanden zu gewähren. Der heterosexuelle Außenminister und Vizepremier der Niederlande van Mierlo benutzte damals nicht ein einziges Mal das Wort Toleranz, sondern sprach in niederländischer Nüchternheit von dem "Minimalen", was die Regierung hier an Menschlichkeit zu leisten habe. Bitte bedenken Sie, was Sie an Minimalem hier leisten und welche Richtlinien Sie an deutsche Botschaften bei Verfolgung aufgrund sexueller Orientierung formulieren können. Dazu bedarf es mehr als Reden vor Gleichgesinnten.
Die Freiheit und Achtung, die Sie heute mit Ihrem Mann in Deutschland genießen, ist, wie Sie wissen, nicht vom Himmel gefallen. Sie sagten zutreffend bei den Kölner Gay Games: "Wir werden niemals jene Generationen vergessen, die für unsere Freiheit gekämpft haben."
Der 2003 verstorbene Pole Stefan Kosinski, der von einem deutschen Gericht während des Zweiten Weltkriegs mit 17 Jahren wegen seiner Liebe zu einem anderen jungen Mann nach Paragraf 175 zu Zuchthaus und später Konzentrationslager verurteilt worden war und nur knapp überlebte, sagte als alter Mann in einem Interview: "Inzwischen ist mir auch über meinen persönlichen Fall hinaus wichtig geworden, dass Menschen in allen Ländern der Welt endlich begreifen, dass es immer ein Verbrechen ist, Liebe zu bestrafen und Gewalt zu tolerieren. Allein umgekehrt ist es sinnvoll."
Sehr geehrter Herr Außenminister - ich habe Sie auch mit Vornamen angesprochen, da wir beide einer Generation angehören, die Glück gehabt hat, nicht zu Zeiten von Stefan Kosinski und ungezählten Leidensgenossen in Deutschland und später von der Wehrmacht besetzten Gebieten gelebt zu haben.
Wir leben aber zu Zeiten, in denen in den meisten Ländern der Welt weiterhin Unschuldige verachtet, gequält und ermordet werden. Bitte tolerieren Sie nicht weiter Gewalt gegen die Minderheit, der Sie selbst angehören, sondern treten Sie mutig und selbstbewusst auf. Ihr persönliches Risiko bleibt gering. Das Ansehen Ihrer Person sowie des Landes, das Sie vertreten, wird wachsen. Vielleicht nicht in jeder einzelnen Begegnung, aber im Angesicht der Geschichte.
Alles Gute für Sie und Ihren Mann von mir und meinem Mann aus Kapstadt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste